Auch er ist nun so einer: ein 75er! Heute feierte Daniel Barenboim seinen hohen halbrunden Geburtstag, natürlich auf dem Podium der Staatskapelle, freilich in der Philharmonie statt in der Noch-Baustelle Lindenoper. Dazu Gratulation und masel tov, uneingeschränkt! Und er spielt „nur“ Klavier. In einem Benefizkonzert zugunsten seines Musikkindergartens (dem er noch eine Grundschule folgen lassen möchte) mit seinem wohl langjährigsten Musikerfreund am Pult, Zubin Mehta, sechs Jahre älter, Ehrendirigent des Orchesters. Der Jubilar wird Stretta für Klavier und Orchester von Johannes Boris Borowski uraufführen sowie einmal mehr Beethovens 5. Klavierkonzert spielen.
Bevor dann bald Barenboim dritter Berliner „Tristan“ ansteht. Der dritte „Ring“ ist auch schon geplant, nach langem, eifersüchtigem Kampf mit der Deutschen Oper, der er immer auch wieder Sänger versagt, musste sich Berlins „einziger Weltstar“ und ein „Geschenk für die Stadt“ (na ja, Bürgermeister Müller halt) freilich mit dem zweiten Platz und 2021 zufrieden geben. Dann endet auch sein bisheriger Vertrag, der seit 25 Jahren läuft. Barenboim hat unendlich viel erreicht in dieser Zeit, hat die Staatsoper Unter den Linden in den Wende-Wogen als einem zweitklassigen DDR-Haus wieder international flott gemacht, auch wenn man im internationalen Vergleich immer noch kein A-Haus ist, dafür wird zu wenig gespielt und schwankt die Qualität zu sehr, ist alles auf das willfährige Werkzeug des Übermeisters aller Klassen ausgerichtet, der hier natürlich auch seine einmalige Chance nach dem Rauswurf an der Bastille-Oper erkannt und genutzt hat. Die Staatskapelle, die am meisten (und auch zum Ungleichgewicht des Hauses) von seine Einsatz und Elan profitiert hat, ernannte Daniel Barenboim sogar zum Musikchef auf Lebenszeit. Ein Ehrentitel nur, doch freilich wird es für den irgendwann doch einmal anstehenden Nachfolger schwer werden, damit umzugehen.
Immerhin, in der Riege der alten Lindenopern-Männer löst zum ersten April der gerade einmal 40-Jährige Matthias Schulz den 76-jährigen Jürgen Flimm als Ehrenrunden-Intendant ab. Und er wird, das spürt man schon, einiges anders machen wollen. Nicht nur auf der wieder erstarkenden Barockschiene des Hauses, wo ebenfalls seit 25 Jahren René Jacobs weitgehend das Sagen hat. Endlich! Denn Theater ist immer auch Erneuerung. Und Daniel Barenboim, „Birnbaum“ auf Jiddisch, der jüdische, argentinische, palästinensische, englischen, französische, spanische, russische und eben auch deutsche Weltbürger, der Unermüdliche, das einzige wirkliche Genie der musikalischen wie geistigen Anverwandlung, ehrgeizig, neugierig, umtriebig, er hat sich doch – ähnlich wie Riccardo Muti mit seiner Akademie in Ravenna – längst schon seine Alterswerkzeuge bereitgelegt: neben der Kapelle und dem Kindergarten das West-Eastern Divan Orchestra, den Boulez Saal samt Barenboim-Said-Akademie. Mehr Musik und Völkerverständigung geht eigentlich nicht.
Doch wann ist der Höhepunkt erreicht, wann überschritten? Angela Merkel, nach Richard von Weizäcker maßgebliche Förderin der Wünsche Barenboims, muss sich gegenwärtig mit dieser Frage auseinandersetzen. Auch Daniel Barenboim ist klug genug, das zu tun. Berlin hat ihm unendlich viel zu verdanken, hat ihm aber ebenfalls genauso viel ermöglicht. Irgendwann ist es eben aber auch vorbei. Und es ist durchaus schön, ihn mal entspannt, gut gelaunt und gar nichts tuend zu erleben. Wie kürzlich im Konzert der Kammerakademie Potsdam unter Antonello Manacorda. Natürlich hat er auch da schon wieder ein Talent ertrüffelt, das kann er gut, aber vor allem hat er zugehört, wie seine zweite Frau (ein weiteres Geschenk für ihn) Elena Bashkirova hinreißend lyrisch und wach zwei Mozart-Klavierkonzerte spielte. Und wohlmöglich die Erinnerung wach wurde, nicht nur das Power-Cellogirl Jacqueline du Pré, seine erste Gattin, auch an an eine seiner frühen Plattengroßtaten, die Gesamtaufnahme aller Mozartkonzerte mit dem English Chamber Orchestra. Bald 50 Jahre ist das her, kaum Dreißig war er damals….
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