Und schon wieder diese Süßigkeitenvergleiche! Nicht so originell, aber sie drängen sich einfach auf. Schon wegen der sämigen-cremigen Musik. Und auf der schwimmt das Arbeitsorgan der Anna Netrebko gegenwärtig wie ein schöner, gehaltvoller Cookie. Ordentlich Mürbteig, bröselzart, aber bissfest. Und dazwischen dunkle, schmelzende Schokostücke. Natürlich passt das zu Cileas „Adriana Lecouvreur“, eben noch extrovertierte Comédie-française-Schauspielerin, dann wieder einfach nur ihren Moritz Marschall von Sachsen liebende Kindfrau. Die ist mal gespreizt und mal schmiegsam, aufbrausend und durchscheinend. Das alles kann die Netrebko schon von ihrem ersten Auftritt an, wenn sie effektvoll zu den schimmernd nach oben steigenden Geigenläufen hinter ihren Garderobenvorhängen auftaucht. Doch es verwundert schon, dass die Russin, noch vor ihrer Salzburger „Aida“, mindestens eine Dekade vor der Zeit mit dieser Paradepartie für abgehängte, ein wenig in die Jahre gekommene Soprane debütierte – erst in St. Petersburg und jetzt – bevor sie im nächsten Sommer damit auch in Baden-Baden gastiert – an der Wiener Staatsoper.
Dort kam das verpönte, dabei handwerklich perfekte, stimmungsvolle und feinstes Sängerfutter plus den großen Primadonnenauftritt liefernde, 1902 uraufgeführte Werk erst vor drei Jahren speziell für Angela Gheorghiu zur lokalen Erstaufführung. Und wieder bewährte sich die bestens aufgeputzte, detailfreudig in der Rokokokulisse des Bayreuther Markgräflichen Opernhauses als Lebenstheater-Metapher spielende Inszenierung von David McVicar, die zwischen London, Paris, Barcelona, San Francisco und Wien geteilt wird. War die Rumänin ganz komplex nervöser, immer beweglicher Charakter, so ruht die Russin viel mehr in sich. Ihre erste Sprechpassage kommt fast guttural grob, duster und schwerfällig im Damenbass. Doch schon in dem zwischen Parlando und Legato-Entschwebenden wechselnden „Io son l’humile ancella“ beginnt die Stimme in den schönsten Farben zu schillern, trompetet kraftvoll, kann sich aber auch pianofein zurücknehmen.
Die Gheorghiu war mehr femme fragile, launisch, püppchen- und katzenhaft. Die Netrebko ist eher Katharina die Große, rustikal, aber sensibel, ein echte, leidenschaftliche Frau, in ihre Deklamationsszenen mehr robust als raffiniert. Doch das rundet sich zu einem stimmigen Rollenbild, zumal sie, nachdem sie an den vergifteten „Poveri fiori“ geschnüffelt hat, einen vollendeten Diventod stirbt. In London fügte sich der jugendlich spontane Jonas Kaufmann bestens zur Gheorghiu, der reifere, ruhigere Piotr Beczala ist jetzt als bewährter Netrebko-Partner eine passgenaue Maurizio-Ergänzung mit perlmuttstrahlenden Passagiotönen.
Elena Zhidkova war schon bei der Wiener Premiere als Principessa di Boullion eine gefährlich giftige Mezzogegnerin, jetzt klingt sie freilich in der Mittellage schlanker und heller als die Sopranistin. Alexandre Moisiuc ist ein muffelnder Prinz, Raúl Giménez ein wendiger Abbate, Roberto Frontali ein angemessen berührender, heimlich in Adriana verliebter Inspizient Michonnet. Und auch sonst ist das ein Hörspaß, mehr noch, wegen des schwungvoll alle Details aus der Partitur herauskitzelnden Evelino Pidò am Pult der willig und klangbalanciert folgenden Philharmoniker.
Also echt Wiener Staatsoper 4.0., an einem ganz normalen Repertoireabend in der dritten von vier Serienvorstellungen. Der in der Prozensiumsloge sitzende, mit viel PR-Sprech aufgefallenen designierte Intendant Bogdan Roščić, eben mit einer Entlastung von der Uni Wien für seine angeblich zu Teilen plagiierte Doktorarbeit wieder weißgewaschen, wird es wohl registriert haben. Das kann man nicht besser und anders machen.
Der Beitrag Schokosatter Cookie: Annas Adriana in Wien erschien zuerst auf Brugs Klassiker.