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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Mit 55 Jahren: Dmitry Hvorostovsky ist tot

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Lebe wohl, Dima. Dein Tod kommt nicht unerwartet. Schon vor einigen Wochen wurde er verkündet. Da war es nur eine Falschmeldung. Denn du starbst seit zweieinhalb Jahren sehr öffentlich. So wie es eben ein international gefragter Opernweltstar tun muss, der immer wieder Termine absagen muss, weil der Kampf gegen den Gehirntumor einfach nicht zu gewinnen war. Ich war dabei, als Du Anfang er Neunziger eines Deiner ersten Opernarienrecitals für die Philips unter Valery Gergiev im extra dafür ausgeräumten Zuschauerraum des St. Petersburger Mariinsky Theaters aufgenommen hast. Und ich war auch im Zuschauerraum, als Du diesen Mai bei der Gala zum 50. Jubiläum der Met im Lincoln Center ein letztes Mal öffentlich als Überraschungsgast am Ort einiger deiner größten Triumphe aufgetreten bis. Rigolettos „Cortigiani“ hast Du dem begeisterten Publikum entgegengeschleudert, ein wenig rot im Gesicht, aber immer noch mit Deinem vollen, seidigen weißen Haar, dass Dir schon in jungen Jahren den Spitznahmen „sibirischer Schneetiger“ eingetragen hat. Beim Hinausgehen hast Du gehumpelt, nicht weil es die Rolle erforderte, sondern weil Dein Gleichgewichtssinn gestört war. Deshalb konntest Du auch nicht mehr auftreten, immer wieder musste man schmerzliche Absagen zur Kenntnis nehmen. Und heute früh habe ich noch Deine neue „Rigoletto“-Gesamtaufnahme bestellt. Doch jetzt ist Deine Lebensreise zu Ende. Dmitri Hvorostovsky ist tot. Er erlag im Alter von 55 Jahren seiner Krebserkrankung, wie seine Familie auf Facebook mitteilte. Heute Morgen ist er in London friedlich im Kreise seiner Familie verstorben: „Die Wärme seiner Stimme und seine Energie werden immer bei uns sein.“

Dmitri Hvorostovsky wurde 1962 in der sibirischen Stadt Krasnojarsk geboren, wo er an einer Hochschule Kunst und Gesang studierte. Zunächst sang er in einer russischen Rockband. Seine erste Rolle am örtlichen Opernhaus war Marullo in – „Rigoletto“. Nach einem Sieg beim „Singers oft he World“-Wettbewerb im walisischen Cardiff (Zweiter wurde ein gewisser Bryn Terfel) begann seine internationale Karriere. Hvorostovsky, der gutaussehende Kerl mit den hohen Wangenknochen und den sinnlich geschürzten Lippen, er sang bei den Salzburger Festspielen und in führenden Opernhäusern wie der New Yorker Metropolitan Opera, der Pariser Opéra, der Mailänder Scala, der Wiener und der Münchner Staatsoper und der Staatsoper in Berlin. Und jetzt trauert die Opernwelt. Der Direktor des Moskauer Bolschoi-Theaters, Wladimir Urin, sei stellvertretend zitiert: „Der Besitzer einer so wunderbaren Stimme lebt nicht mehr. Er hatte eine einzigartige Musikalität und eine unglaubliche schauspielerische Ausstrahlung.“

Dmitry Hvorostovskys kerniger, fülliger, dunkel schattierter Bariton war ideal für die russische wie die italienische Oper. Er war ein großartig eitler Eugen Onegin und ein düsterer Renato im „Maskenball“ oder Graf Luna im „Troubadour“, zwei seiner Paraderollen, auch als vom Leben angeödeter Don Giovanni glänzte er. Er hatte seine Krisen: Ende der Neunziger schien er der frühen Erfolge müde, seine erste Ehe ging gerade in die Brüche, er hatte, so wie in seiner wilden Jugendzeit, wieder zu trinken begonnen,  konzentrierte sich weniger aufs Singen und mehr auf Immobiliengeschäfte. Seine Auftritte wirkten routiniert und mechanisch. Er hatte nie eine künstlerische Heimat besessen, war in der letzten, heißen Phase der CD-Industrie intensiv vermarkte worden, überall und nirgends zu hören.

Doch plötzlich packte Dmitry Hvorostovsky wieder die alte Lust. Als Onegin an der Seite von Anna Netrebko war er wundervoll: spöttisch, enttäuscht, ein illusionsloser Dandy, ein Rollenideal im Aussehen und Stimme. Anders als diese hatte er freilich politischen Lippenbekenntnisse immer vermieden. Und auch seine Aufnahmetätigkeit vor allem für das Label Delos nahm wieder zu. Als ob er geahnt hätte, dass seine Zeit bemessen ist, nahm er russische Armeelieder, „Simon Boccanegra“, Duette, Arien und eine tolle Platte mit Auszügen aus Rubinsteins „Dämon“ auf, auch noch einmal mit dem Solo, das er schon auf dem frühen Gergiev-Rezital gesungen hatte.

Mitte der Neunzigerjahre war Dmitry Hvorostovsky auch öfters an der Berliner Staatsoper zu erleben. Er sang in einer uralten DDR-„Traviata“-Inszenierung den um ein Vielfach jüngeren Vater Germont neben einer verblühten Ost-Primadonna und stellte im italienisch umstudierten Berghaus-„Barbiere“ neben Jennifer sein durchaus komisches Talent unter Beweis. In zweiter Ehe war Hvorostovsky mit einer Schweizer Sängerin verheiratet und hatte insgesamt vier Kinder, davon zwei aus der ersten Verbindung. Bis zuletzt hatte seine Stimme, etwas breiter geworden, ihren Schmelz und ihre schönen Legato-Bögen behalten.

Nun ist sie verstummt. Nur das mediale Erbe bleibt seinen weltweit trauernden Fans und Freunden.

Der Beitrag Mit 55 Jahren: Dmitry Hvorostovsky ist tot erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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