Mehr als 70 Opern hat Gaetano Donizetti geschrieben, höchstens fünf davon werden in Deutschland gespielt. Und wir wollen gar nicht wissen, wie viele hier bis jetzt völlig ignoriert worden sind. So wie seltsamerweise auch die 1837 in ihrer zweiaktig überarbeiteten Fassung erstmals in Neapel gegebene „Betly“. Diese knapp 100-minütige Farce für lediglich drei Sänger hantiert nicht nur mit dem offenbar damals populären, schon 1832 im „Liebestrank“ und 1840 wieder in der „Regimentstochter“ erprobten Liebesdreieck zwischen Sopran-Landmaid, Tenor-Bauernbursch und aufgeblasenem Bariton-Militaristen. Darüberhinaus hat das Alpenstück aus der nicht nur wegen der Lisztschen Klavier-„Pilgerjahre“ bei den Romantikern als Schauplatz populären Schweiz prominente Libretto-Eltern: Donizetti selbst kompilierte den Text nach Vorlagen von Eugène Scribe und keinem geringerem als Johann Wolfgang von Goethe und dessen Singspiel „Jery und Bätely“.
Dessen frühemanzipatorischen Attitüden der Titelfigur freilich wurden in der nett plätschernden, allerdings mit Vintage-Donizetti aus seiner fruchtbarsten Periode angereicherten Komödie auf die genreübliche Amouren und die damit verbundenen harmlosen Konflikte reduziert. Doch Betley, die hier besonders in ihrer von diversen Sopranistinnen eingespielten Auftrittsarie “In questo semplice, modesto asilo” mit juchzenden Koloraturen fast das Jodeldiplom erreicht, hat Niedliches zu singen, ebenso der geistig beschränkte Tenor. Ouvertüre und Chöre schunkeln fröhlich, und man wundert sich, dass angesichts der gegenwärtigen, vom „Im Weißen Rössl“-Boom ausgelösten Gebirgsparodienwelle noch kein deutsches Haus auf den krachledernen Schwank aufmerksam geworden ist.
So gereicht es nun der Berliner Operngruppe zur Ehre, „Betly“ im Konzerthaus am Gendarmenmarkt als herzig halbszenischen Musikantenstadl in Dirndl, Lederhosen und Trachtenhut für Deutschland erstaufgeführt zu haben – und das auch gleich noch in der kritischen Neuedition, die der Ricordi Verlag gegenwärtig Donizetti angedeihen lässt. Die rührige, aus Studenten, ambitionierten Laien und enthusiastischen Profis zusammengesetzte Entdeckertruppe um den Dirigenten Felix Krieger hat so seit 2010 in jährlicher Folge ihre nunmehr sechste Belcanto-Opernrarität gestemmt. Zwar liegen Welten zwischen deren Möglichkeiten und denen der längst auch als CD-Label weltweit etablierten Opera Rara-Company, aber man kann sich trotzdem sehen und hören lassen.
Regisseurin Isabel Ostermann hat ihre Staatsopern-Beziehungen spielen lassen und als Bühnenbild aus dem Fundus eine (fast) echte Kuh, ein Schwein, ein Schaf und ein Gans als rustikales Menagerie-Bühnenbild und Hutständer neben den Musikern platziert. Auftritte finden gern auch durch den leider nur schütter gefüllten Zuschauerraum statt. Laura Giordano ist eine soubrettenhaft strahlende Betley mit einigermaßen trittsicherer Koloraturtechnik. Der eingesprungene Adrian Strooper als Daniele meistert solide seine nicht eben leichte Partie mit dem Klavierauszug in der Hand und bisweilen wegrutschenden, aber immer eben noch eingefangenen Tönen. Souverän verlässt sich Bruno Taddia als Betlys alles ein wenig aufmischender, dann zum Happy-End auf dem Rindvieh bringender Bruder Max auf seine szenische Schlagkraft und seinen flexiblen, aber kleinen Bariton.
Orchester wie Chor lassen sich bestens motiviert hören. Und Felix Kriegers spritzig rhythmusvergnügtes Dirigat lässt die „Betly“ so durchaus als süß verjuxte Schwester ihrer in unseren Breiten nur mäßig berühmteren, ebenfalls (teilweise) im Bergdorf spielenden „Linda di Chamounix“ erscheinen, die Donizetti 1842 für das Wiener Kärntnertortheater komponierte.
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