Junger Mann ist stimmlich noch nicht reif für eine Rolle, dann muss der erfahrene ran. So ging es mal wieder Gregory Kunde, der zwar schon länger mit der Deutschen Oper Berlin über Meyerbeers „Le Prophète“ gesprochen hatte, aber dann doch lieber anderes verfolgte. Was nicht zustande kam. Und, weil ein anderer Sänger vor der Rolle Muffensausen bekam, wurde es nun doch Kunde: „Ich sage letztlich doch gerne ja“, lacht der 63-Jährige. Kann er auch, er hat nichts mehr zu verlieren. „Ich habe schon „Vasco da Gama“ und „Les Huguenotts“ gesungen, also wusste ich was kommt. Und Meyerbeer ist mit seiner Synthese aus Belcanto und Dramatik sehr gut. Ich kenne Olivier Py von den „Hugenotten“, es macht Spaß, 700 Seiten Partitur, aber es ist ein dankbares Stück, ich mag das Projekt. Und ich habe wieder beim Singen gemerkt, wie sehr alle von Meyerbeer gelernt haben. Und Enrique Mazzola, unser Dirigent, weiß ebenfalls, wie man das machen muss, dass es nicht zu sehr auf die Stimme geht. Wir haben nur zehn erste Geigen, es wird fein romantisch, aber man muss es dann besonders mit dem Holz und dem Blech gut ausbalancieren.“
Ein guter Mix also für diesen Sänger im heißen Herbst seiner Karriere. Er hat Verträge bis 2021, er ist gegenwärtig viel in Italien und Spanien unterwegs („ich liebe diese Länder und die Opernhäuser dort“), gibt aber auch Ende April sein Debüt an der Dresdner Semperoper in einer neuen „La forza del destino“.
„Jean de Leyden ist von der Rache getrieben, ein charismatischer Fanatiker, eine dämonische Führungspersönlichkeit, aber man muss ihn lyrisch singen“, erklärt er. „Schade, dass er fast immer allein singt, ich mische meine Stimme gern mit anderen. Beim Singen dieser Rolle wurde mir wieder klar, wie sehr auch Verdi vom Belcanto kommt. Seine Vokalisten sangen alle noch mit Rossini, Donizetti und Meyerbeer vertraut. Und so fällt es mir leicht, von hier zu Verdis Otello zu wechseln.“ Nachdem Kunde, wohl als einziger Sänger überhaupt, auch den Rossini-Otello gesungen hat. 2015 sogar beide Rolle noch einmal in einer Spielzeit. „Auch Rossini hat schon mit diesem Declamato-Stil experimentiert, und er hatte mit Andrea Nozzari eben einen Baritenore, ein Stimmfach, das erst durch die Beschäftigung mit den Seria-Opern Rossinis wieder wach wurde. Sehr gut für mich, denn meine Stimme ist dafür geschaffen.“
Obwohl der junge Kunde Gregory Kunde, geboren 1954 in Kankakee, Illinois, 1978 in einer quasi Belcanto-losen Zeit seine Karriere in Chicago als lyrischer Tenor mit den üblichen Verdi- und Puccini-Rollen, mit „Butterfly“, „Bohème“, „Roméo et Juliette“ begann. Aber er merke, dass, so ab Mitte der Achtzigerjahre, plötzlich wieder mehr unbekanntes italienisches Repertoire gefragt war. Und so wechselte er erfolgreich zu Rossini, zunächst vor allem zu Bellinis „Puritani“ ohne das hohe F zu haben, aber er erarbeitete sich die hohen Töne: „Mit Alfredo Kraus, dem perfekten Lehrer. Er sagte mir auch immer, man weiß erst mit 50 Jahren, wo sich eine Stimme final setzen wird. Und man darf auch nicht vergessen, auch wir Männer haben eine Art Menopause, müssen feststellen, dass sich mit Mitte 40 in der Technik manches verändert.
Ich lernte auch, die Freiheit in diesem Repertoire zu schätzen, dass hier sängerische Verzierungsfantasie gefragt war. Meine Stimme war vergleichsweise klein zu dieser Zeit, ich sang mit viel Legato, schöner Phrasierung, lernte meine ganze Stimme kennen. Nach 14-15 Jahren in diesem Fach kam dann Berlioz dazu, und ich merkte, die Stimme war schwerer, weiter geworden. Der perfekte Übergang, der französischer Belcanto ist mehr in der Mittelage angesiedelt, in etwas schwerere Orchestrierung. So landete ich ab 2006 bei diesen schwereren Rossini-Helden, „Cenerentola“ und „Barbiere“ waren dann passé. 2007 kam der Rossini-Otello, in Pesaro, wo ich ja ein regelmäßiger Gast war.
Ich diskutiere solche Übergänge, veränderte Rollenwahl, Karriereentwicklung auch sehr ernsthaft mit jüngeren Kollegen, mit Juan Diego Flórez, Javier Camarena, John Osborn. Wir sind gute Freunde, unterstützen uns, da gibt es keinerlei Rivalitäten. Wir alle wissen, wie schwer das ist, was wir machen. Und ich bin sicher, dass Osborn auch mal bei Verdi landen wird. Denn auch ich hatte diesen Punkt, wo ich dachte, jetzt ist es mit den jungen Kerls vorbei, ich bereite mich mal langsam auf die Rente vor. Aber mein kluger italienischer Manager hat mich dazu getrieben, Gianandrea Noseda für „Les Vêpres siciliennes “ vorzusingen. Vorher kam freilich noch „La Damnation de Faust“ mit ihm. Und danach hat er mich blind engagiert. Hätte ich gewusst, auf was ich mich da eingelassen hatte! Ganz ehrlich, ich kannte die Rolle und die Oper nicht. Und ich öffnete die Partitur, das war so schwer und lang! Wow. Das ist wirklich das Ende des Belcanto. Aber ich merkte beim Studieren, es passt, und damit war ich im wirklich schweren Fach, dann kam der „Norma“-Pollione, ein Liebling von mir inzwischen, weil ich nach vielen Anlaufschwierigkeiten entdeckt habe, da muss man nicht de Monaco-mäßig brüllen, das ist viel lyrischer, beweglicher. Toll für mich.“
Gregory Kunde schaut sehr zuversichtlich voraus. „Aber ich pusche nichts, als ich 2010/11 zu Verdi gewechselt bin, hatte ich vier bis fünf neue Rollen zu lernen, jetzt ist es ruhiger, Radames und Kalaf kommen bald, vorher noch Peter Grimes, dessen Partitur ich mir seit 15 Jahren anschaue. Ich liebe „Bajazzo“ und Andrea Chenier, das liegt perfekt für mich. Nach 40 Jahren Karriere macht es Spaß. Ich bin relaxt, weiß, was ich kann und wie ich durchkomme. Die Krisen von Kollegen machen mir Sorge, da wird so viel gepusht, die machen sich Stress. Ich bin froh, dass es für mich so geklappt hat. Schauen Sie meine neue CD an, die heißt bewusst „Vinceró!“ mit Ausrufezeichen, denn das sind alles Träume, die sich erfüllt haben. Rollen, die ich gesungen habe oder die in meinem Kalender stehen, und wo man bei jeder zu mir gesagt hat, vergisst es, dass wird du nie singen können.“
Unerfüllte Träume? „Cavaradossi fehlt mir noch. Aber zum Beispiel, das werde ich oft gefragt, kein Wagner. Steht nicht in meinen Karten. Da habe ich zu viel Respekt vor. Und das ist einfach nicht mein Terrain, da hätte ich die Hebel früher umlegen müssen. Aber dafür gab es keinen Grund, wenn ich auf meine Karriere zurückblicke. Auch Mozart habe ich früh weggelegt, Tamino und Belmonte, waren mir zu tief. Aber „Idomeno“ und „Titus“ liebe ich, das sind reife Charaktere. Das Rezitativ zwischen Tito und Sesto, bevor er seine „Parto, parto“-Arie singt, das ist der schönste Moment in dem Stück. Aber ich muss aufpassen, die Mozart-Koloraturen sind anders. Ich sage übrigen auch jungen Tenören immer, konzentriert euch nicht zu sehr auf Mozart, sonst seit ihr Vierzig und habt keine hohen Noten. So kommt ihr auf Dauer nicht weiter.“
Le Prophète an der Deutschen Oper Berlin heute, 26., 30. November, 3., 9., 16. Dezember, 4., 7. Januar
Der Beitrag Gregory Kunde: vom Tenor-Virtuoso zum dramatischen Charakter erschien zuerst auf Brugs Klassiker.