Es ist schon erstaunlich. Da verteidigen Lordsiegelbewahrer in der Klassik immer jede Note, da darf nicht gekürzt, verdoppelt umorchestriert werden, aber dem bisweilen allzu forschen, durchaus unorthodoxen René Jacobs verzeiht man alles, obwohl er sich auch nicht gerade an einen einigermaßen überlieferten Notentext hält. Seine neueste Spielwiese: Mozarts Requiem, einer der berühmtesten Torsi der Musikgeschichte und seit über zwei Jahrhunderten ein Abenteuerspielplatz der Bearbeiter. Schließlich kam das auf dem Totenbett liegengelassene Werk nur in der Fassung und Orchestrierung seines Schülers Franz Xaver Süßmayr auf uns. Und seitdem wird an dessen offensichtlich beschränkten Kapazitäten (war halt kein Mozart!) kaum ein gutes Haar gelassen. Dabei können wir froh sein, denn so hat an wenigstens einen Ausgangspunkt, der zumindest noch einen Hauch von Authentizität und Wissen um die Intentionen des Schöpfers für sich beanspruchen kann. Aber jeder Dirigent, der heute etwas von sich hält, muss es natürlich anders machen. Und sei es, wie Teodor Currentzis, der immerhin den Süßmayr Süßmayr sein lässt, mit unorthodoxen Tempi. Auftritt Jacobs, den jungen franzöischen Komponisten Pierre-Henri Dutron im Gefolge, der wiedermal aus dem Süßmayrschen Zusätzen die puren Intentionen Mozarts herausfiltern will. Der Geist des Amadeus wird es schon richten. Da bleibt also kein alla-breve bestehen, Tempi werden geändert, die Solisten anders aufgeteilt, der Text neu über die Chorstimmen disponiert. Sophie Karthäuser, Marie-Claude Chappuis, Maximilian Schmitt und der etwas abgesungene Johannes Weisser tönen in allen Tutti-Stellen vernehmlich mit. Die Osanna-Fuge wird neu aufgezäumt, das Benedictus hört sich auch irgendwie sehr anders an, im Agnus Dei driftet es fast ins Spätromantische ab. Mal klingt die Instrumentierung lichter, mal kompakter. Aber um zu wissen, was denn jetzt so von Mozart wie gemeint sein könnte, langt natürlich Hören nicht. Ja es ist anders, manches tönt schlüssiger, anderes ungewohnt oder schlicht komisch. Man mag jetzt beim klanglichen Ergebnis, das in den Tempi insgesamt ausgewogen und erzählerisch, wenig von Trauer und Schmerz geprägt daherkommt, gar nicht meckern. Es hört sich interessant, manchmal auch überraschend stimmig an. Makellos sind das Freiburger Barockorchester und der Rias-Kammerchor engagiert. Aber ist da jetzt weniger Willkür als vorher im Spiel? Man wird ein komische Gefühl nicht los. Und schielt insgeheim nach den Süßmayr-Versionen im CD-Regal…
Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem. Rias-Kammerchor, Freiburger Barockorchester, René Jacobs (harmonia mundi)
Der Beitrag Brugs Beste: Nummer 13 – René Jacobs zäumt das Mozart Requiem wieder mal neu auf erschien zuerst auf Brugs Klassiker.