Ja, klar, es handelt ich hier um ein echtes italienisches Melodramma mit Liebe, Eifersucht, Vergewaltigung, Betrug, Mord und Todschlag. Da wird sterbend in einem Sack gesungen, zur viert in himmlischer Harmonie etwas jeweils anderes behauptet und sogar der pfeifende Gewitterwind hat Töne. Da gibt es Verfluchungen und Gassenhauer, Klischees und Angerührtsein – und ganz viel musikalisches Genie, das trotzdem superpopulär rüberkommt. Verdi, „Rigoletto“ eben, es finden sich wenige Oper die so populär und gleichzeitig so perfekt, so albern und so anrührend, Grand Guignol und reine Poesie sind, Theater und Wahrhaftigkeit. Wir sollen, das ist der Ursprung des Theaters als antike Kulthandlung, gereinigt sein, eine Katharsis erfahren, als bessere, zumindest verständigere Menschen in die Wirklichkeit zurückkehren – so zumindest die Theorie. Bei dieser neuer „Rigoletto“-Einspielung, im Studio entstanden immerhin, nicht einmal eine wirklich große, dafür sind Chor und Orchester und Dirigent nicht wirklich erstklassig (gut und solide schon), höre ich trotzdem sehr traurig zu. Denn es ist vermutlich die letzte Opernaufnahme von einem der bedeutendsten Sänger unsere Tage, Dmitri Hvorostovsky, der eben 55-jährig an einem Gehirntumor gestorben ist. Im Sommer 2016 hat er diese, eine seine großen Partien, für die er überall gebucht wurde, die er freilich gar nicht so oft gesungen hat, mit dem Kaunas City Symphony Orchestra unter Constantine Orbelian in Litauen eingespielt, für Delos, wie schon einige anderen CDs mit Arien, Duetten und russischen Schlagern, traditionellen und patriotischen. Denn die schöne, luxuriöse Zeit als Exklusivstar der Philips, die lag schon lange hinter ihm. Im Sommer 2016 – da wusste er schon, wie es um ihn stand, trotzdem lässt er sich auf den Fotos, die das lachende Ensemble zeigen, nichts davon anmerken. Ist sein Zustand zu hören? Das Mikrophon ist erbarmungslos, die Stimme hat nicht mehr den verführerisch virilen Schimmer von früher, er wirkt bisweilen kurzatmig, scheint sich manchen Ausbruch abzuringen; aber er hat gerade für den genarrten Narren an Nuancen und Farben dazugewonnen. Und so ist doch ein eindrückliches, vielfältiges Rollenporträt, mit dem sich Dmitri Hvorostovsky einmal mehr in die Galerie seiner großen Vorgänger einzureihen vermag. Zumal er so etwas wie Mitleiden und Weichheit bei diesem verstockten betrogenen Betrüger durchschimmern lässt. Und, das ist das irgendwie Tröstliche: Das Opernleben geht weiter. Auch wenn man hier betreten zuhört, wie ein Bedeutender, Beliebter (noch immer häufen sich die Erinnerungsfotos seiner Kollegen auf Instagram) sich bereit macht, auf immer von der Bühne der Kunst wie des Lebens abzutreten, glecihzeitig erblüht und offenbart sich hier vor dem Mikrophon neues Talent. Nicht so sehr Andrea Mastroni (Sparafucile) und Oksana Volkova (die sind ordentliche Edelnebenrollen), aber die anderen beiden Protagonisten, die gehören gerade zu den aufgehenden Vokalsternen: Nadine Sierra, als darstellerisch längst nicht ausgereifte, aber vokal imaginative Gilda, mit bisweilen etwas frühsäuerlichem Timbre. Mehr noch aber der Sarde Francesco Demuro als höhensicherer, jungmannforscher, nicht wirklich widerlicher Herzog, mit (hier zu) schönem Herzschmerztenorton. Und wem nach diesem wohlmöglich letzten Hvorostovsky-Hören sentimental ums Herz ist, dem sei unterstehendes Video (Achtung: mit Balalaika!) des russischen Antikriegssongs „Kraniche“ – Zhruavli“ empfohlen, der sich auf ein japanischen Papierfaltsymboltier einer Hiroshima-Überlebenden bezieht.
Giuseppe Verdi: Rigoletto. Dmitry Hvorostovsky, Nadine Serra, Francesco Demuro u.a., Kanaus State Choir and Symphony Orchestra, Constantine Orbelian (Delos)
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