Jean Sibelius auf Tonträgern, das ist eigentlich eine Erfolgsgeschichte. Nicht nur, weil nach wie vor beim Label BIS mit dem anlässlich des 50. Todestages zwischen 2007 und 2011 das Gesamtwerk mit finnischen Kräften eingespielt wurde. Und sich zu über 80 Stunden Spielzeit addieren lässt (auch wenn nicht jede sämtliche Tondichtungs-Varianten braucht…). Doch ist die sich zur CD-Fototapete addierende Edition nicht ganz billig. Und pünktlich zum heutigen 150. Geburtstag haben zumindest die Deutschen an diesem hier lange im Repertoire vernachlässigten Komponisten etwas gut gemacht. Wobei – wenn wundert’s? – natürlich ein Engländer die treibende Kraft war. Nachdem er schon mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra alle Sinfonien in einer sehr guten Interpretation eingespielt hatte, konnte Simon Rattle, wahrlich eine Sibelius-Autorität, nun auch erstmals mit den Berliner Philharmonikern auf deren Eigenlabel alle sieben Sinfonien vorlegen.
Die bearbeiteten Live-Aufnahmen von Anfang 2015 klingen so makellos wie sie edel in einem selbstredend in Meeresblau gehaltenem, rechteckigem Pappschuber samt Pure-Audio-Bluray und Video-Bluray untergebracht sind. Sie bereiten uneingeschränktes Hörvergnügen. Der Sound ist satt, aber schlank, Rattle lässt meist flüssig, klar, rhythmisch flexibel musizieren. Das ist kein dunkel gründelnder nordischer Barde, der hier säuselt und grummelt, dieser Sibelius zeigt Muskeln, kommt aber in hellen Farben daher, Finnlands Nationaltöner für das 21. Jahrhundert. Und trotzdem spürt man hier die Wärme der Sympathie, die selbst das Sibelius immer noch zweifelnd gegenüber stehende Orchester mitreißt und überzeugt. Hier scheint sich wirklich jede Stimme zum Instrumentalchor zu verweben, das begeistert im Flächigen wie im solistischen Detail als ein großer sinfonischer Klangbogen. Und gerade die intrikate Mischung aus punktueller Klauberei und großem Ganzen ist es ja, die diese Musik gar nicht so leicht zu spielen macht. Es muss laufen, aber die Stromschnellen dürfen nicht einfach nur übersprungen werden.
Starke Konkurrenz, auch was Auftritt und Verpackung angeht, bekommt Berlin freilich – und das soll auch so sein – direkt aus Helsinki. Im neuen Musikcenter hat dort Hannu Lintu mit seinem Finish Radio Symphony Orchestra alle Sinfonien auf Bluray aufgezeichnet. Zu den souverän bewegten Konzertbildern und einem satten, markanten Klangideal kommen auch noch eigens erstellte Einführungen mit dem 48-jährigen Dirigenten, der sich so nachdrücklich als Sibelius-Größe empfiehlt, Zusätzlich gibt es ein TV-Special über Sibelius, Lintu und die 7. Sinfonien sowie eine achteilige Serie von experimentellen Kunstfilmen zum Thema, die das finnische Fernsehen zum Jubiläum in Auftrag gegebenen hat. Das alles wurde von Arthaus Musik in eine attraktive Box verpackt.
Parallel zu diese so glänzenden wie klanglich blankgeputzten Neuaufnahmen, kann man sich preisgünstig mit der historischen Sibelius-Rezeption beschäftigen. Warner Classics hat seine Archivbestände durchkämmt und ist auf sieben CDs fündig geworden: man kann in den sorgfältig restaurierten Zeugnissen aus den Jahren 1828-45 sogar den Komponisten selbst am Pult erleben, meist aber den von ihm präferierten Weggefährten Robert Kajanus, auch die von Sibelius selbst am meisten geschätzten Dirigenten Thomas Beecham und Serge Koussevitzky, die seine Musik schon früh international durchgesetzt haben. Neben allen Sinfonien gibt es eine Auswahl der Tondichtungen, Lieder, das Streichquartett und natürlich das Violinkonzert, eine klassische Aufnahme von 1935 mit Jascha Heifetz. Und das alles zum Schnäppchenpreis.
Ebenfalls gut fährt man mit einem anderen sinfonischen Sibelius-Zyklus, der zu seiner Lebenszeit eingespielt wurde. Dem, den Anthony Collins von 1952-1955 mit dem London Symphony Orchestra aufgenommen hat. Diesem Unternehmen war ein lebhafter Briefwechsel mit dem Komponisten vorausgegangen, man hört quasi eine sanktionierte Interpretation, auch wenn man heute nicht mehr allem folgen mag. Passend dazu hat die Decca für die insgesamt elf Alben ihrer historisch wertvollen „Sibelius: Great Perfomaces“-Box Zeitgenössisches dazugepackt: Thomas Jensens Karelia-Suite, das Violinkonzert mit Ruggero Ricci und Oivin Fjeldstad, Eduard van Beinums Tapiola und Finlandia, Lieder mit Birgit Nilsson und Bertil Bokstedt sowie sinfonische Werke in den packenden Interpretationen der Berliner Philharmoniker unter Hans Rosbaud.
Auf 14 CDs kommt eine generalistische Sibelius-Auswahl aus jüngerer Stereo-Zeit bei der Deutschen Grammophon. Diese Kiste ist als Ersteinstieg gut zu gebrauchen. Mit Anne-Sophie Mutter, den Berliner Philharmonikern, dem Turku Philharmonic Orchestra, der Academy of St. Martin in the Fields, dem Helsinki Radio Symphony Orchestra, dem Gothenburg Symphony Orchestra und dem Orchestre de la Suisse Romande unter Herbert von Karajan, Leonard Bernstein, Neeme Järvi, Okko Kamu und Sir Neville Marriner greift man garantiert nicht daneben; wenngleich vieles etwas geschmacksneutral bleibt.
Für Kuriositäten, und das ist natürlich typisch, macht sich hingegen der kauzig-knorzige Rauschebart Leif Segerstam in Neuaufnahmen mit dem Turku Philharmonic Orchestra bei Naxos stark. Auf sechs CDs hat er die gesammelten Sibelius-Schauspielmusiken eingespielt. Die waren ihm einst eine stetige Erwerbsquelle, festigten auch in der Heimat seinen populären Ruf. Zu erleben ist hier eine Experimentierküche der Stile und Stimmungen, der klanglichen Verkleidungen und Anverwandlungen. Meist ist das schön schmeichelnde Musik, von harmlos bis avantgardistisch, die oft ganz anders klingt, als es dem gängigen Sibelius-Bild entspricht. Und die deshalb immer wieder überrascht. Zumal sie mit viele Liebe zur Sache und zu den Details vorgetragen wird.
Nein, zumindest auf dem Tonträgermarkt kann sich Jean Sibelius also nicht über mangelnde Aufmerksamkeit beklagen.
Der Beitrag CD: Jean Sibelius zum 150. Geburtstag erschien zuerst auf Brugs Klassiker.