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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Elisabeth Schwarzkopf 100: Töne wie Zuchtperlen

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Schwarzkopf„Ja mit dieser Stimme kann selbst ich Ihnen nicht helfen. Hie haben sie 10 Mark, kaufen Sie sich draußen ein Glas Sekt und kommen Sie bloß nicht wieder“. Böse Worte von einer verbiesterten, alten Frau bei einer ihrer späten, berühmt-berüchtigten Meisterklassen im Liedmekka Schwarzenberg. Fast ausgespien von einer eisernen, eiskalten Diva, die nicht loslassen konnte, die die Vergangenheit verklärte, aber nie klärte: zum Beispiel ihre Mitgliedschaft in der NSDAP, ihre Filme unter dem Goebbels-Protektorat, ihrer Siegerauftritte im besetzten Paris, ihre Ostfronteinsätze. Sie heiratete später, als alles vorbei war, eine bedeutenden Juden, der sie nicht immer nur pfleglich behandelt haben soll, sprach stets in leicht masochistischer Weise von sich als die Stimme dieses, ihres Herren – des EMI-Gewaltigen Walter Legge. Die Rede ist natürlich von Elisabeth Schwarzkopf, die heute 100 Jahre alt geworden wäre.

Vor neun Jahren ist sie gestorben, einsam, weit weg, hinter den komplett vergitterten Fenstern ihrer Erinnerungen im Vorarlberger Alpendorf Schruns. Am 3. August 2006, im Mozartjahr; bei den Salzburger Festspielen war gerade „Così fan tutte“-Premiere: „Soave si il vento – süß sei der Wind, ruhig die Welle“. Der damalige Intendant, Peter Ruzicka, fand keinerlei Premierenvorhangwort der fälligen Widmung. Dabei war gerade die Fiordiligi eine jener Partien, in denen Elisabeth Schwarzkopf ihre artifiziell verfeinerte Kunst des Ziergesangs als zweiter Natur wie mit dem Silberstift gezeichnet zum zart mattierten Glänzen bringen konnte. Töne wie Zuchtperlen, aufgefädelt zur harmonischen Kette. Gelang das, dann war sie ganz groß.

Doch heute, 44 Jahre nach ihrem letzten, zu späten Opernauftritt in Brüssel und 36 Jahre nach ihrem letzten Rezital, schien La Schwarzkopf auf einmal sehr passé. So manche andere, damals aufstrebende Sängerin, die sie erbarmungslos runtergeputzt hatte, führt sie trotzdem bis heute als Mentorin im Lebenslauf auf. Als ob die Casting-Direktoren nicht Bescheid wüssten… Nur die ewig gleichen Hagiographen stochern noch in ihrer längst erkalteten Sopranistinnen-Asche, erzählen die ewig gleichen Anekdötchen, verklären sie pflichtschuldig mit dem ewig gleichen, dadurch auch nicht besser und richtiger werdenden Formulierungen. Die heilige Elisabeth als Kukident-Patronin einer Perlweiß-Singzeit (sie ließ ihre Zahnlücke auf den LP-Covern immer akribisch nachretuschieren), mit Sagrotan geschrubbt, auf immer als Übermarschallin eines Nierentisch-Rokoko ausgestopft und in der Gute-Stube-Vitrine neben den Sammeltassen entsorgt.

Schwarzkopf2Doch jetzt feiert die selbstredend Unsterbliche ein erstaunliches CD-Comeback. Dabei hat Warner als EMI-Nachfolger eigentlich nichts anders getan, als sich auf die Schwarzkopf-Basics zu beschränken und zum 100. Jubiläum ihre sämtlichen Rezitals herauszubringen. Auf 31 Silberscheiben in einer eher sparsamen Schachtel, bedenkt man: Sie war mal die Gattin vom Chef! Nicht dass die erkaltet geklaubten Preziosen vergriffen gewesen wären, ein Großteil ihres tönenden Nachlasses gehört zum nach wie vor geldwerten EX-EMI-Erbe; doch dabei handelt es sich vor allem um die Opern an der Seite illustrer Kollegen.

„The Complete Recitals 1952-74“, beinhaltet zwar nicht wirklich alles von ihr mit Legge Aufgenommene (so fehlen zum Beispiel die Nicolaus Medtner-Lieder von 1950, oder der Versuch einer Zusammenarbeit mit Glen Gould – den die Sony bewahrt und sogar mit allen vorhandenen Outtakes veröffentlich hat, ein Musterbeispiel zwei hochbegabter Musikkönigskinder, die nicht zueinander kommen konnten, weil das Wasser ihrer Egos viel zu tief war), aber es wird doch ziemlich neu und revolutionär präsentiert. So lächelt die Schwarzkopf von teilweise denselben, immer zuckersüß gestylten Originalcover-Fotos als wie bis in die letzte, perfekt ondulierte Haarsträhne in Kunstharz gegossene Primadonna selbst ihren jüngsten Fans entgegnen. Und vor allem: Es wurde, anders als bei vielen, oft auf einen einzigen Komponisten konzentrierten Kompilationen jüngerer Zeit, die originalen Programmabfolgen in der historischen Erscheinungsreihe eingehalten.

So wird das mit den Jahren etwas stumpf gewordene Schwarzkopf-Bild wieder bunter, experimentierfreudiger, durch die aufhellende akustische Restaurierung zudem klarer und griffiger: Der weichzeichnende Milchglaseffekt ist weg. Man erlebt einen wachen, kreativen Geist bei der souveränen Zelebration seiner Kunst. Zwar immer noch oft genug mit Zuckerschnuten-Effekt und beträchtlichem Manierismus-Potential, aber auf welchem, auch oft sehr eigenwilligen Niveau! Überraschend pampig und abgeklärt kommt etwa plötzlich ihre Arabella daher, gläsern fein Waltons Cressida, die sie dann (anders als die Anne Truelove Strawinskys) doch nicht uraufführte, aber immerhin in Auszügen einspielte.

Subtil das Schwarzkopfsche Farbenspiel bei Schubert und Schumann, unendlich ihr Nuancenreichtum beim von ihrem Mann besonders geliebten Hugo Wolf, wo sie wirklich einmalig mit der Stimme malt und koloriert. Immer wieder grandios in ihrer espritvollen Künstlichkeit sind die Operettenarien und die Weihnachts-CD (samt Osterhymnus!). Perfekt gespielt herzinnig klingen die romantischen Opernauszüge. Man mag sogar die Schwarzkopfschen Mozart-Einspielungen bewundern, mit dem damals üblichen Stuckabschlagen der Verzierungen steifer als gedacht und trotzdem im fein weggetretenen Klangfluss. Doch gerade die Mozart-Lieder berühren immer noch nicht. Denn das Artifizielle wird hier nie wieder Naturlaut. So rette man sich in die abgeklärt dunkelgründigen Vier letzten Strauss-Lieder (gleich zweimal) und entzücke sich an kleinen Dingen, etwa dem glockig perfid perlenden Schweizer Volkslied: „O, du liebs Ängeli, Rosmarinstängeli“.

Elisabeth Schwarzkopf: The Complete Recitals 1952-1974 (Warner Classcis)

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