Stefan Herheim, der vielgefragte norwegische Regisseur, soll als nächster Intendant das Theater an der Wien übernehmen. Das wird wohl morgen verkündet werden. Der 47-Jährige wird aber wohl erst 2022 anfangen, sei es, weil er mehr Vorbereitungszeit braucht oder weil er noch zu viele anderweitige Verpflichtungen hat. Deshalb wird wohl der gegenwärtige Amtsinhaber Roland Geyer um zwei Jahre verlängert werden. Der 64-jährige Gründungsintendant in der neuen Funktion der städtischen Bühne als drittem Opernhaus der Stadt hat dieses Amt seit 2006 inne. Das historische Traditionstheater erhält zusammen mit der Musicalsparte im Raimundtheater und im Ronacher 40 Millionen Euro Subvention. Bis Ende Mai war die hochattraktive Position für eine Stagione-Bühne mit maximal einer Premiere im Monat und wenigen Konzerten sowie einem in der Kammeroper beheimateten Opernstudio neu ausgeschrieben worden. Damals hieß es auch, man können sich eine Person als Kopf der Opern- wie Musicalsparte vorstellen. Zunächst wollte man vor den Sommerferien fündig geworden sein, dann zog sich die Kür doch bis Weihnachten hin. Zuletzt waren nur noch berühmte, aber nicht unbedingt geeignete Namen im Gespräch: Neben dem Dirigenten Marc Minkowski, der gegenwärtig der Opéra National de Bordeaux vorsteht, war auch von dem Regisseur Christof Loy sowie dem Duo Teodor Currentzis/Nikolaus Bachler die Rede. Das Musical bleibt wohl separat, und auch hier deutet sich eine Verlängerung des gegenwärtigen Intendanten Christian Struppeck an.
Das Theater an der Wien soll vor allem Stücke spielen, die das Repertoire von Staats- und Volksoper ergänzen, Barockoper, Moderne, Belcanto. Freilich hätte man sich dort in den letzten Jahren weit spannender Experimente mit der Form (so wie sie jetzt mit einem dreiteiligen „Ring“ nicht unerfolgreich unternommen wurden) gewünscht sowie eine größere Bandbreite von auch einmal radikalen Regiehandschriften. In dieser Hinsicht dümpelt Wien als Museum seiner selbst dahin. Stefan Herheim hat hier beispielsweise nur ein einziges Mal gearbeitet: 2004 kam seine Sicht auf Puccinis „Madame Butterfly“ an der Volksoper heraus.
Das hat auch der für ab 2020 designierte Staatsopernchef Bogdan Roščić, dessen Plagiatsverfahren wegen einer angeblich abgeschriebenen Doktorarbeit kürzlich eingestellt worden ist, schon längst auf seine Oper 4.0.-Agenda gehoben. So hört man vom Haus am Ring, dass er dort die Zahl der frischen Produktionen drastisch erhöhen möchte, wobei er einerseits neben Neuinszenierungen von anderswo eingekaufte Spitzenversionen der jeweiligen Werke spektakulär in das laufende Repertoire implantieren und die teils schrecklichen Standardladenhüter ersetzen will. Das klingt gut, die Frage ist nur, wie sich das finanzieren lassen und wie sich solches in den sowieso schon engen Dienstplan der Philharmoniker einflechten lassen wird. Zudem muss sich erst noch weisen, wie sich das Verhältnis des noch von Thomas Drozda (SPÖ) Engagierten zu Gernot Blümel (ÖVP), dem neuen, für die Kultur zuständigen Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien entwickeln wird. Und nachdem der von Dominque Meyer engagierte Ballettchef Manuel Legris, der für ein solides, aber wenig auffälliges Programm stand, ebenfalls kürzlich seinen Abgang für 2020 erklärt hat, muss Roščić auch den Tanzposten neu besetzen. Immerhin hat er so zwei Jahre länger kreativen Vorlauf, wenn in dieser Zeit am Naschmarkt weiterhin alles erst mal beim Geyer-Alten bleibt.
Man wird sehen, was Stefan Herheim, der in Österreich vor allem in Graz und bei den Salzburger Festspielen gearbeitet und in letzter Zeit seine Präsenz mit Neuinszenierungen schon deutlich reduziert hat (diese Saison folgt auf den neuen „Wozzeck“ in Düsseldorf nur noch eine frische Inszenierung von Offenbachs „Barbe-bleue“ an der Komischen Oper Berlin), in Wien also für Schwerpunkte setzten wird. Er hat noch nie ein Haus geleitet, stellte an anderen Bühnen meist Maximalforderungen. Herheim-Inszenierungen sind komplex und fordern alle Gewerke. Wen also wird er an Handschriften neben sich zulassen? Wohl wird vermutlich sein bewährter Dramaturg Alexander Meier-Dörzenbach mit von der Wien-Partei sein; der hat immerhin Angestelltenerfahrung, war von 2015-15 auch Chefdramaturg des Aalto-Theaters Essen. Wird Herheim dann aber, ähnlich wie es Jossi Wieler in Stuttgart praktiziert, als Regisseur nur noch in Wien zu erleben sein? Wie man hört, soll er sich auch für den Nachwuchs interessieren und wohlmöglich wird es dafür auch am Theater an der Wien weitere Initiativen geben. Und noch einmal nachzudenken wäre auch, ob dem Haus nicht zumindest ein assoziierter Dirigent gut tut, der zwei bis drei der Neuinszenierungen betreut, es muss ja nicht ein Überbeschäftigter wie Teodor Currentzis sein…
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