Ja, wir geben es zu, das Titelfotos dieser CD ist gewöhnungsbedürftig: Zwischen glubschigem Weltenschlamm blickt uns einäugig eine weißgekalkte Sopranistin an. Klappt man weiter, gibt es nochmals Matsche, eine Nachthemdgewandte wahlweise im Gegenlicht und von der Sonne angestrahlt an griechischem Steinstrand (Lesbos!). Aufgenommen wurde freilich in der wunderfeinen Konzertbetonkiste im oberpfälzischen Bleibach. Schließlich strecken sich da zwei Hände fotografisch ihrem Schatten entgegen. Das muss man eben hinnehmen, so wie die wechselnden Haarfarben der Marlis Petersen. Aber das tun wir gerne. Denn verbirgt sich dahinter nicht irgendeine schräge Esoterikjule (auch wenn sie immer eine Handbreit über dem Boden zu schweben scheint), sondern eine smarter Schwaben-Sopran aus Sindelfingen, mehr noch eine der besten, weil bannenden Sopranistinnen der Welt. Die als abgedriftete Lulu und verrückte Ophelia auf den berühmten Bühnen ebenso begeistert wie als Traviata oder Königin der Nacht, als Henzes Phedra und Reimanns Medea. Ihre Stimme ist kristallin und verhangen, hellschwebend, und dunkel in die Tiefe horchend. Sie ist eine traumwandlerisch sichere Gestalterin, von Melodiephrasen, mehr aber noch von Worten. Was sie immer wieder auf ihren kostbaren Liedalben unter Beweis gestellt hat. Und jetzt gleich dreifach konzipiert hat als weltumfassende Klangphilosophie-Geste. „Dimensionen.Welt“ heißt die erste von drei Konzeptscheiben, der dann die „Anderswelt“ der Elfen, Feen und Trolle sowie die „Innenwelt“ als Hören und Schauen in sich selbst folgen soll. Ganz im Diesseits, in der Schöpfung zwischen „Himmel und Erde“, „Mensch und Natur“ schwelgt also die erste, in vier Themenschwerpunkte unterteilte Marlis-Petersen-Runde, zu der sich noch „Los und Erkenntnis“ sowie „Hoffnung und Sehnsucht“ gesellen. Dazu haben Petersen und ihr partnerschaftlicher Begleiter Stephan Matthias Lademann Lieder aus hundert Jahren deutschen Sangesromantik von Schubert, Schumann und Brahms gebündelt; dazu kommen dann Hans Sommer, der Skandinavier Sigurd von Koch, Richard Wagner und Clara Schumann. Bekanntes mischt sich mit Raritäten, Fröhliches mit Kontemplativen, intelligent und überraschend abgeschmeckt. Und es endet mit einer zarten, fast lakonischen Hans-Sommer-Conclusio in vier Goethe-Zeilen: „ Willst du immer weiter schweifen? / Sieh, das Gute liegt so nah. / Lerne nur das Glück ergreifen, / denn das Glück ist immer da.“ Dem freilich sind 60 Minuten wonnestrahlend nachdenklicher Liedkunst vorausgegangen, in denen jeder Ton wohlgesetzt war und die dennoch herrlich spontan wirkten. Auch weil die – wir sind indiskret – fast 50-Jährige mit einer kindlich frisch gebliebenen, intensiv klaren, völlig intakten, souverän gehorchenden Stimme singt, die trotzdem die reflektierende Weisheit und gelassene Würde einer reifen Frau hat. Zum Verlieben, wenn das nicht sowieso schon passiert wäre! Übrigens: Marlis Petersen wird bald für eine Spielzeit eine größere Rolle bei Kirill Petrenkos Berliner Philharmonikern spielen…
Marlis Petersen: Dimensionen – Welt. Lieder von Robert Schumann, Hans Sommer, Johannes Brahms, Sigurd von Koch, Richard Wagner, Clara Schumann. Stephan Matthias Lademann (Solo Musica)
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