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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Jahreswechselkonzerte 2018: Nazi-Schlager, Schindlers Liste, Trump-Schelte

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Die Politik und die Zeitumstände, sie holte diesmal auch die diversen Silvester- und Neujahreskonzerte ein. „Take Care of this House“. Das war nicht nur eine Aufforderung des scheidenden Berliner-Philharmoniker-Chefs an sein Publikum ,auch weiter auf diese wunderbare Institution achtzugeben. Hier wurde zudem mit eine Ausschnitt aus der „White House Cantata“ dem in 2018 anstehenden 100. Geburtstag Leonard Bernsteins gedacht. Und Simon Rattle musste eigentlich nur sagen, dass er nichts sagen musste, als dann die US-Mezzosopranistin Joyce DiDonato mit deutlich doppeldeutiger Stimme das Wort an den gegenwärtigen Bewohner richtete: „Keep it from harm. / If bandits break in, / Sound the alarm.“ Silvester mit Botschaft also. Dazu die typische, eher unfestliche, klanglich durchaus herausfordernde Rattle-Mischung aus Schostakowitsch (aus dessen störrischem Ballett „Das goldene Zeitalter“), noch mehr jazzigem Bernstein, Dvoraks „Karneval“-Ouvertüre und fünf hier etwas deplatziert kontemplativen Strauss-Liedern (von denen jahreszeitlich höchstens „Die heiligen drei Könige“ passten), die Joyce DiDonato vergleichsweise schnell, ohne Renée Flemingsche Legato-Fülle und –Ruhe, aber mit viel Ausdrucksnuancen sang. Dazu die üblichen slawischen und ungarischen Tanzzugaben von Dvorak und Brahms, auch das inzwischen eine Rattle-Tradition. Trump-Schelte und ein Zuhör-Programm – für 270 Euro Silvesterspitzenpreis und mit den üblich orangenen TV-Übertragungsneonleisten in den Philharmonie-Rängen vielleicht ein wenig dürftig….

Was hätte man daraus alles machen können! Da singt dieselbe Interpretin Hits der Regimegegnerin Marlene Dietrich wie der Kollaborateuse Zarah Leander, erst in deren Schwanenflaumumhang, dann in einem dem Propagandafilm „Die große Liebe“ nachgeschneiderten Kostüm. Das hätte eine subversive musikalische Lehrstunde über Gut und Böse, den Tanz auf dem Vulkan, die Ufa als Traumfabrik und NS-Mythenschmiede werden können. Mit einem wissenden, intelligenten Conférencier als Mischung aus Gustaf Gründgens und „Cabaret“-Emcee. Wohl zu viel verlangt. Jetzt haben wir nur den breit grinsenden Christian Thielemann dastehen, in Bild gerückt von totalitären Kamerafahrten,  der eher bräsig seinen Dresdner Staatskapelle leitet. Das hat so viel Sex und Temperament wie das Kurkonzert in Warnemünde.

Und in der ZDF-Übertragung verbreitet die mahnende Kommentatorinnenstimme meist nur schlechtes Gewissen. Am Ufa-Konzertanfang steht Hollywood-Musik des jüdischem Komponisten Erich Wolfgang Korngold. Das soll wohl daran erinnern, dass die Semperoper eben auch dessen „Tote Stadt“ herausgebracht hat, hier freilich ist nur davon die Rede, dass „er 1938 aus Wien emigrieren musste“. Ja warum wohl? Peppig sind immerhin die Tanzkapellen-Nummern von Marek Weber, die dirigentenlos vorbeiswingen. Daniel Behle hingegen schmettert forsch und zwischentonlos direkt wie ein Heinz Rühmann mit Opernausbildung. Angela Denoke hat inzwischen ein eher sauerampferhaftes Vibrato, und Thielemann lässt alles in dickem Orchestersound versuppen oder als fade 5-Uhr-Tanztee-Mischung köcheln.

Und dann kommen sie, die beiden, in letzten Tagen kontrovers diskutierten Nazi-Schlager  „Davon geht die Welt nicht unter und „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“. Der Off-Kommentar liefert die Aufklärung, spricht über geschichtliche Ambivalenz der Rezeption (der Goebbels-Auftrag dieser Nummern war freilich eindeutig), die Semperoper aber thematisiert das gar nicht und Thielemann relativiert es nun. Wieder singt Elisabeth Kulman, „sie versteht es als Pflicht ihrer Künstlergeneration, sich mit diesem Repertoire auseinanderzusetzen und bietet nun ihre eigene, reflektierte Neuinterpretation an“, behauptet die Kommentatorin. Erst walzerleicht, dann fast orchesterlos, im grauen Luxustrümmerfrauenkleid als fahle, betroffenheitsschwere Opernballade. Das Saallicht geht aus wie einst beim Fliegerverdunklungsalarm. In der Piccoloflöte erklingt „Lilli Marleen“. Man spielt das kontaminierte Material, entstellt es aber zur Unkenntlichkeit und verbiegt es im vermeintlich politisch korrekten Sinn. Ist das nun die richtige Interpretationsart? Hauptsache, Thielemann konnte mal wieder provozieren. Ein schales Gefühl bleibt. Und ein verpasste Chance.

Beim Deutschen Symphonie-Orchester hatte man sich zum 14. Mal (und inzwischen auch traditionsgemäß) mit dem Circus Roncalli im Berliner Tempodrom zusammengetan. Und während die Artisten auf Stangen schwingen, über Trampoline fliegen, auf Seilen schaukeln und Seifenblasen blubbern, animiert der Hollywood-Spezialist John Wilson die gut gelaunten Musiker zu einer schwungvollen Filmmusik- und Musicalmischung. Kim Criswell beschwört voluminös das Showbiz und lässt den „Trolley Song“ klingeln. Einen Misston stiftet hier nur die Kontorsionistin und Zirkusdirektorentochter Lili Paul, die ihren schönen Körper ausgerechnet zur süffigen John-Williams-Geigenmelodie aus „Schindler Liste“ verbiegen wollte. Mag Konzertmeisterin Byol Kang das noch so einfühlsam spielen, es passt einfach nicht! Doch Clowns und „My Fair Lady““, Glitterkaskaden aus der Zirkuskuppel und Konfettikanonen zum Finale lassen das schnell wieder vergessen.

Same Proceduce as Every Year natürlich auch beim erstmals Silvester 1939 für das Nazi-Kriegswinterhilfswerk veranstalteten Wiener Neujahrkonzert, zum 5. Mal mit Riccardo Muti im Pult. Der kann nicht Walzer tanzen, mag keine Zugabenscherze und geht zum Lachen in den Keller. Inmitten von rosa Nelken, Rosen und Anthurien gerät das im Goldenen Musikvereinsaal zu einer eher steifleinernen Angelegenheit. Politisch unkorrekt geht es mit dem „Zigeunerbaron“-Einzugsmarsch los, auch sonst wird wieder in der alten Konzertkleidung (der missratene Vivianne-Westwood-Versuch scheint endgültig vergessen) Frohsinnsdienst nach Vorschrift absolviert, mit der üblichen TV-Routine aus Balletteinlagen in hübschen Schlössern (100 Jahre Ende der Monarchie…) und österreichischen Postkartenansichten der Wiener Moderne.

So bleibt viel Zeit, auf Mutis seltsam gemusterte Krawatte zu starren und sich zu fragen, warum dem Orchester zwar den Wilhelm Tell-Galopp von Johann Strauß Vater (nach Themen des 2018 vor 150 Jahren gestorbenen Rossini) spielt, ihm aber die Erinnerung an den mit ihm eng verbundenen 100-jährigen Leonard Bernstein nicht wenigstens den Paris Waltz aus „Candide“ als klingende Hommage wert war. Dafür gibt es sechs Neujahrskonzert-Premieren, auch von Franz von Suppé und einem gewissen Alfons Czibulka. Wer’s braucht…Mal sehen, was sich Christian Thielemann zum Wiener Neujahrskonzert 2019 einfallen lassen wird.

Neu im Konzerthausreigen ist die Elbphilharmonie, wo man zwar noch keine wirkliche Jahresendtradition etabliert hat, aber immerhin zum neuen Jahr einen originellen Begrüßungsclip verschickte: Vier Fensterputzer feudeln hoch über dem Hafen an der schon berühmten Glasfront quietschend den auch in Wien stets als vorletzte Zugabe zu hörenden Donauwalzer. Also: ein glückliches 2018 auch meinen Lesern!

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