Quantcast
Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
Viewing all articles
Browse latest Browse all 826

Bernstein-Hommage und „Wien bleibt Wien“ beim Philharmonikerball

$
0
0

Ist er es wirklich? Ja, morgens kurz vor elf betritt Rainer Honeck mit seinem Geigenkasten durch einen Seiteneingang die Wiener Staatsoper, um bei der Generalprobe von Edward Clugs drögem „Peer Gynt“-Ballett die gleichnamige Bühnenmusik von Edward Grieg zu spielen. Ein paar Stunden vorher hat er noch im Musikverein unter der wie immer possierlich anzusehenden Stabführung des Ex-Startenor-Nun-Bariton Plácido Domingo die „Ballsirenen“ von Franz Lehár und den Waltz aus dem Divertimento von Leonard Bernstein gegeigt. Und nachher ist er uns noch im tiefen Keller beim zum Makart Musik Atelier umgestalteten Gläsernen Saal beim entspannten Abhängen begegnet. Ja, ein Konzertmeister der Wiener Philharmoniker muss im Dauerdienst zwischen Staatsoper und Musikverein mit sehr wenig Schlaf auskommen können. Doch wenn zum 77. Mal im Goldenen Saal samt Resthaus der Philharmonikerball veranstaltet wird, dann ist noch weniger als sonst an etwaige Ruhezeiten zu denken. Das gilt ganz besonders, bei dem eingetragenen Verein machen ja die Mitglieder (fast) alles selbst), auch für den Herrn Professor Magister Paul Halwax, der nicht nur die Solotuba bläst, sondern auch den Ball organisiert. Und der um halb ein Uhr nachts endlich entspannt im ausgeräumten Bösendorfer-Stadtverkaufssalon im Erdgeschoss den Ehrengästen beim Vorstandscercle wieder einmal in Kochschürze die Putenkäsekrainer aus der Metzgerei seines Bruders serviert.

Ja, der schönste, feinste, festlichste, auch tanzfreudigste, den Ohren angenehmste Ball in der Weltballhauptstadt Wien ist wieder ein voller Erfolg geworden. Weil hier alles stimmt, der Rahmen, das Programm, die Musik, die Gäste. Seit im zweiten Jahr nun Frackzwang herrscht,  sind alle Herren untadelig gekleidet, die Damen haben sich ebenfalls viel Mühe gegeben,  geschmacklich nicht zu entgleisen. Hier muss keiner für die kaum vorhandenen Kameras posierten, hier präsentiert man sich nur, weil es Spaß macht. Und wer’s ganz dick hat (oder eingeladen wird), der begibt sich – in Wien beginnen die Traditionsbälle ja immer erst um 10 Uhr – vorher noch zum Champagnerempfang nebst Dinner ins Hotel Imperial. Da kann man die Garderobe gleich dort lassen, denn durchs Hintertürl geht’s nur über die Straße zu ehemaligen Kutschendurchfahrt des Musikvereins. Und als erste läuft einem gleich Nike Wagner über den Weg („die besten Selfies mit dem Kaiser Frank Joseph und dem Donauweibchen im Hintergrund auf der Prunkstiege, machen sie links ums Eck“), die man sich nicht unbedingt zwingend kaiserwalzend hätte vorstellen können.

22 Uhr, es geht los im danke der Blumen rosagetupften Goldenen Saal. Von oben tönen die Ausseer Fanfare von Gottfried Ritter von Freiberg und die eigens 1924 für den ersten Ball komponierte Wiener Philharmoniker-Fanfare von Richard-Strauss. Letztes Jahr war Plácido Domingo noch im Ballkomitee, dass sich ab 21 Uhr im Brahmssaal warmtrinkt, heute dirigiert er wieder die Philharmoniker zum Auftakt, wie schon 1984. Dafür schreitet Noch-Staatsoperndirektor Dominique Meyer ungebrochen an der Seite der zweit Köpfe größeren,  knallrot gewandeten Gambistin Maddalena de Gobbo einher. Und eine andere Madelaine, die Strauss-Urenkelin,  geht dahinter. Ebenso der neue Teilzeitkulturminister Gernot Blümel oder die immer alle toll und Spitzenklasse findende, jeden Künstler zwangsdutzende TV-Dame Barbara Rett. Bei der mehlwurmbleichen Schauspielerin Sunnyi Melles leuchtet die Handtasche mittels LED-Dioden, die Sänger Luca Pisaroni und Ludovic Tézier, die gerade Leporello und Don Giovanni an der Staatsoper geben, ziehen ein, und natürlich auch ihr Masetto, der ölige Adabei-Bariton Clemens Unterreiner.

Den Pisaroni hat auch ein anderer anwesender Ballorganisator, Tenor- und Operettenlegendensohn Daniel Serafin (an der Seite Modedesignerin Anelia Peschev) für seinen New Yorker Wiener Opernball engagiert, zusammen mit René Pape. Und beide sollen dort „La ci darem la mano“ singen, nur ist noch offen, wer als Zerlina! Die Opernball-Mama Maria Großbauer und ihre Vorgängerin Desirée Treichl-Stürgkh gehen sich formvollendet aus dem Weg. Scala-Intendant Alexander Pereira, selbst von Uradel, promeniert und selbstredend der österreichische Nationalpianist

.Die lange in unbequemer Handhaltung auszuharren habenden Mitglieder des 100-parigen Jungdamen- und Jungherren-Komitees tanzen schließlich ganz im Sinne des Ballmottos „Hommage an Wien“ (was sonst?) eine natürlich wieder vom Tanzmeister der Republik, Professor Diplomkaufmann Thomas Schäfer-Elmayer, einstudierte Choreografie zu „Wien bleibt Wien“, einem Marsch von Johann Schrammel, und zum Walzer „Weana Madln“ von Carl Michael Ziehrer. Die Debütantinnen tragen dabei die traditionelle Haarspange in Form eines Violinschlüssels aus Swarovski-Kristallen – dieses Mal im Farbton „Lavendel“. Dann war endlich, die Instrumente und Notenständer werden noch schnell in den berühmten Hohlraum unter der Parkettmitte verfrachtet, „Alles Walzer“. Der Saal schwingt, swingt und schwoft, auch wenn es bei den meisten, um der Pannenfreiheit willen, lieber rechts- als linksherum geht. Schäfer-Elmayer obliegt zudem selbstredend die Leitung der beiden Publikumsquadrillen um Mitternacht und um 2.00 Uhr früh. Letztere ist ja nach vollbrachter Gaudi und Hetz, weil die meisten die komplexen Figuren nur halbwegs beherrschen, für viele das Zeichen zum Aufbruch.

Während man den Jubilar mein Neujahrskonzert sträflich vernachlässigt hatte, steht der Philharmonikerball deutlich im Zeichen des heurigen 100. Geburtstages des Komponisten und Dirigenten Leonard Bernstein, der den Wienern nicht nur Gustav Mahlers bis dahin dort kaum gespielten Sinfonien nahegebracht hat, sondern in der Oper wie in Theophil von  Hanssens Goldenem Saal ein besonderes Nahverhältnis zu den Philharmonikern pflegte. Bernstein war Ehrenmitglied und trat in den 24 Jahren des gemeinsamen Wirkens bei rund 240 Konzerten und Opernabende mit dem Orchester auf. Jetzt  gibt in einem Barbereich eine sehr hübsche Fotoausstellung, seine Tochter Nina und sein Neffe Michael sind da, als Ballspende wird es später ein eigens geführtes Interviewbuch mit vielen Künstlern verteilt, die mit ihm gearbeitet haben.

Den Klängen des Ballorchester unter dem bewährten Professor Helmut Steubl wird zwischen Latin und Galopp wieder ausführlich tänzerisch Folge geleistet. Der tiefe Keller will hier immer, so viel Stiegen, erobert werden, dort warten etwa das Wiener Graben Ensemble oder die Philharmonia Schrammeln. Zum Finale strandet man wie stets in den grüngittrigen Heurigen-Lauberln auf dem Halbstock in der Orchestergarderobe. Da, wo Hans Hindler und seine fidelen Oberkrainer  aufspielen, beim Veltliner, der Gulaschsuppe und den Bierseideln. Und leider geht es diesmal ohne Demel-Hörnchen als Frühstücks-Ballspende betütet hinaus – in die trotzdem noch dreivierteltaktsummende, gar nicht mehr lange, aber nasse Wienernacht…

Der Beitrag Bernstein-Hommage und „Wien bleibt Wien“ beim Philharmonikerball erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 826