In kaum einer Kunstform wird der Kulturenknall zwischen Amerika und Europa so überdeutlich wie in der zeitgenössischen Oper. Hier das Festklammern am Elfenbeinturm einer Sägezahn-Moderne, da die Sehnsucht nach großen, möglichst durch Buch, Bühne oder Film schon vorgekauten Themen in Starbesetzung. Beim angerührten Madrider Publikum im Teatro Real ist zu erleben, was passiert, wenn so ein neueres US-Werk, perfekt mit sangbaren Emotionen spielend, auf den Hort der Tradition trifft. Jake Heggies streng nach dem Tatsachen-Buch von Sister Helen Prejean und dem gleichnamigen Hollywood-Film modellierte Oper „Dead Man Walking“ wurde ein heftig akklamierter Erfolg. Das in zwei Gesamtaufnahmen vorliegende Werk dürfte mit über 300 Aufführungen in mittlerweile 58 Produktionen weltweit die meistgespielte zeitgenössische Oper sein.
Die bewährten Regeln der Gattungskunst folgt, nichts neu erfindet. Da wird in Louisiana die patente Sister Helen bei ihre Gemeindesingarbeit gezeigt und dann ihr eher zufällig begonnener Weg zu und mit dem Todeskandidaten Joseph deRocher verfolgt. Erst im Angesicht der Todesbahre gesteht dieser den Mord an zwei Teenagern. Für das – amerikanische – Publikum ist das Für und Wider um die Todesstrafe, um Sühne und Vergebung in den Mittelpunkt gerückt. Bis die Sister am Ende ihren leitmotivischen Gospelsong neu anstimmt.
Heggie komponiert effektive, oft simple Stimmungsmusik, die das Gesagte verstärkt, selten – wie im Sextett zwischen den auf Vergeltung sinnenden Elternpaare oder in den beiden Verdi-haft sich dynamisch wie personell steigernden Finali – sich ins Opernhafte weitet. Als Regisseur hat man hier nicht viel zu melden, man schafft Stimmungen. So begreift sich auch Leonard Foglia als dienender Szenendirektor. Wichtiger noch als die einfache auf mehreren Ebene zu bespielenden Bühne von Michael McGarty ist das verstärkende Licht von Brian Nason.
Madrid hat am Pult des so schön wie präzise klingenden Orquesta Tutular de Teatro Real in Mark Wigglesworth einen wirkungsvollen Klangverwalter. Und ein tolles, stimmiges Ensemble. Das reservierte Mitgefühl der Sister Helen von Joyce DiDonato setzt überwältigende Zäsuren in seiner echten, intensiven Schlichtheit. Stark auch Barihunk Michael Mayes als uneinsichtiger, am Ende ergebener Joseph deRocher. Maria Zifchak ergreift als dessen verhärmte Mutter. Das Teatro Real hatte den Mut, mal eine andere, durchaus gültige Art von Musiktheaterästhetik zu ihrem Recht kommen zu lassen. Bald mehr in Oper! Das Magazin.
Der Beitrag Im Glauben fest: Joyce DiDonato als Sister Helen in „Dead Man Walkin“ in Madrid erschien zuerst auf Brugs Klassiker.