Gruselig oder genial? So recht beantworten lassen wird sich diese Entscheidung sich erst wohl 2020, wenn Sergio Morabito als graue – besser: kahle – Chefdramaturgen-Eminenz die Direktionsetage der Wiener Staatsoper kapern wird. Der dann 56-Jährige, als langjähriger Leitungsmitarbeiter der Stuttgarter Oper für ein starloses Hardcore-Regie- und Dramaturgentheater alter Frankfurter Zehelein-Schule stehend, manifest auch darin, dass ihn sein Intendant und Interpretationsgefährte Jossi Wieler seit einigen Jahren zum gleichberechtigten Ko-Regisseur der gemeinsamen Opernerkundungen nobilitiert hat, der soll dann also wie der Teufel in den Weihwasserkessel fallen, sprich: Er soll die konservative, überreichlich frugal sortierter Vokalkonditorei Wiener Staatsoper in ein intellektuell durchgeknetetes Musiktheater des 21. Jahrhunderts verwandeln, wo man freilich weiterhin saisonal einfliegenden Sängergoldkehlchen Zuckerl geben will und soll. A Wahnsinn oder einfach nur wahnsinnig?
Wir haben da, am kompliziertesten Repertoirehaus der Welt, wo qua Auftrag eigentlich so gut wie jeden Tag gespielt werden muss und jeder Schließtag zu einem gefühlt mittleren Ringstraßen-Beben führt, nun einen Plattenfirmengranden als Direktor sitzen, der noch nie ein Theater geleitet hat, aber immerhin seit einiger Zeit sehr verstärkt in solche geht. Die Plagiatsvorwürfe gegen seine Doktorarbeit wurden zwar abgeschmettert, aber wie sein Verhältnis zum neuen, erst 36-jährigen Gernot Blümel als fachlich ziemlich unbelecktem Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien ist, und wie dieser zur Berufung seines Vorgänger steht, das wurde noch nicht deutlich.
Dazu gibt es einen designierten GMD, der an diesem, bisher meist ohne einen solchen auskommenden Haus diese Position erst einmal neu austesten und justieren muss; im Verein mit den ebenfalls nicht unkomplizierten, ihre Tourneebegehrlichkeiten habenden und gegenwärtig angeblich wegen etwaiger Sozialabgaben auf ihre Vereinstätigkeit ihr Geschäftsmodell überdenkenden Wiener Philharmonikern. Das kann heiter werden, zumal der Zuschussgeber Auslastungen zwischen 85 und 99,8 Prozent (so genau wird das nie dargerechnet) erwartet.
Im Augenblick hört man nur, dass kräftig bei Regisseure à la Calixto Bieito, Dmitri Tcherniakov, Romeo Castellucci usw. angefragt wird, die den Wiener bisher vorenthalten wurden und die alle ziemlich radikal, sehr komplex und nicht eben repertoiregängig arbeiten. Eine neuer „Ring“ soll zudem von höchster Bayreuther Stelle begeht werden. Darüber hinaus sollen viele, schlechte Repertoireproduktionen ohne besonderen Aufwand (so glaubt man) durch alte, aber gültige Produktionen ersetzt werden, die anderswo eingekauft werden: zum Beispiel eine 1998 herausgekommene Mozart-„Entführung“ von Hans Neuenfels aus – genau – Stuttgart. Die hätte sich der interessierte Wiener freilich schon lange auch auf DVD reinpfeifen können.
Wird die Wiener Staatoper also künftig ein Museum der Regiemoderne der letzten 25 Jahre? Ist das also die versprochene Oper 4.0.? Und wie finanziert man den zusätzlichen Premierenaufwand? Auf neue, unverbrauchte Regienamen, made in Vienna wohlmöglich, wartet man also weiter. Und auch auf ein Casting- und Operndirektor, der diese ambitiösen Pläne möglich machen wird. Bis dahin müssen wir uns also mit einer fast schon kitschig anmutenden Sympathieerklärung des frischberufenen Morabito für seinen Direktor begnügen, denn dessen „Liebe zur und Vision für die Wiener Staatsoper hat mir bereits bei unserer ersten Kontaktaufnahme außerordentlich imponiert. Es ist mir heute eine Ehre und eine Freude, in dieser einzigartigen Stadt, in der das Herz der Oper schlägt, und in der so viele Herzen für die Oper schlagen, einen neuen Wirkungskreis zu finden.“ Denn Wiener Zungenschlag hat sich der neue, passgenau zum Opernballtrubel Bestallte auf jeden Fall schon mal zu eigen gemacht.
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