Sie hat das Mozart-Bild nicht nur einer Generation geprägt. Mit ihrem geradlinigen, instrumental, fast ohne hörbares Atmen in schönsten Legato-Bögen geführten Sopran verkörperte die am 11. Februar 1938 in Luzern geborene Edith Mathis das Ideal junger Mädchen auf dem Weg zur Frau. Das fand auch Karl Böhm, der sie in seinem weitverbreiteten Opernzyklus für die Deutsche Grammophon häufig eingesetzt hat. Bei Leopold Hager sang sie zudem in dessen bedeutendem Zyklus der frühen Mozart-Opern. In einer Zeit der Generationsrevolte und Emanzipation, bliebt die Mathis zumindest vokal das stets freundliche, manchmal sogar zum Zwitschern aufgelegte edle Fräuleinbild, das die Realität außen vor ließ, ein stets perlenkettenschimmendes Lächeln in der Stimme hatte, nie aufmuckte, sondern gehorchte; selbst als Kammerkätzchen Susanna, die die eigentliche Spielmacherin in der „Hochzeit des Figaro ist. Doch der Mathis verzeiht man längst dieses Altmodischsein, weil es so betörend harmonisch, ja flötend klingt, und mit ihrem leichten Vibrato trotzdem ein wenig erotische Empfindsamkeit verströmt. Das nämlich vermag diese vielfach festgehaltene Singen heute noch.
1957 debütierte Edith Mathis in Luzern als zweiter Knabe in der „Zauberflöte“. 1959-63 war sie Ensemblemitglied an der von Wolfgang Sawallisch geleiteten Oper Köln. Danach wechselte sie an die Deutschen Oper Berlin, wo sie erstmals als Cherubino auf Karl Böhm traf. Gleichzeitig sang sie an der Staatsoper Hamburg, beim Glyndebourne Festival und immer wieder bei den Salzburger Festspielen, wo sie 22-jährig erstmals aufhorchen ließ. Weitere wichtige Stationen ihrer Karriere waren die Covent Garden Opera London, die Bayerische Staatsoper, die New Yorker Met, die Wiener Staatsoper, das Gran Teatre del Liceu Barcelona und die Opéra de Paris. Sie sang bei den Uraufführungen von Gottfried von Einems „Der Zerrissene“, Henzes „Der junge Lord“ sowie „Hilfe, Hilfe, die Globolinks“ von Gian Carlo Menotti; schließlich 1985 in München in Heinrich Sutermeisters „Le Roi Bérenger“.
Ihr Repertoire entwickelte die stets schweizerisch solide studierte, zuverlässige, allürenfreie Edith Mathis von den leichten, lyrischen Partien Mozarts bis zum jugendlichen Fach der „Freischütz“-Agathe, der Strauss-Marschallin und der Mozart-Gräfin. Sie war ein glaubwürdige Zdenka und eine hintergründige Mélisande in der berühmten Münchner Ponnelle-Inszenierung. Immer ein Sopranlicht war sie zudem, wenigstens auf Platte, in deutschen Spielopern von Lortzing oder Nicolai. Sie sang unter Herbert von Karajan, Karl Böhm, Carlos Kleiber sowie Karl Richter einige ihrer bedeutendsten Schallplatteneinspielungen.
Seiji Ozawa wählt sie als heute eher mit einem Mezzo besetzte Marguerite in Berlioz’ „La damnation de Faust“, wo sie ihre Stimme trotzdem anpasste. Auch als feinsinnige Kunstlied- und Oratoriensängerin machte sich Edith Mathis einen Namen. In Bach-Kantaten und –Oratorien, aber auch in Haydens „Jahreszeiten“ oder der „Schöpfung“ berückt sie durch Akkuratesse, musikalische Ausdruckskraft und mädchenhaft zarte Stimmschönheit. Als Gruß vom Himmel sang sie stets das Sopransolo „Ihr hat nun Traurigkeit“ aus Brahms’ deutschem Requiem. Und Rafael Kubelik wie Leonard Bernstein führten sie sogar zu Mahlers Sinfonik.
1979 wurde Edith Mathis bayerischen Kammersängerin, lange lehrte sie, zweitweise mit dem Dirigenten Bernhard Klee verheiratet, als Professorin für Lied- und Oratorieninterpretation in Wien. 2001 trat sie von der Bühne zurück. Sie leitet zahlreiche Meisterkurse in Europa, Japan, Korea, Kanada und in den USA. Eine ihrer Schülerinnen ist Diana Damrau.
Pünktlich zu ihrem heutigen 80. Geburtstag würdigt die Deutsche Grammophon die Sopranistin mit einer 7-CD-Box, die die große Vielseitigkeit der Künstlerin unter Beweis stellt. Diese klug zusammengestellten Alben mit Aufnahmen zwischen 1960 und 1984 bringen Edith Mathis in Opernarien von Mozart, Beethoven, Berlioz und Strauss, besonders aber in Liedern wie ihren kompletten Schumann-Einspielungen mit Christoph Eschenbach, bisher noch nicht auf CD vorliegenden Auszügen aus Wolfs „Italienischem Liederbuch“ sowie Brahms’ Liebesliederwalzer mit Karl Engel und Wolfgang Sawallisch am Klavier mit allen Farben ihrer Sopranstimme zur Geltung. Auch ihre geistlichen sinfonischen Vokalbeiträge wurden natürlich berücksichtigt. Stark vertreten ist besonders Karl Böhm, der für Mathis wohl künstlerisch prägendste Dirigent, der sie auch mit der Grammophon in Kontakt brachte.
The Art of Edith Mathis (Deutsche Grammophon)
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