Yannick Nezet-Séguin wird nicht erst 2020 sondern schon diesen Herbst als Music Director der New Yorker Metropolitan Opera antreten. Der 42-jährige Hoffnungsträger aus Kanada, der gleichzeitig dem (nahe gelegenen) Philadelphia Orchestra vorsteht, hat dafür einige Gigs in Europa abgesagt, wird aber weiterhin einen sehr dichten Terminplan fahren, der ihn schon des Öfteren gesundheitlich aus der Bahn geworfen hat. In den kommenden beiden Jahren wird er am Lincoln Center Verdis jeweils schon drei Opern dirigieren, zunächst sind das „La traviata“, Debussys „Pelléas et Mélisande“ und Poulencs „Dialogues des Carmélites“. Ab 2020 werden es dann pro Saison mindestens fünf Opern sein. Das ist die gute Nachricht für das finanziell, künstlerisch und auch moralisch schlingernde Opernhaus, dass unter Peter Gelbs Leitung nicht nur schwindende Einnahmen, schlechte Platzausnutzung, ästhetischen Richtungsstreit und die jähe Suspendierung seines langjährigen Musikdirektors James Levine wegen angeblich sexueller Missbrauchs- oder zumindest Nötigungsfälle zu verkraften hat. Und es zeigt, dass sich der vielgefragte Nézet-Séguin, der eben nicht nur zur Freude des verunsicherten Orchesters in einer „Parsifal“-Wiederaufnahme glänzte, weiterhin langfristig an das Haus zu binden gedenkt. Was schon deshalb wichtig ist, weil in seinem Schlepptau seit 1999 die milliardenschwere Mäzenin Jacqueline Desmarais als eine Art Ersatzmama mitfährt, die ihm schon einige Projekte pekuniär ermöglichte. Eine andere Familie aus Philadelphia hat seinen Met-Posten bereits mit 15 Millionen Dollar ausgestattet.
Und trotzdem mutet dem gegenüber ausgesprochen mager an, was die Met für die nächste Saison anzubieten hat. Gerade einmal vier Premieren kann sich das Haus leisten, zwei sind neu, andere kommen aus London und nur eine bietet ein echtes Rollendebüt. Elina Garanca probiert sich erstmals in Wien als Dalila aus, bevor sie (wie dort) an der Seite von Roberto Alagna als Samson Saint-Saëns’ klingende Himbeerschnitte auch an den Hudson bringt. Es führt der hier unbekannte Musical-Mann Darko Tresnjak Regie. Der ebenfalls vom Broadway kommende Michael Mayer (von ihm stammt der Las Vegas-„Rigoletto“) inszeniert eine neue „Traviata“, die Willy Deckers Salzburger Variante ersetzt; Diana Damrau ist vielleicht in dieser Rolle nicht mehr allererste Wahl, aber immerhin singt Juan Diego Flórez an ihre Seite erstmals den Alfredo in einem offenbar sehr plüschigen Ambiente.
Von der English National Opera kommt Nico Muhlys Hitchcock-Oper „Marnie“, und Anna Netrebko beglückt nach St. Petersburg, Wien und Baden-Baden auch die New Yorker als Adriana Lecouvreur in der bewährten McVicar-Zurichtung. Das ist echt mager, mit drei ausgesprochenen Nebenwerken, die die 3.800 Plätzen allein mit Starappeal füllen sollen. Zu den Vokalsternen des Hauses soll künftig auch die oft eingesetzte Anita Rachvelishvili zählen. Gerald Finley singt seinen ersten Bartók-Blaubart, und als Dirigenten debütieren Gustavo Dudamel, Cornelius Meister sowie Robert Spano. Philippe Jordan leitet ein wohl letzte Wiederaufnahme des gefloppten Lepage-„Ring“. Und auch Jonas Kaufmann wird nach einigen Spielzeiten schmollender wie krankheitsbedingter Abwesenheit wieder ein paar Vorstellungen von Puccinis „La Fanciulla del West“ singen.
Und während die Gender-Erbsenzähler(innen) sich bereits wieder darüber mokieren, dass keine Oper von einer Frau oder wenigsten eine Dirigentin auftauchen, wird es viel interessanter, wie Yannick Nézet-Séguin nach dem in Folge der Missbrauchsvorwürfe – zumindest für eine breite Öffentlichkeit – als schwul geoutete James Levine mit seiner eigenen, nie verschwiegenen Homosexualität umgehen wird. Die sollte eigentlich kein Thema sein, aber als Levine-Nachfolger bewegt er sich natürlich auf heftig kontaminierten Terrain, zumal immer noch nicht geklärt ist, welche Rolle das Board und Gelb spielten, Levine wohlmöglich bekannten Verfehlungen zu decken, vielleicht sogar mit Bestechung vor der Justiz unterdrückt zu haben. Doch dazu sagte der künftige Musikdirektor kein Wort, das schwerereiche, puritanische, angeblich heterosexuelle Amerika schaut und hört da lieber weg. Und Nézet-Seguin macht es ihm offenbar leicht.
Gleichzeit hat eine andere, in die Jahre gekommene Institution am Hudson ihre Pläne für die Zukunft vorgestellt. Während das New York Philharmonic Orchestra seinen akustisch unzureichenden Saal wegen fehlender Mittel doch nicht renovieren wird (aber sich trotzdem von Musikmogul David Geffen die Namensänderung millionenteuer hat bezahlen lassen) führen sich die neue (alte) Intendantin Deborah Borda und der zunächst wegen fehlendem Glamour und Jugend berümpfte, bisher eher in der zweiten Karrierereihe gelaufene 58-jährige Niederländer Jaap van Zweden ein. Während Bordas Handschrift an ihrer alten Arbeitsstelle, dem L.A. Philharmonic, noch zu spüren ist, wo man ebenfalls gerade die Jubiläumspläne für die 100. Saison enthüllt hat, lesen sich die weit weniger auf Diversität und Moderne setzenden Ideen an der Ostküste vergleichsweise brave und standortverbunden. Alan Gilberts moderne Spezialfestivals hat man gekillt, dafür featuret man die höchstens in New York als Lokalhelden bekannten Komponisten David Lang und Julia Wolfe. Der deutsche Bariton Matthias Goerne wird Artist-in-Residence. New Yorker Staatsangestellte lädt man für Fünf-Dollar-Tickets ein, es gibt ein Konzert mit Musik von Immigranten und van Zwedens holländisches Erben wird mit einem Schwerpunkt (plus Uraufführung) auf der Musik von Louis Andriessen manifestiert. Immerhin hat das eine Idee und eine Identität, während sie die Met weiterhin als lahme Ente präsentiert, die müde in einem trüben Teich einer unsicheren Zukunft entgegenpaddelt.
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