Die Berliner Staatskapelle ist nicht eben für innovative Programme bekannt. Doch die nächsten zwei Konzerte werden sehr besonders. Gleich zwei Dirigenten treten auf und es gibt ein mehr als ausgefallenes Programm. Eigentlich wollten – nach lange zurückliegenden gemeinsamen Konzerten mit Händel, Gluck und Mozart in Valencia und Israel – die beiden Großcousins Zubin und Bejun Mehta wieder einmal zusammenarbeiten. Man hatte sich dafür einen wirklich extravaganten Mix schon vor drei Jahren ausgedachtet. Während der Dirigent Zubin Mehta immer noch davon träumt, mit dem Countertenor Bejun Mehta einmal wieder Mahler aufzuführen (so wie es Bejun einst als Knabensopran getan hat), wollte der Sänger etwas noch Schrägeres: Rossinis Petite Messe solonnelle in der Orchesterfassung, verknüpft mit dem für ihn komponierten Vokalzyklus „Dream of the Song“ von George Benjamin, der Gedichte und Fragmente aus fast 900 Jahren vereint, die alle mit der mittelalterlichen arabischen Lyrik Andalusiens in Verbindung stehen. „Das war damals ein Folgeprojekt nach unserer gemeinsamen Oper ,Written on Skin’, erzählt Bejun Mehta in seinem Berliner Stammcafé in Mitte. „George hält es inzwischen für eines seiner besten Konzertstücke und wir haben es schon öfters gemeinsam aufgeführt, obwohl er zunächst nur die Uraufführung 2015 im Amsterdamer Concertgebouw leiten wollte.“ George Benjamin steht auch jetzt am Pult der Staatskapelle in der Lindenoper wie in der Philharmonie, die Rossini-Messe und die einleitende „Barbier von Sevilla“-Ouvertüre dirigiert hingegen Marc Minkowski.
Bejun Mehta schwärmt von dem Klang der chorischen Frauenstimmen im Gegensatz zu seiner in dem Benjamin-Zyklus und das er das mit der Rossini-Messe verknüpfen wollte, die ja eher für einen Contralto geschrieben sei. Und er redet sich warm über die Verbindung von Weltlichem und Geistlichem in Musik und Text. Zubin Mehta kannte die Messe nicht, hat sich aber ebenfalls dafür begeistern lassen. Vergeblich, er musst sich an der Schulter operieren lassen und hat in Berlin zudem zwei Philharmoniker-Programme und die „Salome“-Premiere abgesagt. Jetzt steht erst wieder in eineinhalb Jahren, dann aber programmatisch konventioneller, bei den Wiener Philharmonikern die nächste musikalische Begegnung der beiden Verwandten an.
Dafür kommt Mitte März die nächste Solo-CD von Bejun Mehta heraus, die erste bei Pentatone, wieder mit der Berliner Akademie für Alte Musik. „Da hatte ich zum ersten Mal alle Freiheiten, war an der Abmischung, an der Klangeinstellung und am Schnitt beteiligt, konnte zudem einen wunderbaren Tonmann dazu holen, mit dem ich vor vier Jahren im Barocktheater von Cesky Krumlov Glucks ,Orfeo’ aufgenommen habe, und der trotz unterschiedlicher Akustiken meine Stimme hervorragend eingefangen hat. Und ich bin mit dem Resultat sehr zufrieden, ich höre nicht nur den Stahl meiner Stimme, sondern auch die Wärme, das war mir sehr wichtig.“
„Cantata – yet can I hear…“ heißt die CD mit Vokalmusik von Händel, Vivaldi und Bach, die zunächst konventionell anmutet, aber doch viel raffinierter gedacht ist. „Es soll wie ein Selbstgespräch sein, wahrer als Oper und Arien. Ein in sich Hineinhören, eine Reflektion über Leben und Tod. Will ich wirklich, dass meine Seele in den Himmel geht, dass die Geliebte mich wiederliebt? Zudem ist es eine Reise durch die stilistische Welt der Solokantaten in Echtzeit“, führt der Sänger aus. „Wir haben alle Besetzungen, volles Orchester mit Continuo, aber es gibt auch kleiner Formate. Verschiedene Obligato-Instrumente kommen dazu. Es sind drei Solisten außer mit beteiligt. Es geht um Liebe, Sex und Auferstehung. Es soll ein Porträt dieser Form sein, mit englischen, deutschen und italienischen Texten. Wir engen inzwischen die Kantate gern auf ein geistlichen Gehalt ein, aber im Italienischen wurde das Wort nur benutzt, um zu zeigen, hier wird – im Gegensatz zur Sonata – eben auch gesungen. Ich habe dieses Programm zusammengestellt, kuratiert sagt man ja heute, und es auch dirigiert. Ich also meine ganzen, unterschiedlichen Erfahrungen als Sänger, Cellist, Tonmeister, Dirigent eingebracht.
Das wird er künftig auch öfter tun, besonders das Dirigieren. Es ergab sich erstmals bei einem Residenz-Projekt mit der Dresdner Philharmonie, wo er in einem Programm Mozart-Arien und –Sinfonien verknüpfte, die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede vorführen wollte. „Es fühlte sich sehr natürlich an und so gehe ich diesen Weg auch weiter“, sagt der Amerikaner, der dieses Jahr 50 wird. „Meine Vorbilder sind Arleen Auger oder Christa Ludwig, Künstlerinnen, die immer gut sangen, mit einer langen Kariere und irgendwann auch einer ehrlichen Reife in der Stimme, die aber vor allem von Erfahrung kündet. Heute muss alles jung sein und ist so schnell wieder vorbei. Ich habe mir kein Limit gesetzt, ich mache weiter, so lange es Spaß macht. Und auch danach werde ich ewig ein Künstler bleiben.“
An der Berliner Staatsoper ist im Augenblick mit ihm nur die Wiederaufnahme des Gluckschen „Orfeo“ geplant, aber er versteht sich gut mit dem neuen Intendanten Matthias Schulz, also wird wohl noch Weiteres kommen. Zunächst einmal konzentriert sich Bejun Mehta aber auf seinen „Giulio Cesare“ an der Mailänder Scala: „Das ist zwar nicht neu für mich, aber für die Mailänder! Denn der ,Tamerlano’, den ich dort letzte Saison neben Plácido Domingo gesungen habe, das war die erste Händel-Oper am Haus. Da gibt es also noch einiges nachzuholen. Aber auch in diesem großen Haus habe ich nur mit meinen Möglichkeiten gesungen. Meine Welt endet an der Bühnenraum. Darüber hinaus mache ich mir keinen Kopf.“
Konzerte 19. und 20. Februar in der Berliner Staatsoper und der Philharmonie
Der Beitrag Liebe, Sex und Auferstehung: Bejun Mehta bei der Berliner Staatskapelle und mit einer neuen CD erschien zuerst auf Brugs Klassiker.