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Giftsprühende Pailettenzauberin: René Jacobs mit Haydns erstaunlicher „Armida“ in Wien

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Als geistsprühender, innovativer Sinfoniker mit 108 Werknummern ist Joseph Haydn längst rehabilitiert. Die Gattung Streichquartett hat er mit 83 Stücken praktisch erfunden und gleich zu einem ersten Höhepunkt gebracht. Selbst seine 52 Klaviersonaten erfreuen sich inzwischen steigender Beliebtheit. Nur mit seinen 17 Opern, stilistisch eingeklemmt zwischen ein wenig Händel, viel Gluck und leider zu wenig Mozart, tut man sich bis heute schwer. Obwohl etwa in den Dirigenten Antal Doráti und Nikolaus Harnoncourt, die sich nicht nur auf CD für sie eingesetzt haben, starke Fürsprecher besaßen. Nun hat sich für eine Tournee René Jacobs am Pult des frischen, kraftvoll, auch knorzig aufspielenden Kammerorchester Basel auf dessen Tasso-Musiktheater „Armida“, seine letzte und einzige echte Seria-Oper von 1784 besonnen.

Und im Theater an der Wien war beglückt festzustellen, was selbst der letzten prominenten szenischen Aufführung vor elf Jahren in Salzburg nicht gelungen ist: Das einst zum puren Fürstenplaisier im heute ungarischen Sommerschloss Esterháza gegebene Stück reicht eben doch über gepflegtes Philologeninteresse hinaus, obwohl es nur auf ein anonymes und bisweilen konfuses Libretto montiert wurde. Die Konkurrenz von Händel und Lully, Vivaldi und Salieri, Gluck und Jommelli, um nur die bekanntesten Komponisten zu nennen, die sich an diesem epochalen Epos vom „Befreiten Jerusalem“ schadlos gehalten haben – sie ist gar nicht so erdrückend. Denn Haydn begreift hier die veraltete Seria nur noch als Formkorsett, welches er so versuchsfreudig wie mutwillig aufschnürt und durchlöchert.

Eben nicht nur Musikwissenschaftler dürfen jauchzen, wenn sie analysieren, wie Haydn hier stets anders die Übergänge aus bewegten Accompagnato-Rezitativen in die Arien formt, das einzige Duett, ein Terzett und den Schlusschor gliedert, wie sehr er mit dem Arienmodell  selbst experimentiert; sei es als atemloser Einteiler, als dreiteilige Da-capo-Form, zum Teil koloraturgepanzert, sei es sogar als eigensinniger Mehrteiler – wie in Rinaldos ratlos zerrissener Szene im zweiten Akt, die in einen ariosen Zornausbruch Armidas übergeht. Oder im großartigen dritten Akt am die Macht der Zauberin versinnbildlichen Myrtenbaum, den der bisher passiv, ja weichlich liebeskranke Rinaldo zerschlägt wie Siegfried den Drachen. Da wird erst säuselnd ein trügerisch rustikales Nymphen-Idyll beschworen, dann aber knattern die Hörner und züngeln die Geigen in unregelmäßigen Takten, stampfen die Fagotte und schrillen die Flöten als handele es sich um das „Schöpfung“-Chaos. Lustvoll probiert der gar nicht papahafte Haydn hier Klangwirkungen und Kolorit aus.

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René Jacobs tut es ihm im hochgefahrenen Orchestergraben nachschöpferisch gleich, modelliert mit Akribie und Lässigkeit die kontrastiven Affekte. Fantasievoll paraphrasiert Sebastian Wienand seine Hammerklavier-Rezitative. Das Orchester legt sich lustsatt ins Rehabilitierungszeug und in die Dynamikkurven, es prunkt mit gezielter Artikulation, wechselt flexibel die Tempi. Da ist viel lyrisch Zartes und legatofein Ausgesponnenes auch auf vokaler Ebene zu vernehmen, und selbst ohne eine wirklich fest abgespeicherte Melodie im Kopf brennt in dieser „Armida“ dramatisches Feuer unterm musikalisch wohlgeformten Zauberinnenhintern.

Großartige, variantenreiche und fein abgestimmte, zudem auswendig ihre Partien beherrschende Sänger lassen sich hören. Die Palme des Wohlklangs gebührt dem gerade in den Rezitativen wunderbar die Tenorfarben mischenden Anicio Zorzi Giustinani (Ubaldo) und Robin Johannsen (Zelmira) mit ihrer silbrigen Soubretten-Trompete. Kraftvoll sopranlodernd attackiert Birgitte Christensen mit üppiger, aber beweglicher Stimme ihre hybride Titelpartie, ist souverän magische Verführerin, trostlose Frau, giftspeiende Rächerin. Thomas Walkers Rinaldo singt mit prächtiger, extrem variantenreichen Stimme einen so timiden wie triumphierenden, meist liebesschmachtenden Paladin. Riccardo Novaros König Idreneo wurden krankheitshalber die beide Arien erspart; dafür ließ Magnus Staveland (Clotarco) selbst mit nur einer Solonummer aufhorchen.

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Und weil vor der stehengebliebenen, streifenrot tapezierten Salonkulisse aus Claus Guths „Saul“ Inszenierung differenzierte Auf- und Abgänge möglich waren, die Konzertkleidung von der Abendrobe mit Häkelübermantel, Glitzerbluse, offenem Anzughemd und Smoking samt Fliege eine breite ,durchaus kostümbildnerische Palette bot, mit Requisiten wie Ketten oder Blumenkränzen hantiert wurde und sogar Rinaldo seine finale Attacke vom Zuschauerraum aus führte, vermisste man noch nicht einmal die Szene. Barock wäre die vermutlich eh nicht geworden, sondern nur zeitgenössisch nüchtern – wie jetzt das durchaus schlüssige „Mise-en-Espace“-Ambiente. Das nämlich ließ die volle Konzentration auf die klanglichen Kostbarkeiten des Opernkomponisten Joseph Haydn zu, der sonst in diesem Genre immer noch höchstens in der dritten Qualitätsreihe verortet wird.

Der Beitrag Giftsprühende Pailettenzauberin: René Jacobs mit Haydns erstaunlicher „Armida“ in Wien erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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