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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Xavier de Maistre kommt uns spanisch: Der Schöne und das Kastagnettenbiest

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Diese alte Dame hat es in sich. Sogar zwei potenziellen und superprofessionellen Kassenknüllern wie Plácido Domingo und Rolando Villazón hat die heute 79-jährige Lucero Tena vor nicht so langer Zeit in Berlin die Konzertschau gestohlen und das Publikumsfürchten gelehrt. Der eine dilettierte in der Philharmonie bei einem spanischen Abend mit Zarzuelas, der andere als Dirigent der in diesem Repertoire unkundigen Staatskapelle. Dann aber erschien die eigentlich nur als Sidekick bestellte Kastagnetten-Virtuosa – und schwupp, kam das sofort Augen wie Ohren zu der alten Dame in der Paillettenbluse schwenkenden Auditorium aus dem Staunen nicht mehr heraus, was diese körperlich kleine Senora voll großer Grandezza für eine himmlischen Lärm mit ein paar Hartholzschalen zu vollführen vermochte. Zugaben über Zugaben, die schwindenden Sangeskünste des Tenor und das Gefuchtel des Ex-Tenors, sie waren sofort vergessen angesichts dieses kleinen, sich präzise entladenden Vulkans. Der Harfenist Xavier de Maistre, der seit einigen Jahren, die Wiener Philharmoniker verlassen hat und sehr zielstrebig wie erfolgreich seine auch mit dem Instrument logistisch komplizierte Solokarriere vorantreibt, hat vor einiger Zeit ebenfalls Lucero Tena kennengelernt.

Er spielte ein Konzert unter Rafael Frühbeck de Burgos in Madrid. Der Dirigent war sehr eng mit der aus Mexiko stammenden Kastagnetten-Virtuosin befreundet, die eigentlich María de la Luz Tena Álvarez heißt, udn nach dem Konzert war man gemeinsam essen und fand sich sympathisch. De Maistre lachte viel mit ihr. Später hat er sie im Hotel ergoogelt und war begeistert ­– und nicht nur wegen der sieben Millionen Klicks, die so manches ihrer Videos generiert hat. „Es war zudem Repertoire, dass ich mir vorgenommen hatte“, erinnert sich der 44-jährige Südfranzose, der heute in Monaco lebt. „Ich habe sie bereits am nächsten Morgen angerufen, ob wir mal zusammenarbeiten wollen und Sie war sehr interessiert. Wir wollten mehr als nur die Klangfarben des anderen im Duospiel kennenlernen.“

Und so wurde behutsam das so repertoire-reizvolle wie fein tönende Programm „Serenata Española“ samt CD geboren, so wie de Maistre ja schon diverse Male davor die Grenzen und Möglichkeiten seines Instrumentes erweitert hatte. Doch soll er selbst weitererzählen und wie ein augenzwinkernd verliebter Teenie schwärmen:

„Ich bewundere Lucero für ihre Gelassenheit und Ausdruckkraft und Präzision. Sie weiß genau was sie will, wie es geht und wie sie das Publikum bekommt. Sie hat einen wunderbaren Ausdruck im Gesicht und in den Armen und Händen. Da passiert so viel musikalisch, und es ist unglaublich, was sie aus zwei Kastagnetten für Klangfarben herauszuholen im Stande ist! Man hat bei freilich immer auch ein wenig das Gefühl, sie verteidige ihr Instrument, will anerkannt werden, nicht in irgendeine Folkloreecke gesteckt oder mit billigen Flamenco-Shows in Verbindung gebracht werden. Obwohl sie ja früher selbst getanzt hat, was ihr selbst im Alter noch eine feine Grazie verleiht.

Ich kann das aber total nachempfinden. Ich möchte ja auch mit meiner Person zeigen, dass die Harfe kein süßliches Mädcheninstrument oder Hochzeits-Divertissement oder nette Unterhaltung zum 5-Uhr-Tee in Hotelhallen ist, dass in dem Ding sehr viel mehr an Klangfarben und Attacke steckt. Und so wurde dieses Duo-Programm natürlich nicht nur die von mir sehr geschätzte Begegnung mit einer wunderbaren Frau, die vor allem in Spanien eine sehr lebendige Legende ist und mit mir ihren Wirkungskreis wie ihr Spektrum erweitert, es ist auch für mich eine Möglichkeit, nach neuen Facetten auf meinem Instrument und auch in der Präsentation zu suchen.

Ich bin ziemlich überrascht, wie gut das aufgenommen wird. Als ob die Klassikwelt nur auf diesen Pas de Deux gewartet hätte! Wir biedern uns in keiner Weise an. Das sind hochseriöse Bearbeitungen. Es war klar, dass es im Konzert sicher gut ausschauen wird, aber ich war mir zunächst gar nicht so sicher, wie dieses Programm auf Platte wirken wird. Ich bin ja kein Schlagzeuger, bin viel leiser. Wie haben das gemeinsam sehr gut ausbalanciert, sie ist ja mein Gast, deshalb habe ich etwas mehr zu tun, und Lucero ist auch nicht auf dem CD-Cover, nein, die rote Tänzerin ist kein reinkopiertes Jugendbildnis! Aber dann kamen plötzlich die Verantwortlichen der Plattenfirma und wollten noch mehr von uns beiden! Ich finde es sehr schön und überraschend, selbst meine skeptische spanische Managerin war begeistert.

Lucero ist ein sehr gewissenhafte Künstlerin. Obwohl sie allein mit Frühbeck de Burgos bestimmt 200 Mal aufgetreten ist, kennt sie keine Routine. Sie hat auch mit Gitarristen zusammengespielt, aber meist wird sie für zwei, drei Nummern mit Orchester engagiert. So ist dieses Programm schon sehr besonders, auch für sie. Sie schwimmt übrigen sehr viel, das ist gut für die Muskulatur und die Kondition. Jetzt aber hat sie drei Wochen darauf verzichtet und jeden Tag zwei Stunden geübt. So viel Sorgfalt und Genauigkeit und das in diesem Alter. Da muss ich mich echt zusammenreißen…Natürlich ist es jedes Mal komisch, wenn sie auftritt, sich bewegt, und schon am Anfang an alle Blicken zu ihr hingehen. Doch es balanciert sich schnell wieder aus, denn es ist ein ausgeglichenes Programm. Es funktioniert wunderbar als ein Wechselspiel zweier Generationen. Auch optisch ergänzen wir uns. Wir müssen auch nur wenig proben, sie bekommt mit ihrem extremen Rhythmusgefühl jedes Orchester in den Griff. Das ist herrlich für mich, denn Lucero ist so sicher in diesem Repertoire, da kann ich mich total auf sie verlassen. Sie hat mir sehr viel beigebracht. Und gerade wenn sie nichts sagt, dann weiß ich, dass ich stilistisch passend bin, denn sie kennt das alles in- und auswendig.

Sie ist sehr nett und reizend, aber mit einem erstaunlichen Temperament und eisernem Willen. Und sie ist stur! Lucero Tena würde nie etwas angehen, hinter dem sie  nicht voll steht. Wir haben, als wir CD konzipierten, auch über lateinamerikanisches Repertoire nachgedacht, aber das hat sie sofort abgelehnt. Für eine längst zur Spanierin gewordenen mexikanerin ist das keine Musik mehr, das kannst du dann später alleine machen, aber nicht mit mir, hat sie geschnaubt. Und auch zu einem Privatkonzert nach Barcelona, um unser Programm mal auszuprobieren, war sie nicht zu überreden. Sie als Spanierin setzt gegenwärtig keinen Fuß nach Katalonien.“

Aber in den Berliner Boulez Saal kommt Lucero Tena nun gern. Und der sofort angenommene neue Kammermusik-Hot-Spot ist auch der Startplatz ihrer gemeinsamen Deutschlandtournee mit Xavier de Maistre. Auf dass die Harfe statt der Gitarre zu den Kastagnetten einem von nun an nicht mehr spanisch vorkomme…

Termine: 27. Februar Berlin, 28. Ludwigshafen, 4. März Leer, 5. Düsseldorf, 6. Hamburg, 10. Hannover, 22. Madrid

Xavier de Maistre: Serenata Española; Lucero Tena (Sony Classcial)

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