Der Pianist Emanuel Ax ist ja nicht nur einer der besten Tastenzauberer überhaupt. Ihn umschwebt immer auch etwas uramerikanisch Positives im besten Sinne: Er gibt sich stets offen, freundlich, wirkt immer aufmerksam, ist umgänglich, kommunikativ, von leisem Witz und ein wunderbarer, durchaus nachdenklicher Gesprächspartner. Und gerade diese Tugenden sind es, die im Schmelztiegel USA besonders von Emigranten verkörpert werden: Ax selbst ist nämlich polnisch-jüdischer Herkunft, wurde am 8. Juni 1949 im damals schon ukrainischen Lemberg geboren. Seine Eltern hatten das Konzentrationslager überlebt. Als Emanuel acht war, zog die Familie nach Warschau, 1959 wanderte er mit seinen Eltern nach Kanada aus und zwei Jahre später in die USA. Er studierte in New York, unter anderem an der Juilliard School of Music, an der er heute lehrt. Und so scheint Emanuel Ax längst als ein Urgestein der New Yorker Musikszene.
Gerade hält er sich in Berlin auf, hat gestern mit dem Deutschen Symphonie-Orchester in der Philharmonie das 2. Klavierkonzert von Johannes Brahms gespielt; am Freitag folgt in einem zweiten Programm das 2. Beethoven-Konzert. Den Brahms, gern als echtes Tastenschlachtross zelebriert, hat Emanuel Ax unter Tugan Sokhiev, ganz leicht und luftig dahingetupft, mit fast singendem Legato, lyrisch, transparent, ohne jedes Pathosgewitter. Und in ähnlichem Geiste hat Solocellist Mischa Meyer das berühmte Thema des dritten Satzes gespielt, wo der sinfonische Charakter des Werkes in das altertümliche „concertare“ erweitert wird, das Dialogisieren der Instrumente, erst das Klavier mit dem (dominanten, weil führenden) Cello, dann mit der Klarinette. Und weil das so gut funktionierte, holte Ax den jungenhaft-rothaarigen Meyer nicht nur zum Applaus hinter dem Klavier hervor, er spielte – eine wirklich rare Angelegenheit im Konzertleben – auch die Zugabe mit ihm gemeinsam: das erste der drei ursprünglich für Klarinette und Klavier gedachte Fantasiestücke für Cello und Klavier von Robert Schumann.
Und weil Emanuel Ax heute Zeit hat und weil er sich sehr bewusst an seine Jugend erinnert, geht er heute zu den syrischen Flüchtlingen, die im Flughafen Tempelhof untergebracht sind. Und spielt für sie. Weil er weiß, was ihm in seiner Zeit als Emigrant die Musik bedeutet hat. Natürlich geht er nicht allein, Mischa Meyer kommt mit, weil man sich schon in den Konzertproben so gut verstanden hat und weil gemeinsames Musizieren einfach mehr Spaß macht. Mögen auch Anna Netrebko und Valery Gergiev Lobreden auf Vladimir Putin schwingen, Gustavo Dudamel sein Festhalten an einem Unrechtsregime wie der linken Quasi-Diktatur in Venezuela mit seiner Il-Sistema-Loyalität verteidigen, Alvis Hermanis als aus dem einst von den Russen okkupierten Lettland von einer diffusen Terroristenangst geplagt sein: Alles keine guten Beispiele aus dem gern sich wegduckenden Bereich Politik und Klassik. Emanuel Ax tut einfach was. Still, aber nicht leise. Grundsympathisch, der Mensch – und Musiker.
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