Immer wenn ich, vom Berliner Bahnhof Friedrichstraße spazierend, über die Weidendammer Brücke gelaufen bin, dann dachte ich, an der Edelplatte rechter Hand direkt am Wasser vorbeiflanierend: „Da unten ist der ,Grill Royal’, und da oben, da wohnt Stella.“ Stella Doufexis, die deutsch-griechische Sopranistin, die gestern gestorben ist, erst 47 Jahre. In den Armen ihres Mannes, des Komponisten Christian Jost. Hier fühlte sie sich wohl, in einem Haus mit einer besonderen Geschichte, mittenmang, aber über den (Spree-)Wassern schwebend.
Eine wunderbar vielseitige Künstlerin, darstellerisch wie musikalisch äußerst flexibel, in der Alten wie Neuen Musik, im Tragischen wie im Komischen, auf der Bühne wie im Konzertsaal. Ein positiver Mensch, gewinnend, offen, der gern lachte, aber auch sensibel, intelligent und zurückhaltend. Eine feinfühlige Partnerin, die schnell lernte, auf alles einging und erst mal jedes ausprobierte. Eine sich verströmende, dabei disziplinierte Gestalterin die für ihre Kunst brannte, sich aber nicht von dieser auffressen ließ. Eine Solistin, die durchaus das Rampenlicht auf sich zu ziehen wusste (da kam die griechisch antike Größe durch), die verführen und rühren konnte, von einem etwas spröden, aber wachen, immer gewinnenden Charme. Aber auch eine herrliche Ensemblespielerin, die in der Reaktion auf andere wuchs, eine Aufführung gemeinsam zu neuen Höhen emporwirbelte.
Stella Doufexis, am 15. April 1968 in Frankfurt am Main geborene Tochter des griechischen Regisseurs Stavros Doufexis (der sich freilich bald nach Griechenland verabschiedete) und einer deutschen, ebenfalls am Theater arbeitenden Mutter, studierte Gesang an der Hochschule der Künste Berlin bei Ingrid Figur. Es muss eine tolle, auf jeden Fall sehr fruchtbare Klasse gewesen sein. Gemeinsam mit ihren Kommilitoninnen Christine Schäfer und Claudia Barainsky absolvierte sie Meisterkurse bei Aribert Reimann und Dietrich Fischer-Dieskau. Dem zeitgenössischen Lied galt immer ein besonderes, furchtloses Interesse, was sich auch in diversen Platteneinspielungen manifestiert. Bei der englischen Altistin Anna Reynolds vervollständigte sie ihre Ausbildung.
Nur kurz war Stella Doufexis in den Neunzigern festes Ensemblemitglied am Theater Heidelberg. Es folgten schon bald zahlreiche Gastspiele an den großen Musikbühnen im In- und Ausland. Sie gastierte etwa in München, Salzburg, Barcelona, Frankfurt, Stuttgart und Brüssel. 2005 wurde sie festes Ensemblemitglied der Komischen Oper Berlin, wo sie ihre großen Fachpartien sang: Cherubino, Dorabella, Niklas, Octavian, aber auch eine abgründig-durchtriebene Carmen und Händels Xerxes in Stefan Herheims lustvoller Barocktheater-Travestie. Im Juni 2009 war sie dort in der gleichnamigen Oper ihres Mannes, dessen Musik sie immer wieder ihre klare, aber auch verhangen-träumerisch schwebende Stimme lieh, ein sachlich-melancholischer Hamlet. Eine für das Theater, den Rausch der Verwandlung geschaffene Künstlerin, die doch im wahren Leben so erfrischend normal geblieben war.
Doch neben der Oper legte sie immer großen Wert auf Konzert und Lied. Durchaus extrovertiert, wollte sie immer auch mit kleinen Dingen entzücken. Was ihr vollendet gelang. Stella Doufexis war ein gern gesehener Gast in Salzburg, Luzern und Berlin (wo sie mit den Philharmonikern eine besondere Partnerschaft verbannt), in Schwarzenberg, beim Klavier-Festival Ruhr, dem Aldeburgh Festival, dem Schleswig-Holstein-Festival, dem Jerusalem Chamber Music Festival namhaften Dirigenten wie Claudio Abbado, Bernard Haitink, Zubin Mehta, Kent Nagano, Christoph Eschenbach, Kurt Masur, Helmuth Rilling, Ivor Bolton, Simon Rattle arbeiteten gern und regelmäßig mit ihr zusammen.
Eine besondere Liebe band sie an das französische Repertoire, Stella Doufexis hat „Les Nuits d’été“ von Berlioz, Ravels „Shéhérazade“ und Chaussons „Poème de l´amour et de la mer“ mustergültig aufgenommen, ebenso Lieder von Debussy. Im letzten Herbst hatte sie eine Gesangsprofessur in Düsseldorf angetreten. Und auch dort ging sie so vor wie immer: mit kontrollierter Leidenschaft. Obwohl die voranschreitenden, äußerst diskret behandelte Krankheit ihren Tribut forderte. Die Wellgunde im Münchner „Rheingold“ unter Simon Rattle hatte sie schon nicht mehr singen können. Doch noch letzten Donnerstag hätte Stella Doufexis beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin den Mezzopart in Mozarts Requiem unter Manfred Honeck übernehmen sollen. Am Sonntag vorher musste sie absagen.
„Ein Wunder dieser Welt
hat diese Welt verlassen
um einem Zauber gleichsam
in ihr aufzugehen.”
Das hat ihr Mann auf Stellas Facebook-Seite gestellt. Mit einem wunderbaren Foto, das sie freundlich, aber bewusst auf ihrem Balkon zeigt, mit Spreepanorama, mit Fernsehturm und Bodemuseumskuppel zeigt. Mitten im Leben – und doch auch souverän über allem. Und jedes Mal wenn ich jetzt über die Weidendammer Brücke laufe, dann werde ich wieder denken: „Da oben, da wohnt Stella.“ Irgendwie immer noch!
Der Beitrag Stella Doufexis ist tot: eine meisterlich vielseite Mezzosopranistin erschien zuerst auf Brugs Klassiker.