Quantcast
Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
Viewing all articles
Browse latest Browse all 826

Mit voller Lust am Seichten: Joseph Calleja beglückt in „L’Arlesiana“ an der Deutschen Oper

$
0
0

Foto: Bettina Stöß

Aha, schon der zurückgebliebene Bub trägt Glitzerohrringe, Lipgloss und ein viel nackte Haut zeigendes Spitzentop. Der Dorfdepp als Transgender-Boy? Nein hier braucht man sich nicht etwa über eine neue, trashige Inszenierungsidee an der Deutschen Oper Berlin zu wundern. Hier darf man einfach nur schmunzeln über Sein und Schein in einer konzertanten Aufführung, wenn ausgerechnet der behinderte L’Innocente von der besonders hübschen, glamourös zurechtgemachten Meechot Marrero gesungen wird. Der/die liefert als kleiner Bruder mit wenigen Sätzen zusätzliches Kolorit für das schon George Bizet zu seiner Wunschkonzert-Schauspielmusik anregende provenzalische Dorfdrama von Alphonse Daudet, in der sich der Hirte Federico bis zum Wahnsinn nach einem verführerischen Mädchen aus Arles verzehrt: Selbstmord durch Sturz aus dem Dachfenster ist sein opernaffines Ende, obwohl er doch eine andere heiraten wollte. Francesco Cilea, der uns schon die gekonnt sentimentale, von den Diven vielgelobte, von den Spielverderbern aber auch vielgescholtene „Adriana Lecouvreur“ beschert hat, goss diese Moritat 1897 in den knackigen Dreiakter „L’Arlesiana“. Und auch wenn das komplette Werk als lupenreiner Verismo-Reißer nur noch ein Schattendasein führt, die schmackige Arie „È la solita storia del pastore“ wurde nicht nur wegen der Mitwirkung des damals 24-jährigen Enrico Caruso in der Mailänder Uraufführung zum Tenor-Hit. Deswegen kam die komplette Oper jetzt für zwei Abende wegen und für Joseph Calleja an die Bismarckstraße. Der aufbrausende Applaus der komplett aufmarschierten Stimmfetischisten legitimierte diese kitschtriefende, aber gerne und reuelos genossen Wahl – aber nicht nur wegen des makellosen Maltesers.

Der freilich begeisterte mit seinem reichlich aufgetragenen Tenorschmelz, mit generöser Attacke, weicher Legatokultur und gustiös servierten Glanzspitzen. Caruso selbst hat das nicht sehr viel besser gemacht. Operndirektor Christoph Seuferle hat auch sonst mit seiner werkgerechten Besetzung nicht gegeizt, zudem gaben sich der diesem Repertoire bewährte Paolo Arivabeni sowie Chor und Orchester so motiviert wie klangprächtig. Auch wenn sie an ihren Noten klebte, Dolora Zaijck (als einzige sich mit ihrem schrillen Farbenüberwurf dem provinziellen Handlungsort anpassend) gab mit wohlig brustigen, aus dem Zwerchfell letzte Reserven herauspressenden Urtönen das waidwunder Muttertier Rosa Mamai.

Mariangela Sicilia wurde nicht nur als perfekt sensitiv auf Zwischentöne horchender, leicht körniger Verismo-Sopran ihrem schönen Namen gerecht, sie veredelte auch die undankbare Rolle der um eine namenlose wie unsichtbare zurückgewiesenen Jugendfreundin und Ersatzbraut Vivetta. Markus Brück ließ sich mit fein geführten Wehe-Vibrato als mitfühlenden Onkel Baldassare hören, Seth Carico als viriler Metifio angemessen lecker das Barihunk-Testosteron tropfen. So hatte hier jeder seinen temperamentsbebenden, sinnlichkeitstrunkenen Verismo-Spaß und amüsierte sich gern ein wenig unter Niveau. Bitte, bald mehr! Wir warten auf „Lodoletta“, „Zaza“, „Iris“ und „Guglielmo Ratcliff“!

Vier Jahre hat es auch gedauert, bis Joseph Calleja jetzt zudem sein sechstes Soloalbum seit 2004 vorgelegt hat. Das Warten hat sich gelohnt, denn es ist sein bestes, anspruchsvollstes geworden. Der 40-Jährige kann hier die Ernte einer nun doch schon 15 Jahre andauernden Karriere einfahren, denn vom „Rigoletto“-Herzog und dem „Traviata“-Alfredo, den einzigen Verdi-Partien bisher auf der Bühne, hat er sich wunderbar weiterentwickelt. So gibt er nun einen appetitmachenden Überblick über (vermutlich) kommende Partien: Manrico, Don Carlo, Radames, Don Alvaro und sogar der Otello werden akustisch angegangen, seine kompetenten Partner sind Angela Gheorghiu, der Bariton Vittorio Vitelli sowie Ramón Tebar am Pult des Orquestra de la Comunitat Valenciana. Callejas Stimme ist breiter geworden und nachgedunkelt, sie hat sich aber ihr honigfarbenes Timbre bewahrt. Und wirkt er manchmal auf der Szene stoisch, so überwältigt er doch mit stilistischer Finesse auf der Hörbühne. Da  sitzen die hohen Cs und fluten die Diminuendi, er hat sich seine Belcanto-Akkuratesse bewahrt, lässt aber nicht den Macho raushängen. Gerade im Vergleich zum gerade erschienenen, ebenfalls Verdi gewidmeten und beinah rufschädigend enttäuschenden neuen Soloalbum von Sonya Yoncheva ist dieser wissende, unangestrengte Verdi-Gesang eine Wohltat.

Joseph Calleja: Verdi (Decca)

Der Beitrag Mit voller Lust am Seichten: Joseph Calleja beglückt in „L’Arlesiana“ an der Deutschen Oper erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 826