Es ist wieder mal die typische Geschichte, die sich wie der Ariadnefaden durch die Berliner Kulturpolitik zieht. Da trifft man mit schöner Regelmäßigkeit personelle Fehlentscheidungen und das nächste Leading Team stellt wieder alles auf Anfang, negiert das Aufgebaute, für das viel Geld ausgegeben wurde. Nun also sind Johannes Öhman und Sasha Waltz dran, die ab Sommer 2018 respektive 2019 beim Staatsballett alles neu machen wollen – nachdem man erst den einst als Heilsbringer gefeierten Vladimir Malakhov von der Tanzstange vertrieben und dann auf den wirren, ausgebrannten, in Berlin niemals angekommenen Nacho Duato gesetzt hat. Die dafür Verantwortlichen in der Politik sitzen achselzuckend längst nicht mehr auf ihren Sesseln. Die Strippenzieher in der Administration, der gleichzeitig auch noch die Opernstiftung führende Verwaltungsdirektor Georg Vierthaler und die in ihren ästhetischen Entscheidungen mehr als fragwürdige, immer schnell zum nächsten Machthaber überlaufende stellvertretende Ballettdirektorin Christiane Theobald, aber kleben weiterhin zäh an ihren Plätzen. Mit kaum Vorlauf wurde nun die zweite Ankündigungspressekonferenz des unsicher agierenden neuen Duos inszeniert. Wenig wurde gesagt, was man noch nicht wusste. Und viel Fragen blieben offen.
Immerhin, zehn neue Tänzer gibt es, damit endlich wieder die alte Stärke von 93 Stellen erreicht werden kann, mit Kündigungen hält man sich zurück. Öman, der ja zunächst nach dem vorfristigen Abgang Duartos ein Jahr früher anfängt, will erst mal den Bestand sichten. Zur ausgedünnten Solistenriege stoßen der in Deutschland aufgewachsene Russe Daniil Simkin vom American Ballet Theatre, Yolanda Correa vom Ballett in Oslo und Alejandro Virelles Gonzalez vom Bayerischen Staatsballett. Wobei der eher kleine Simkin in Marian Walter und Dino Tamazlacaru ähnlich gebaute Kollegen hier vorfindet. Und auch Polina Semionova, deren internationale Karriere kaum mehr vorhanden ist, bleibt als teurer Gast praktischerweise in Berlin bei Mann und Kind und dem Job an der Staatlichen Ballettschule. In Berlin zahlt man eben gern.
Und wieder wird es kaum Repertoire geben. Die gesamten Duarto-Stücke verschwinden, auch dessen banal-blasse Klassiker-Übermalungen „Dornröschen“ und „Nussknacker“, die aber trotzdem viel Ausstattungsetat verschlangen; ebenso seine „Romeo und Julia“-Fassung, die erst noch Premiere haben wird. Sie wird immerhin durch die Crankos aus der letzten Malakhov-Spielzeit ersetzt. Aber auch auf den ästhetisch gruseligen, trotzdem brandneuen Ullarte-„Don Quichote“ verzichtet man schon wieder. Dafür zieht man neuerlich den kunterbunten Burlaka-„Nussknacker“ aus der Depotkiste, den wiederum Duarto zugunsten seiner Fassung entsorgt hatte – Rochaden der Berliner Art. Mit nur neun Produktionen (davon viereinhalb Premieren) steht für eine Institution, die immerhin drei Bühnen bespielt, wenig auf der Speisekarte; selbst Wien, wo das Ballett keinen guten Stand an der Staatsoper hat, kommt auf zehn verschiedene Abende.
Bei den beiden Klassiker-Premieren, „La Bayadere“ und „La Sylphide“, sind zumindest ein paar Fragezeichen angebracht. Beide gelten Werken, die beim Staatsballett bereits über Jahrzehnte in den Schaufuss- bzw. Malakhov-Fassungen gespielt wurden, von beiden sind immer noch die Ausstattung vorhanden. Trotzdem wird alles neu produziert! Während beispielsweise ein neue „Coppelia“ (Jahrzehnte in Berlin nicht zu sehen), wohlmöglich auch eine „Paquita“ eher ein Desiderat gewesen wären, darf Alexei Ratmansky seine „Rekonstruktionen“ fortführen (der dritte „Bajadere“-Akt ist verloren), die freilich, gemäß der Ästhetik des 19. Jahrhunderts, viel weniger spektakulär und virtuos ausfallen, als wir es heute gewohnt sind. Und wie soll sich nun die (um den 3. „Napoli“-Akt als technikblitzenden Tanzfest ergänzte) „Sylphide“ des bloßen Einstudierers Frank Andersen von der im Depot vorhandenen Variante unterscheiden? Lohnt solches wirklich die Kosten?
Kommen wir zu den zeitgenössischen Abenden: Auch da wurde vieles mit der heißen Nadel gestrickt. Von seinen früheren Wirkungsstätten Göteborg und Stockholm bringt Öhman „Your Passion is Pure Joy to Me“ des Saarbrückener Ballettdirektors Stijn Celis und „Half Life“ von Sharon Eyal und Gay Behar heraus, beide schon 2009 entstanden. Letzteres Stück kommt dann zweites Mal, dann kombiniert mit einer Uraufführung der an der Seite Falk Richters an der Schaubühne nicht sonderlich auffällig gewordenen Anouk van Dijk, ein halbes Jahr später neuerlich zu „Premieren“-Ehren. Beide Abende an der Komischen Oper müssen mit Tonband auskommen. Ein dritter Abend kombiniert schließlich Balanchines Tschaikowsky -„Theme and Variations“ mit Forsythes schon 2006 hier herausgekommenem „The Second Detail“ sowie einer Uraufführung von Richard Siegal – so weit, so unspektakulär. Das ist alles noch nichts, was die anderen Direktionen nicht auch hätten stemmen können, wenn sie ein wenig mehr über ihren Tellerrand hinausgeblickt hätten.
Irgendwie muss sich natürlich auch noch Sasha Waltz einbringen und legitimieren, auch wenn sie erst 2019 anfängt. Der in Berlin lebende Jefta van Dinther soll in der Schreinerei der Deutschen Oper „recherchieren“, 2019/20 soll daraus ein Stück für die Komische Oper werden. Sasha Waltz, will erst mal nicht ihr Repertoire an das Staatsballett transferieren (welches auch, dass hier noch nicht gezeigt worden wäre?), sondern 2020 mit einer Kreation zu einer komissionierten Musik von Georg Friedrich Haas starten, die vorab von der Staatskapelle uraufgeführt werden soll. Ihre eigene Kompanie will sie weiter leiten. Interessant wäre es, zu wissen, ob die neue Doppelspitze einfach so auch doppeltes Gehalt bezieht…
Der absurde, lange für lärmige Diskussionen sorgende und ziemlich alberne Antagonismus zwischen Klassik und Zeitgenossentum scheint so erstmal vom Berliner Repertoiretisch; denn diese Stückauswahl hätte auch Johannes Öhman allein treffen können. Sie unterscheidet sich mitnichten von irgendeiner der großen, wirklich renommierten Kompagnien in Paris, London, New York, die alle ähnliches und vor allem Besseres spielen. Wie künftig hier die Rolle von Sasha Waltz zu definieren ein wird, und wie sie über die einer assoziierten Choreografin im Alltag hinaus weisen soll, das wird sich hoffentlich zeigen.
Der Beitrag Berliner Staatsballett: Wo ist nun das wirklich Neue? erschien zuerst auf Brugs Klassiker.