Das Opernleben ist so ungerecht! Daniel-François-Esprit Auber war mal mit immerhin 47 Werken einer der meistgespielten Komponisten des 19. Jahrhunderts. Sowohl seine großen Opern wie die immerhin die belgische Revolution auslösende „Stumme von Portici“ oder der Verdi-Vorläufer „Gustave III. ou Le bal masqué“ gefielen, ganz besonders aber seine opéras comiques, wo zwischen gesprochenen Dialogen französischer Esprit und melodische Finesse herrscht. In Aubers besten Werken ist da der Schritt zu Jacques Offenbach nicht weit, dem er das Terrain bereitet hat. So etwas in dem einzigen, noch regelmäßig aufgeführten Opus „Fra Diavolo“ (das Offenbach mit seiner wildromantischen Räuber-Thematik in „Les Brigands“ parodierte), das diesen Herbst an der römischen Oper wieder einmal zum Spaß des Publikums auf die Bühnenbretter kam oder eben in dem seit 15 Jahren nirgends mehr gespielten „Le Domino noir“, auf eine Libretto des bewährten Eugène Scribe. Der bleibt freilich eine harmlose, sich feinsäuberlich lösende Verwechslungs- und Verkleidungsgeschichte um eine künftige Äbtissin auf Abwegen, die sich in eben jenem, nicht ganz phantasievollen Kostüm (bedenkt man ihr sonstige Alltagsbekleidung!) auf einem Maskenball einen leicht frivolen Liebesspaß machen will. Bei Offenbach wären sicher noch viel stärker die Spießer an sich entlarvt worden. Doch so wie es schon die einzige kommerzielle Aufnahme von Anfang der Neunzigerjahre mit Sumi Jo unter dem Trüffelsucher Richard Bonynge vorführt: Das ist feinst prickelnde, gehaltvoll unterhaltende Musik für die nicht einmal zwei Stunden Spieldauer des flotten Dreiakters. Die jetzt – einmal mehr – die Opéra Royal de Wallonie auf den Spielplan gebracht hat. Das wohlgeführte Haus in Liége rühmt sich zwar unter seinem rührigen Intendanten Stefano Mazzonis di Pralafera das nördlichste italienische Theater zu sein. Gleichzeitig weiß er aber auch, was er dem französischsprachigen Teil Belgiens schuldig ist. Und so gab es dort jetzt – nachdem man sich schon im Rahmen einer „Manon Lescaut“-Trilogie auch für das gleichnamige Auber-Opus stark gemacht hatte – nun als dessen am 2. Dezember 1837 an der Opéra Comique uraufgeführten „Le Domino noir“.
Dafür wurde, gemeinsam mit der Pariser Opéra Comique, wo das Werk im März auf dem Spielplan steht, zur nachhaltigen Begeisterung eine weitgehend französische Equipe zusammengestellt, die mit Geschmack und Witz, Buntheit und Vitesse dieses kleine Bijou zum Funkeln brachte. Schließlich geht hier um nicht viel mehr als Horace ( quicker Spieltenor: Cyrille Dubois) der sich auf der Maskerade der Königin von Spanien in eine schöne Unbekannte ( mit geläufiger Gurgel und nadelfeinen Spitzentönen: Anne-Catherine Gillet) verliebt.
Diese, eben in einen schwarzen Dominoumhang gehüllte Angèle de Olivarès verfolgt er bis in ein fremdes Haus, wo sich allerlei skurriles Personal herumtreibt (und damit sind nicht nur die schrägen Dienstboten gemeint), um schließlich in einem Nonnen-Konvent zu landen, wo Scheinheiligkeit und Eifersucht gärt und zum guten Komödienschluss die Geliebte mit viel Geld und einem großen Namen dann doch lieber, zudem von der Königin sanktioniert, in die Ehe flüchtet als endgültig den Schleier zu nehmen und die Braut Gottes zu werden.
Das Regie-Team Valérie Lesort und Christian Hecq, beide Mitglieder der Comédie française, das seinen Feydeau gelernt hat, setzt auf Kostümirrsinn (von Vanessa Sannino) und Vaudeville-Tempo. Während hinten, im halbtransparenten Salon (den Laurent Peduzzi gebaut hat) vor der vorwärts und rückwärts laufenden Riesenuhr barock discogetanzt wird und die allzu menschliche Spiegelkugel sich dreht, gibt es vorn zwischen roten Bänken eine groteske Verkleidungsshow.
Angèles Freundin Brigitte de San Lucar (mezzogenüsslich: Antoinette Dennefeld) sieht mit ihrem wippenden Ährenreifrock aus wie ein Bett im Kornfeld, Angèle sie selbst wie ein schwarzes Schwänen, das später von ebensolchen im Traum umschnäbelt wird. Horaces Begleiter Comte Juliane (mit warmem Bariton: François Rougier) plustert sich als radschlagender Pfau, der schlechtgelaunte Rivale, Onkel und Spielverderber Lord Elfort (in herrlich schlechtem Englisch: Laurent Montel) bläht sich zum Stachelschwein auf. In dem vergnügungssüchtigen Bestiarium, wo auch die Dominosteine und Vorhangquasten tanzen, tummeln sich zudem Quallen und andere Tierchen.
Im zweiten Akt hat das Publikum dann seinen Spaß mit der üppig ausgepolsterten, trotzdem höchst graziös sich bewegenden Haushälterin Jacinthe und deren Galan, dem dödeligen Klosterpförtner Gil (Laurent Kubla), der aussieht wie Quasimodos fröhlicher Bruder. Zudem darf sich Angèle als Aragonesin verkleiden und sogar zum Vergnügen des Herrenchors den Christbaum erklimmen. Ein sprechende Spanferkel auf dem Silbertablett gibt es außerdem. Im dritten Akt schließlich lassen die zuckenden Gargoyles im glänzend weißen Kirchenschiff reichlich Dampf ab, steinerne Karyatiden flüchten höchst beweglich, und mittendrin benimmt sich die ambitionierte Mitschwester (giftige Möb von der Comédie française: Sylvia Bergé) sehr böse. Trotzdem wird sie am Ende Äbtissin, wofür sie sich als Schlussgag einen Kirchturmtopfhut mit Blinkekreuz überstülpt.
Das ist einfach ein so schaumiger wie schmusiger, völlig zweckfreier Singspaß, den alle Beteiligten als gutgelaunte Revue abschnurren lassen. Patrick Davin moussiert mit ebensolcher Freunde das Orchester der Opéra Royal de Wallonie mit schönen Schaumkringen, es bitzelt und brilliert mit feinem Klangwerk. So wird das ein hinreißender Karnevalsopernabend, wenngleich ein paar Wochen zu spät. Schade nur, dass die hübschen, teils spanisch rhythmisierten Melodien am Ausgang schon wieder vergessen sind. Das nämlich ist leider Aubers wunder Punkt….
In Liège noch 1. und 3. März, an der Pariser Opéra comique 26. März bis 5. April
Der Beitrag Äbtissin auf Abwegen: Aubers höchst vergnüglicher „Le Domino noir“ in Liège erschien zuerst auf Brugs Klassiker.