Momentan macht es richtig Spaß, in Berlin ins Konzert zu gehen. Auf- und Umbruch allerorten. Und selbst die Traditionsverwerser kommen ein wenig in die Gänge. Denn wenn zum Beispiel die jüngsten Konzerte in der neuen, nicht nur lieb, sondern schon wieder teurer gewordenen Lindenoper mit einem erstaunlich gesundeten 88-jährigen Christoph von Dohnányi samt einem frischen Bartók/Brahms-Programm, mehr aber noch der zwischen Mark Minkowski und George Benjamin aufgeteilten Abend mit dessen „Dream of a Song“ (fabelhafter Solist: Bejun Mehta) und Rossinis opernhaft aufrauschender, aber auch kammermusikalisch intensiver Petite Messe solonnelle ein Indikator waren – dann klingt der neue Saal mit der Staatskapelle auf der Bühne zumindest im ersten Rang sehr schön, und die arg sich wiederholenden Repertoireabfolgen bekommen wohlmöglich etwas Pep und Piep. Der vom Bund generös finanzierte, dieses Wochenende seinen erste Geburtstag feiernde Pierre Boulez Saal nebenan wurde aus dem Stand zu einem abwechslungsreich kuratierten Kammermusik-Mekka mit 85.000 Besuchern in 150 Konzerten, wo sich die hochmögenden Solisten die Hand geben und Daniel Barenboim gar nicht so sehr als Platzhirsch röhrt. Eben kam man uns dort glamourös rot und spanisch – mit dem ungewöhnlich empathischen Xavier de Maistre der seine aktuelle CD- Serenata espagnola auch live mit der 79-jährigen Flamenco- und vor allem Kastagnetten-Legenden Lucero Tena in ein rhythmisch swingendes, aber auch fein verzupftes Ereignis verwandelte.
Innerhalb von zwei Wochen war Bruckners nun nicht so häufige 6. Sinfonie bei den Berliner Philharmonikern unter Mariss Jansons und beim Deutschen Symphonie-Orchester unter Robin Ticciati zu erleben. Hier altväterliche Ausgewogenheit, blockhaft, souverän ausgehört, der ein wenig das Wollen fehlte; da vitales Vibrieren, Aufbruch, aufmerksames Horchen auf Klänge und Mischungen, eine Reise ins Ungewisse, nicht allzu Bekannte. Wunderbar solches livehaftig nebeneinander zu haben. Bei seinem Frisur-Klon Ticciati saß dann auch Simon Rattle im Saal, der bald sein DSO-Debüt ansteuert, aber bis dahin seine letzten philharmonischen Monate mit guten Bekannten und bewährten Repertoirekrachern genießt.
Eben zu genießen war das gegenwärtig superflexible DSO in einem herrlich atmenden, wunderbar farbenreichen Rameau/Gluck-Pasticcio mit dem deutschen Orchesterdebüt der französischen Barock-Hoffnung Raphaël Pichon. Das war ganz große Oper, mit süßen Flöten, rassigen Tamburinen und knatterndem Unterwelt-Blech. Selbst für die in letzter Sekunde erkrankte Dirigenten-Gattin Sabine Devieilhe fand sich in der drei Stunden vor Konzertbeginn eingeflogenen Julie Fuchs mehr als nur adäquater Ersatz.
Und auch wenn wir nicht wirklich wissen, in was für eine Zukunft das Konzerthausorchester mit dem ältlichen Eschenbach steuern wird, sein eben zu Ende gehenden Festival Baltikum war ein abwechslungsreich zusammengestellte Mixtur, die morgen als Nachklang mit einem Konzert des Litauischen Nationalen Sinfonieorchester unter Mirga Gražinytė-Tyla ins Finale mündet. Beim Rundfunk-Sinfonieorchester hingegen blickt man frohgemut in die Zukunft. Als erster der Berliner Klangkörper hat man die neue, die zweite Saison mit Vladimir Jurowski vorgestellt – die Broschüre ist eingewickelt in eine Banderole mit Pfefferminz-Samen und der „natürlich rsb“-Stempel soll auf das umweltfreundliche Spielzeitmotto verweisen.
Man widmet sich der Natur in all ihren vier Elementen, aber auch in akustischen und geistigen Sphären mit Musik von Mahler und Strauss, John Adams, Fazil Say und dem Composer in Residence Brett Dean, (der sich auch als Bratscher vernehmen lassen wird), die um „den Menschen und seinen Lebensraum“ kreiseln soll. Dazu gibt es Führungen in Gärten, Spaziergänge mit Vogelstimmen und Zusammenarbeit mit verschiedenen grünen Organisationen. Zu den Kernaufgaben hingegen zählen 22 Konzerte mit dem gut angenommenen und wiederangekommenen (ewig ja schon in Berlin lebenden) Vladimir Jurowski mit Musik von Beethoven bis Gérard Grisey (die kompletten espaces acoustiques) und einer Katzer-Uraufführung, um das willige, sich verändernde Publikum zum Jahreswechsel ein wenig aus der Komfortzone zu locken. Artist in focus ist der Cellist Johannes Moser.
Valdimir Jurowski verriet auch einiges über seine weiteren Pläne. Wenn wohl Mitte März jetzt seine Berufung als Nachfolger von Kirill Petrenko als Musikchef der Bayerischen Staatsoper offiziell wird, wird er sich auf dort und Berlin hauptsächlich konzentrieren. Sein Londoner Orchester und das zweijährig stattfindende Enesu-Festival in Bukarest gibt er auf. Beim Russischen Staatlichen Akademischen Sinfonieorchester „Evgeny Svetlanov“, wo er nur als Künstlerischer Berater fungiert, wird er so viel Zeit investieren, wie er eben kann. Einmal wenigstens gute Aussichten also für Berlin! Und in München müssen sie ganz stark sein: Denn dort wird 2020 der „Rosenkavalier“ als geliebte wie verstaubte Schenk/Kleiber-Antiquität nun doch endlich durch eine Neuproduktion von Barrie Kosky mit Jurowski am Pult ersetzt. Go, Dima, go!
Der Beitrag Konzertvergnügen in Berlin: das RSB macht’s künftig natürlich grüner erschien zuerst auf Brugs Klassiker.