Wer hätte das gedacht? Vor einigen Jahren war Nicola Antonio Porpora ein vergessener Komponist, dessen Name höchstens als berühmter Pädagoge einiger der legendären Kastraten mal kurz aus dem Dunkel der Musikgeschichte emporglimmerte. Antonio Uberti (der sich zu Ehren seines Lehrers Porporino nannte), Farinelli (Carlo Broschi) und Caffarelli (Gaetano Majorano) waren die bekanntesten seiner Schüler, für deren geläufige Gurgeln er vor Verzierungen nur so strotzende Arien komponierte. Kastraten wurden als eine Degeneration der Kunst angesehen und Porporas Musik hat allfällig und ähnlich dekadent wie überladen dieser gedient – so die lange vorherrschende, natürlich aus Ignoranz gespeiste Meinung. Doch zum heutigen 250. Todestag ist alles anders. Die Countertenöre als die natürlichen und stolzen Nachfahren der Kastraten sind in aller Munde und auf den meisten Bühnen zu finden. An der Neapolitanischen Oper ist durch die Initiativen von Riccardo Muti bei den Salzburger Pfingstfestspielen oder des Winters in Schwetzingen das Interesse neu entfacht. Von den 53 Porpora-Bühnenwerken sind zumindest der für „Il Polifemo“ und der bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik szenisch neu entdeckte „Germanico in Germania“ zu neuen Ehren gekommen. Oftmals handelte es sich dabei um Titel nach Metastasio-Libretti, die auch von anderen Komponisten mehrfach vertont wurden.
Und es stimmt, Porpora legte alle seine Fähigkeiten in die Stararien, die anderen Mitwirkenden wurden eher schematisch abgespeist. Aber die Prunkstücke in diesen Opern sind eben nicht nur lang und mit vielen Noten gespickt, sie haben auch eine abwechslungsreiche Vibranz, huldigen der Erotik der Stimme, loten immer neu deren Möglichkeiten und Farben aus. Man braucht freilich Sänger, die sich diesen horrenden Anforderungen gewachsen zeigen, die nicht nur mit Mühe einen Technikparcours absolvieren, sondern diese Hindernisläufe zum Glänzen und Funkeln bringen, ihnen auch vokal kreatives wie emotionales Leben einhauchen. Cecilia Bartoli vermochte das natürlich auf ihre „Sacrificium“-CD, und auch Philippe Jaroussky hat seine Farinelli gewidmete CD einzig mit Porpora-Arien bestritten.
Franco Fagioli als gegenwärtig technisch perfektester Countertenor hat eine Soloplatte gleich Porpora gewidmet und nun auch quasi druckpressenfrisch Max Emanuel Cencic. Der ist zudem noch mit dem kompletten „Germanico in Germania“ schon Anfang des Jahres in den Vorlauf gegangen – wie es von ihm als Markenzeichen erwartet wird natürlich auch mit angemessen exzentrischen Covern, einmal mit Husky und Tierfellen als Barbar aus dem deutschen Wald, dann im Brokatfummel hingefläzt auf einen Goldthron. A bisserl Dekadenz soll halt schon noch sein.
Und wenn gerade Cencic sich auch zurückzunehmen versteht, in den Adagio-Arien nach Innerlichkeit und Wärme sucht, Charakteristika, die man so eher Porporas Londoner Konkurrenten Händel zuschreiben würde, so ist er doch am stärksten und überzeugendsten, wenn er mit kaum verhüllt hysterischer Attitüde das Außersichsein dieser Charaktere mit Mitteln der kunstvoll abgeschossenen Töne veranschaulicht. Sieben der insgesamt vierzehn mit dem vitalen Ensemble Armonia Atenea unter George Petrou eingespielten Arien sind zudem Welterstveröffentlichungen.
Porpora wurde am 17. August 1686 in Neapel geboren, wo er nach einer langen Lebensreise durch Operneuropa am 3. März 1768 auch starb. Er besuchte das Conservatorio dei Poveri di Gesù Cristo in Neapel und wurde dann Kapellmeister bei Prinz Philipp von Hessen-Darmstadt, Kommandant der kaiserlichen Truppen in Neapel. Seine erste Oper war 1708 eine „Agrippina“. 1715 begann Porpora am Conservatorio Sant’Onofrio als Gesangslehrer. Der sensationelle Erfolg seines Meisterschülers Farinelli schob auch Porporas Karriere an, der 1722 sein Lehramt niederlege, um sich ganz Farinellis Kunst zu widmen. Erst 1725 trat er als Leiter des Ospedale degli Incurabili in Venedig wieder eine Stelle an. Sein bis daher eher sporadisches Opernschaffen mündete nun in eine lange Reihe in rascher Folge entstandener Werke mit vielen Arien speziell für Kastratenstimmen, die an allen wichtigen Bühnen Italiens aufgeführt wurden. In diesen Jahren wetteiferte Porpora mit Leonardo Vinci um den Rang als populärster Opernkomponist des Landes.
1733 wurde Porpora nach London berufen, um die neu gegründete und vom Prince of Wales protegierte „Opera of the Nobility“ zu leiten, die mit dem von König Georg II. unterstützten Opernunternehmen Georg Friedrich Händels konkurrierte. Dessen „Arianna in Creta“ konterte Porpora mit seiner „Arianna in Nasso“. Als die beiden rivalisierenden Unternehmen sich nach vier Spielzeiten gegenseitig in den Ruin getrieben hatten, verließ er London und reiste über Wien nach Neapel zurück, wo er sogleich wieder Anschluss an das öffentliche Musikleben fand und weiter Opern komponierte. 1739 wurde er Erster Lehrer am Conservatorio di Santa Maria di Loreto, ab 1742 unterrichtete in Venedig am Ospedale della Pietà, dann bis 1746 am Conservatorio dell’Ospedaletto. Anschließend wirkte er bis 1752 auch als Rivale Hasses in Dresden. Danach ließ sich als Gesangslehrer in Wien nieder, wo er den jungen Joseph Haydn als seinen Kammerdiener und Klavierbegleiter beschäftigte.
Doch seine Zeit war vorbei, Opernaufträge erhielt er keine mehr, seine neuen, aber altmodischen Instrumentalwerken war kein Erfolg beschieden. 1760 kehrte Porpora nach Neapel zurück, wo er für nur ein Jahr Maestro di cappella am Conservatorio di Santa Maria di Loreto wurde. Doch auch hier wollte man den alten Maestro nicht mehr hören, der schließlich arm und vereinsamt einige Jahre später starb. Heute freilich verhelfen die nimmermüde nach neuen Noten suchenden Countertenöre Nicola Antonio Porpora zu neuer Popularität. Man delektiert sich an seiner oft von Blasinstrumenten festlich überhöhten Virtuosität, aber auch an seinen lyrischen Nummern nach graziös-galanten Rokoko-Vorbildern. Es bleibt spannend, was für Porpora-Opern in den nächsten Jahren wohl noch exhumiert werden. Doch für den Augenblick mag man sich à la Porpora am intelligenten Vokalkönnen und der genau ausgezirkelten Affektenlehre Max Emanuel Cencics mit seiner doppelten CD-Hommage zum 250. Todestag erfreuen.
Nicola Antonio Porpora: Germanico in Germania, Opera Arias (Decca)
Der Beitrag Virtuosität und Affekt: Zum 250. Todestag von Nicola Antonio Porpora glänzt Max Emanuel Cencic erschien zuerst auf Brugs Klassiker.