Seit seinem fünften Lebensjahr spielt Gautier Capuçon Cello, gibt auf der ganzen Welt Solokonzerte, widmet sich aber auch intensiv der Kammermusik. Zeit für ein wenig Innen- und Rückschau. Er tut das in Form einen sehr originellen Albums namens „Intuition“, das sich zunächst etwas bunt ansieht, aber ein feine Programm offenbart. Und zudem ist das Cello „Instrument des Jahres 2018“. Passt also. Ein paar Fragen an ihn.
Intuition, das klingt für den sonst eher frechen diesseitsgewandten Gautier Capuçon ein wenig introvertiert….
Das soll es auch sein. Intuition, das sind Erfahrungen in meinem Leben, ich hatte vor vier Jahren so etwas wie ein Burnout ich musste mich wirklich neu aufstellen. Ich kenne nun meine Grenzen, da ich sie berührt, ja überschritten habe, das war sehr heilsam. Ich bin robust, aber selbst ich habe mich überschätzt. Und jetzt kann ich bewusster darauf zusteuern. Das war ein langer Prozess seither, der mich sensibilisiert hat, eben auch meiner Intuition zu vertrauen. Und da kamen nun im richtigen Moment so viele Geschichten zusammen, um ausgerechnet dieses Album mit kleinen Stückchen zu machen, die freilich etwas Besonders sein sollten. Es ist einerseits leichtgewichtig, lauter schöne Werke, deren feines Parfüm schnell verfliegt. Zum anderen ist es aber auch ein sehr persönliches Album, da eigentlich jedes Stück für mich eine besondere Bedeutung hat. Es erinnert mich an Momente in meinem Leben, einige dieser Geschichten teile ich mit meinen Hörern, andere nicht, die sollen nur für mich bleiben.
Dann teilen Sie doch mal eine!
Der Berg-Teil der Platte ist ein wichtiger Teil meines Lebens, da ich ja nicht nur aus den Savoyer Alpen komme, sondern auch sehr gern Ski fahre. Aber auch der der französische Anfangsteil ist damit sehr verwoben. Die Meditation aus „Thais“ war zum Beispiel ein Lieblingsstück meiner Großmutter. Wenn wir vom Skifahren kamen, dann heizte Opa den Kamin an und Oma bereitete ein paar Kleinigkeiten zum Essen vor. Und wenn wir dann am Feuer saßen und musizierten, dann hat sich Oma sehr oft dieses Werk gewünscht.
Und wie hängt das zum Beispiel mit dem Videoclip dazu zusammen?
Intuition! Der mit mir befreundete Filmemacher Dominique Filhol frage mich, ob ich nicht Lust hätte, als Teil einer Dokumentation an der berühmten Steilküste des Normandie-Ortes Etretat frühmorgens die „Meditation“ zu spielen, da doch Jules Massenet so von diesem Ort beeinflusst war. Ich fand das eine tolle Idee, wir haben es gemacht. Und wie wohl heißt dieser Film? Ja, genau: „Intuition“.
Und wie kam es zu Saint-Saëns’ „Schwan“ auf einem Berg?
Ich wolle sehr lange dort einmal drehen. Ich habe immer den französischen Schauspieler und Cellisten Maurice Baquet sehr bewundert. Ich habe ihm als Junge durch die Schwarzweißfotos von Robert Doisneau kennengelernt, die der in unmöglichen Situationen von ihm und seinem Cello gemacht hat, eben auch auf einem Berggipfel. Und einmal kam ich von einer monatelangen Tournee zurück, damals hatte ich noch keine Kinder, das würde ich heute nicht noch einmal in dieser Länge machen, und da sagten meinen Eltern, Maurice Baquet habe angerufen, er wolle mich kennenlernen. Es hat einige Wochen gedauert, bis ich mich getraut habe, zurückzurufen. Und dann war er gerade gestorben. Das war Schicksal, das hatte so sein müssen. Aber da wir zwei Leidenschaften teilten, das Cello und die Natur, wollte ich auch gern Fotos mit dem Cello in der Natur machen. Und dann kam dieses Album, und ich wusste, dass es jetzt der richtige Zeitpunkt war, diesen Wunsch zu verwirklichen. Zumal ich einen Schweizer Helikopterpiloten als Freund habe. So kam eines zum anderen, für mich ist das Intuition. Zumal „Der Schwan“ da erste Stück war, das ich öffentlich aufgeführt habe.
Das heißt es gab immer einen persönlichen Auslöser für die Stückauswahl?
Ja. Diese Platte ist deshalb auch das Ergebnis eines Netzes von Freundschaften – die bis auf 3600 Meter reichen. Das waren unglaubliche Erfahrungen. Und wenn ich heute den „Schwan spiele, dann sehe ich mich da immer vor der Kulisse des frisch verschneiten Montblanc, das ist unglaublich. Die Geschichten um dieses Album sind vorwiegend heiter, auch die, die von meinen Wiener Lehrjahren handeln, obwohl beim Aufnahmen gerade mein damaliger Lehrer Heinrich Schiff gestorben war. Er war nicht einfach, aber sehr beeindruckend und auch an ihn erinnere ich mich mit einem Lächeln. Es sind Memoiren in Musik. Die Geschichte meines Lebens nach Noten. Aber da ich erst 36 Jahre alt bin, hat es nur für einen ersten Band gereicht.
Also „nur“ eine Zwischenbilanz?
Unbedingt. Da kommt noch mehr. Es ist aber auch so eine Art Resümee nach 20 Jahren unglaublich bereichernder Aufnahmetätigkeit, die mir Alain Lanceron erst bei Virgin und nun bei Erato/Warner ermöglichte. Meine CDs sind natürlich für mich auch wie ein klingendes Erinnerungsalbum an Phasen, Leben, Lieben, Partner. Dort ist es wirklich wie in einer Familie. Man redet gemeinschaftlich über Projekte, man sich die richtigen Partizipanten, die sich alle meist auch schon seit Jahren kennen. So entsteht gute und wertvolle Musik. Es wird viel diskutiert, aber niemand wird zu etwas gezwungen. Et funktioniert als Team, und das ist so selten.
Sind alle Stücke auf der Platte alte Bekannte?
Nein, zum Beispiel Sollimas Violoncelles, vibrez!, das habe ich es kürzlich entdeckt, finde es aber ein schön abgedrehtes Stück, und natürlich ist Jerôme Ducros’ Hommage „Encore“ neu. Ich habe ihn, obwohl wir seit fast 20 Jahren zusammenspielen, erst sehr spät auch als Komponisten wahrgenommen. Es ist witzig, denn er hat hier über einige der Werke improvisiert, die wir seit so langer Zeit zusammen interpretiert und erobert haben. „Encore“ ist schwer, virtuos, komisch, romantisch, sehr freudvoll, irgendwie wie wir beide zusammen.
Ihr Bruder macht das schon länger, inzwischen unterrichten sie auch, richtig?
Ja aber weniger systematisch als Renaud. Ich gebe im Namen und finanziert von der Fondation Louis Vuitton Meisterklassen, oder besser ich arbeite mit jungen Talenten an bestimmten Aufgaben. Das ist ein neues Kapitel für mich aber ich sehe es eher als das Teilen von Erfahrungen, noch einmal: ich bin 36 Jahre alt, da möchte ich nicht als ein Professor apodiktisch von einem Piedestal herab Weisheiten verkünden. Ich habe trotzdem etwas mehr Erfahrungen als meine Schüler, wir wollen also gemeinsam voneinander lernen. Indem mein Tun von ihnen beständig und klug hinterfragt wird, muss ich mich ständig auch selbst für mich auf den Prüfstand stellen. Wir sprechen über Technik und über Musik, aber ich möchte auch um alle Themen jenseits des Cellos sprechen, die sie und uns bewegen. Es soll komplementär zu einem normalen Studium sein, ich überlege immer, was fehlte mir, was kann ich ihnen zusätzlich vermitteln? Es geht auch sehr um praktische Karrierefragen. Um Stress, um Gesundheit und Vorsorge, etwa mit einem Handchirurgen. Das sind also Unterricht, Workshops, Sprechen. Konzerte, die Welt erfahren. Eine fantastische Idee.
Wie oft machen Sie das?
Sechs Mal im Jahr, für drei bis vier Tage. Mit sechs Studenten, die ich für dieses Jahr ausgewählt habe. Und alles ist offen. Wir können Experten zu jedem Thema einladen, es ist privat finanziert, die Wege sind kurz, wir wollen viel möglich machen. Nächstes Jahr werden wir sogar Lehrstunden mit einem Orchester anbieten können, wie teilt man mit ihm seine Energie, wie führt man es durch sein Spiel? Und am Ende jeder Session stehen auch Konzerte, die von Medici-TV live übertragen werden. Auch die Meisterklassen werden übertragen, Die jungen müssen mit diesen neuen audiovisuellen Tools schließlich auch zurechtkommen. In fast jedem Konzert stehen heute Kameras und Mikro. Sie müssen lernen, damit ohne Furch zu leben, indem sie diese Spielzeuge zähmen. Wir gehen auch an schöne Orte, zum Beispiel nach Schloss Elmau. Das ist dann auch Extrazeit, noch mehr miteinander zu verwachsen, den anderen kennen zu lernen. Ein Jahr ist nicht lang, aber da hat sich dann viel starke Energie aufgebaut. Man war intensiv zusammen und wenn ich dann sehe, dass sie sich entwickelt haben, das sie weitergekommen sind, das ist das schönste Kompliment! Die kleinen Schwäne werden flügge. Das erfreut mich jetzt schon seit vier Jahren. Und es ist toll im Gebäude der Stiftung, man ist da immer von Kunst umgeben, kann sich auch mal 20 Minuten allein mit einem Bild hinsetzen und es komplett auf sich wirken lassen. Das ist sehr inspirierend. Es gibt schließlich noch viel mehr als nur Musik.
Und was bringt die Zukunft?
Ich habe kürzlich das neue Konzert von Guillaume Connesson gespielt, das mir sehr gefallen hat. Und ich habe ein neue Konzert von Karol Beffa in Madrid uraufgeführt, ich versuche also musikalisch sehr am Puls der Zeit zu bleiben. Außerdem gibt es einen Auftrag für ein Doppelkonzert für mich und Jean-Yves Thibaudet, es ist kommt im Oktober in Australien heraus. Ich toure natürlich viel mit dem Repertoire des Albums, sowohl mit Orchester wie mit Jerôme Ducros. Nächstes Jahr habe ich eine große Tournee mit Lisa Batiashvili und Yean-Yves mit dem Ravel-, Mendelssohn- und 1. Schostakowitsch-Trio. Nichts ist so intensiv für mich wie Kammermusik. Und das nächste Plattenprojekt werde ich einen deutschen Komponisten der Romantik widmen. Es gibt ein Konzert und kleine Stücke mit mir sehr vertrauten Partnern aus verschiedenen Generationen, auch Martha Argerich wird dabei sein…
Gautier Capuçon: Intuition (Erato/Warner Music); Konzerte mit dem Intuition-Programm: 8. April Hannover, 9. Düsseldorf, 10. Berlin, 11. Braunschweig, 16. Hamburg, 17. Bielefeld, 21. Frankfurt
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