Er ist wieder da. Wayne McGregor, weltberühmter britischer Tanzschöpfer und ein regelmäßiger Gast beim „Movimentos“-Festival der Autostadt Wolfsburg, zeigt dort ab heute sein jüngstes Stück für seine eigene Company „Autobiography“, das zu deren 25. Jubiläum geschaffen wurde. Diese bildet das Herzstück des 2017 eröffneten Studios Wayne McGregor in London. Aber das ist nicht alles. Kürzlich kamen ein neues Stück beim Royal Ballet in London heraus, wo der 43-Jährige als Resident Choreographer amtiert. Außerdem gibt es bei der Münchner Ballettfestwoche im Rahmen eines Portraitabends beim Bayerischen Staatsballett am 14. April die Uraufführung „Sunyata“. Und das American Ballet Theatre zeigt am 21. Mai in New York seine Kreation „Afterrite“, worin er sich mit Strawinskys „Sacre“ auseinandersetzt, den er eigentlich schon im Jubiläumsjahr 2013 am Bolschoi Theater in Moskau herausbringen wollte.
Warum hat man bisher von Ihnen vergleichsweise wenig in Deutschland gesehen?
Keine Zeit! Es gab mal was von mir beim Hamburg Ballett, dann war da meine Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Ballett, deshalb konnte ich lange nichts in München machen, wo mich Bettina Wagner-Bergelt mehrmals eingeladen hat, aber jetzt wird es dort endlich mit einer Uraufführung Wirklichkeit, noch dazu in einem ganzen, meiner Arbeit gewidmeten Abend. Und ich werde noch dieses Jahr mit meiner Company auch in Hamburg und Berlin gastieren.
Sie sind ja offenbar mit Ihren, dem Tanz gewidmeten wissenschaftlichen Arbeiten auch noch nicht fertig, richtig?
Kann man so sagen, denn für „Autobiography“ habe ich meine eigene DNA analysiert. Das habe ich mir letzten Herbst zu Feier des 25. Jubiläums meiner eigenen Company gegönnt. 25 Jahre, seit 2002 schultere ich die, das ist also schon was. Ich bin freilich kein Mensch der Vergangenheit, ich schaue ungern zurück. Da fand ich Genetik ein fantastische Sache der Zukunft. Meine DNA ist also nun zu einen Algorithmus geworden, der den Tanz organisiert. So wird es jedes Mal anders, wenn es gezeigt wird, das ist natürlich auch eine Riesenherausforderung für die Tänzer. Und JLin aus Indien hat dafür einen tollen, herausfordernden, unheimlich pumpenden Sound komponiert.
Das klingt sehr technisch….
Ist es aber gar nicht. Einige der der Tanzsequenzen beruhen auch auf Gedichten, die ich geschrieben habe. So steckt da meine Vergangenheit drin, meine genetischen Merkmale, aber eben auch, was einmal mit meinen Körper passieren wird, wie er sich verändert und schließlich verfällt. Dieses Zusammenspiel von Gestern und Morgen, von persönlicher Information, die hier ausgestellt wird, das fand ich sehr aufregend. Es ist zum Teil Dokumentation, zum Teil Spekulation. Nichts ist dabei fixiert, ich habe es in 23 Kapitel organisiert, so wie auch die Chromosomen angeordnet sind. Und es ist Teil eines sich über die nächsten fünf Jahre erstreckenden Programms, das wir mit Genetikern erarbeiten werden.
Das heißt diese, Ihre Beschäftigung mit Wissenschaft geht immer weiter voran?
Unbedingt, aber immer gibt es bei mir den Grundsatz: „Body first!“ Trotzdem ist es interessant, herauszufinden, wie man Bewegungs-Algorithmen von Maschinen oder DNA-Analysen nicht nur für gesundheitliche Forschungen nutzen kann. Und so suche ich weiter nach Organisationen, deren Daten ich für die künstlerische Praxis gebrauchen kann.
Hat es seit der Bewegungsarbeit für den letzten „Tarzan“-Film neue Projekte gegeben?
Ja, ich war an den beiden Teilen des „Harry Potter“-Spin-offs „Fantastic Beasts“ beteiligt. Und war nun „Mary, Queen of Scots“ beteiligt, was Ende des Jahres herauskommt, das ist so ein bisschen als Renaissance-„House of Cards“ angelegt. Die Filmsachen machen totalen Spaß, weil man mit großartigen Schauspieler zusammenarbeitet, mit Alexander Skarsgård, der den Tarzan spielte, bin ich seither richtig befreundet. Da einzig Schlimme, da hat sich seit den frühen Hollywood-Tagen nichts geändert: Filmarbeit beginnt leider sehr, sehr früh am Morgen…Und es ist immer sehr viel Stress in sehr kurzer Zeit, weil alles schnell gehen muss, alle unter Druck stehen. Man muss gut vorbereitet und trotzdem sehr flexibel sein, weil da mitunter 400 Leute auf einen warten. Deshalb mache ich es nur noch, wenn ich den Regisseur wirklich mag. Der ist meine Bezugsperson, mit dem muss ich in ständigem Dialog stehen. Das ist wichtig für mich.
Sie haben seit „Dido and Aeneas“ vor neun Jahren auch keine neue Oper mehr inszeniert. Gibt es da Pläne?
Ja. Und zwar für gleich zwei große Werke in der 19/20er-Saison. Eine wird in England herauskommen, das andere wird eine Koproduktion für eine internationales Opernhaus. Eine wird ein neues Werk sein, das andere ein Repertoiretitel.
Sie sind eigentlich ein Glückkind: Sie haben ihre eigene Kompagnie, Sie sind fester Choreograf beim Royal Ballet, Sie haben ein Proben- und Aufführungsplatz im teuren London, Sie sind weltweit gefragt und Sie haben die sicher nicht schlecht bezahlte Filmarbeit. Fehlt was?
Nö, das stimmt schon so. Und ich kratze mich auch fast jeden Tag an meinen nicht vorhandenen Haaren. Ja, vor allem das Center ist toll, das ist jetzt seit einem Jahr offen und wir sind 89 Künstler dort, das ist ein feiner Austausch auch sehr unterschiedlicher Temperamente. Sadler’s Wells baut dort ein neues Theater und auch das V&A-Museum. Von Covent Garden aus bin ich in einer halben Stunde da.
Wie lange arbeiten Sie jetzt für das Royal Ballet?
Es sind unglaubliche 16 Jahre, seit ich für die mein erstes Werk choreografiert habe. Und seit zehn Jahren bin ich dort resident choreographer. Und überhaupt nicht müde, gerade habe ich wieder mal verlängert. Wie kann man müde sein , wenn man an so einem tollen Platz mit aufregenden Menschen arbeitet? Gerade wechselt dort die erste Generation an den Tänzern, mit denen ich kollaboriert habe, neue Gesichter, neue Körper, neue Persönlichkeiten kommen, das ist aufregend. Ich will mehr mit denen auch im eigenen Center arbeiten, gleichzeitig zeichnen sich tolle neue Auftragsarbeiten für die große Bühne ab und ich bin total aufgeregt endlich damit zu starten, auch mit neuen Komponisten. Kevin O’Hare macht als Chef bei dieser Traditionsmaschine wirklich einen sehr guten Job.
Und wie geht es mit Ihren beiden „Konkurrenten“ am Haus?
Prächtig! Sie Kombination mit Christopher Wheeldon und Liam Scarlett, die ebenfalls dort resident choreographers sind, funktioniert sehr gut. Wir sind wirklich im Austausch, habe ja eben auch mit einem vorhanden Stück von Liam und zwei neuen einen sehr runden Abend als Leonard-Bernstein-Hommage herausgebracht. Meine erste gemeinsame Uraufführung mit Chris seit 2006! Ich habe mir als „Yugen“ die „Chichester Psalms“ vorgenommen, und der Schriftsteller und Keramikkünstler Edmund de Waal hat ausgestattet. Mit den beiden, das ist ebenfalls ein steter und sehr kreativer Austausch. Wir haben sehr unterschiedliche Ansichten über vieles – das ist super!
Hat Ihre Arbeit für das Royal Ballet Ihren sonstigen Stil beeinflusst?
Sehr. Sie ist aber auch Teil desselben Bildes und ich schaue nur auf andere Teile davon. Viel wichtiger erscheint mir freilich, dass mein Stil und meine Stücke die Art verändert haben, in der das eher traditionsverliebte Tanzpublikum in Covent Garden nur auf die Vorstellungen des Royal Ballet und des Tanzes überhaupt schaut. Und das funktioniert wirklich gut. Auch im Hinblick auf die visuelle Umsetzung, kann man dort inzwischen eigentlich alles versuchen. Ein echter Höhepunkt war sicher „Woolf Works“, eine tolle Mischung aus Thema, Umsetzung, Casting, Musik, das hat die Menschen wirklich begeistert und mitgenommen. Und es war für mich als narrativ abendfüllendes Ballett natürlich auch eine sehr große Herausforderung.
Hat so etwas Folgen?
Unbedingt. Gerade bringe ich ja auch ein neues „Sacre du Printemps“ am American Ballet Theatre heraus, und da habe ich ebenfalls die wundervolle Alessandra Ferri besetzt, die in „Woolf Works“ die ältere Virginia Woolf spielte und die tatsächlich einen zweiten Tanzfrühling durchlebt. Sie hat eine unglaubliche emotionale Intelligenz, die mich beflügelt. Aber es ist auch bedeutsam, dass sich in London eine traditionelle Institution bewegt, denn dann bewegt sich auch die ganze Tanzszene. Das ist wichtig für die jungen Künstler, sonst stoßen sie nur auf Blockaden. Das Royal Ballet hat das durchaus als Teil seines öffentlichen Auftrags verstanden. Und sie sind damit gegenwärtig auch ein wenig weiter und moderner als etwa das Royal Opera House. Wir haben inzwischen ein viel jüngeres, neugierigeres Publikum. Wir sind die Blume, die schon aufblüht, in der Oper sind die Planungen natürlich auch viel langfristiger. Ich hoffe, dass es mit dem neuen künstlerischen Leiter Oliver Mears mehr Zusammenarbeit mit der Tanzsparte gibt. Das wäre gut für uns alle. Und für 2019/20 ist auch wieder ein Abendfüller geplant, dessen erste Hälfte bei einer USA-Tour herauskommen wird.
Wie sehr wird Ihre Arbeit in England künftig vom Brexit beeinflusst werden?
Ich bin natürlich total dagegen. Aber ich will jetzt auch keine Panik schieben. Wir müssen abwarten und sehen, was kommt – um das möglichst schon früh beeinflussen zu können. Nach der ersten Horror-Starre, gehe ich voran, ich bin ein Macher. Ich stelle mich immer etwas. Mein ganzes Künstlerleben hängt schließlich von Kollaborationen ab, seit ich als 21 begonnen habe. Meine erste Kreation ist durch 10 europäische Länder getourt! Da müssen wir unbedingt neue Wege auch für die Jungen finden, falls es sich zeigen sollte, dass solches so wie bisher nicht mehr möglich sein wird. Aber ich bin ein Optimist, wir werden bestimmt einen Weg finden.
Die Company Wayne McGregor gastiert am 10. und 11. April mit „Autobiography“ im KraftWerk der Autostadt.
Der Beitrag Wayne McGregor bei „Movimentos“: in 23 Teilen vertanzt „Autobiography“ die eigene DNA erschien zuerst auf Brugs Klassiker.