Es ist der wohlmöglich älteste Komödienstoff der Welt: alter Mann liebt junges Mädchen, das nimmt aber einen Jungen und gibt den Ollen dem Gespött preis. Darüber lachten die alten Griechen und Römer, die Menschen des Mittelalter und der Renaissance. Die Commedia dell’arte machte sich darüber lustig und die Opera buffa. Als deren Spätform goss es 1843 Gaetano Donizetti für das Pariser Théâtre des Italiens als „Don Pasquale“ samt ganz bewusst zeitgenössischer Optik in wunderbar blühende, verplappert keckernde, aber eben auch melancholische Melodien. Damals waren mit Giulia Grisi, Antonio Tamburini und Luigi Lablache die größten Sänger ihrer Zeit am Start, auch berühmte Dirigenten hatten immer eine Schwäche für dieses kleine, feine Operchen. In Deutschland freilich wurde das Werk gern unter der Rubrik „hübsch und harmlos“ und ohne viel Aufwand als Spielplanfüller missbraucht. Gegenwärtig gibt es an der Mailänder Scala wie an der Stuttgarter Oper zwei Neuproduktionen, die den „Don Pasquale“ luxuriös ernst nehmen. Doch das Rennen haben die Italiener gemacht.
Am Scala-Pult steht Musikchef Riccardo Chailly höchstselbst. Der lässt das farbenreiche, knusprig, aber auch zärtlich aufspielende Orchester mit höchster Präzision agieren. So läuft die Komödienmechanik wie geschmiert, uhrwerkhaft rattern die Parlando-Momente, aber da blühen auch die Bögen, die Soloinstrumente werden ins rechte Licht gerückt, Spaß kippt schnell in Ernst. Leichtgewichtig wird hier ein Sorbetto serviert, doch immer wieder verharren die Personen reflektionshaft lyrisch nachsinnend über ihr nicht immer rechtes Betrügertum.
Ähnlich geht Regisseur Davide Livermore vor, der gern für knallbunt-kreischige Komödien gebucht wird. Der sucht nach einem Grund, warum der alte Pasquale so vom Leben enttäuscht ist, sich aber auch so weltfremd leicht einwickeln lässt. Schuld ist natürlich – „Ödipussi“ lässt nicht nur mit seinen Graunuancen in der wunderbar wandelbaren Bühne des Kollektivs Gió Forma grüßen – die überdominante, sonst nicht auf der Besetzungsliste stehende Mama. Die wird bereits zur Cello-Cantilene der Ouvertüre zu Grabe getragen. Doch als Rückblende zeigt sich, wie dieser bis ans Opernende ziemlich lebendige, zudem filmisch höchstagil im Porträt präsente Mutterdrachen selbstsüchtig dem Sohn jede nähere Begegnung mit dem weiblichen Geschlecht unterband.
Seine monströse römische Villa trägt schwer an der Tradition, an Säulen, Architraven, Portieren, und ist doch schon längst baufällig. Dorthinein weht der Wind der Jugend und des italienischen Kinos der Fünfzigerjahre, das Livermore hier nicht zum ersten Mal, aber wieder wonniglich zitiert. Da fährt Ernesto, Pasquales Neffe, der eine reiche Alte heiraten soll, weil ihm der verkorkste Onkel auch kein besseres Schicksal gönnt, auf der Vespa aus „Ein Herz und eine Krone“, und seine Geliebte Norina, die ihren Schneidergeschäften in der Alta Moda, aber auch in Cinecittá nachgeht, fliegt mit dem weißen Sportflitzer aus „La dolce vita“ wie darin einst die Christusstatue über die Vatikanischen Gärten. Und am Ende, zu Mondscheinsonate und dem zärtlich gurrenden Liebesduett, versammeln sich alle auf der Via Apia zwischen Nutten, Tanke und Kettenkarussell. Lauter schöne, durch Videos unterstützte wie schwerelos wandelbare Bilder und Metaphern; bunt werden sie nur, wenn die sopranglitzernden Norina Rosa Feolas ins vokale Spiel kommt.
Da mutieren Charaktereigenschaften zu Couture-Modellen, Dekoartikel tanzen, um Pasquales Villa aufzuhübschen und Norina trägt die Hommage an die ewige Stadt sogar als auf Seide gemalte Spanische Treppe auf dem sich bauschenden Rock – ein weiterer Kostümcoup des vielfach ausgezeichneten Gianluca Falaschi. Herrlich sind die Veduten zwischen Stazione Termini und großbürgerlichem, von eleganten Party People bevölkerten Salon. Livermore hält das unaufdringlich im Fluss, verliert aber sein Anliegen nicht aus dem Auge. Keiner ist hier wirklich gut, jeder hat eine gehörige Portion Egoismus dabei, aber am Ende verzeiht man sich doch und hat Erkenntnis gewonnen. Die einen fliegen in ihren Fahrgeschäftssesseln hoch, doch Don Paquale, schwergewichtig, eben auch schwermütig, bleibt am Boden. Und selbst die auf ewig untote Mama reiht sich ins Finalensemble ein, ohne dass sie gleich zum Komplex werden würde.
Ambrogio Maestri verweigert dem Komödienaffen den Zucker, schlägt auch nachdenklicher prachtbaritonale Töne an. René Barberas Ernesto verfügt über die allerhöchsten Tenorino-Nuancen, auch wenn sich die Stimme bisweilen etwas verflacht. Ebenso könnte man sich den Dokor Malatesta den Stimme wie Aussehen gern ausstellenden Mattia Olivieri noch prägnanter vorstellen. Doch man merkt in jeder Sekunde und Note: Diese auch editorisch aufgefrischte, jede sonst gestrichene Note zu Gehör bringende „Don Pasquale“ wird psychologisch ernst genommen und soll trotzdem lachen oder zumindest lächeln lassen.
In Stuttgart hingegen, wo seit mindestens 25 Jahren das strenge Dramaturgenregime von Klaus Zehelein und Nachfolgern herrscht, sind Intendant Jossi Wieler und Chefdramaturg Sergio Morabito zum Buffa-Lachen in den Keller gegangen. Beide haben höchst erfolgreich, zudem mit der gleichen Protagonistin Ana Durlovski Tiefsinniges, ja Bewusstseinerweiterndes in den beiden Bellini-Belcanto Schlachtrössern „La Sonnambula“ und „I Puritani“ gefunden. Doch zu Donizetti ist ihnen nur Grimmiges, Krampfiges eingefallen. Klar, auch sie sehen einen ins kapitalistische Heute transferierten Pasquale vor allem als Opfer, als alten, kontaktscheuen Mann, der seine Firma führen musste und dem – das zeigt ebenfalls in der Ouvertüre ein flowerpowerbunter Trickfilm – die Eltern in den Swinging Sixties das Liebesglück zerstört haben.
Doch bei ihnen rumpelt das folgende Karussell der echten und vorgespielten Liebe als schwäbische Schwerstarbeit dahin, obwohl sich doch die schnieke, aber kalte Einheitsbühne Jens Kilians schneckenhaushaft um Pasquales altarähnlichen Schreibtisch dreht. Die Hippie-Scharade um die liebreizende, vorgebliche Malatesta-Schester Sofronia, die kaum verheiratet zur geldfressenden Megäre wird, sie kommt grob und sehr unlustig exerziert daher, mit einem freakhaften Chor und nicht wirklich überzeugenden Solisten. Ana Durlovski als kaum empathieanregendes Luder in Raubtierprintleggins klingt so schrill und überdreht wie ihr Telefonino im Dauereinsatz. Immerhin: in beiden Inszenierungen setzt ihre Ohrfeige für Pasquale eine äußerst schmerzhafte, weil eben gar nicht mehr komödiantische Zäsur.
Enzo Capuanos Pasquale mault zahnlos, man interessiert sich nicht wirklich für sein Schicksal. Der die hohen Töne drückende Ioan Hotea (Ernesto) raucht passiv als Indianer einen Joint, vorher sollen ihm Hoodie und Kopfhörer juvenile Glaubwürdigkeit verleihen. André Moschs verlässlicher Malatesta ist einzig ein schmieriger Strizzi. Und auch beim Staatsorchester unter Guliano Carrela geht es war hell und durchsichtig zu, aber es funkelt nicht wirklich Humor.
Die Deutschen und die Buffa, obwohl auch in Stuttgart als Chefsache behandelt, das bleibt im Beziehungsstatus „kompliziert“ verharren. Dafür haben die Italiener zumindest in Mailand sie so liebevoll wie intelligent ins 21. Jahrhundert transferiert.
Der Beitrag „Don Pasquale“ in Stuttgart und Mailand: Und schuld sind immer die Alten erschien zuerst auf Brugs Klassiker.