Weiter geht es mit einer Umschau durch die Angebote der neuen Saison, die so peu à peu per Spielplankonferenz hereintröpfeln. Hierzulande besonders erwartungsvoll beachtet: der Neuanfang an der Staatsoper Stuttgart, der auch ein Generationswechsel ist. Intendant Viktor Schoner und sein GMD Cornelius Meister sind 44 bzw. 38 Jahre alt. Zudem gilt es 25 Jahre Hardcore-Dramaturgentheater vor Ort abzuschütteln, das in den letzten Saisons etwas hartleibig wirkte, hier sind dringend neue Handschriften gefragt. Schoner, der bei Gerard Mortier und Klaus Bachler gelernt hat, beides dominante Persönlichkeiten, die wenig Entfaltungsraum für Untergebene lassen, ist ästhetisch ein unbeschriebenes Blatt, man sieht aber, wer ihn geformt hat. So gibt er zur Eröffnung dem im München zweimal durchgefallenen ungarischen Theaterstar Árpárd Schilling den „Lohengrin“ (womit das Haus einst eingeweiht wurde), den natürlich Meister dirigiert. Aus dem „Nie sollst du mich befragen“ wurden gerade solche Fragen jeder Premiere vorangestellt; mit Gastspielen und ausgeliehenen Produktionen sind es acht, fast doppelt so viele wie bisher. Er wolle „an vieles anknüpfen und vieles weiterführen“, hatte Viktor Schoner angekündigt. „Und wir werden selbstverständlich Neues wagen.“
Zunächst sieht das freilich noch wie ein Gemischtwarenladen aus, der vorsichtig alle Richtungen bedient. Als Gastspiel folgt Alain Platels (den ebenfalls der ehemalige Mortier Mitarbeiter Thomas Wördehoff in Ludwigsburg gepflegt hat) aktuelles, ziemlich missratenes „Requiem pour L.“ Titus Engel und Hans Op de Beeck bringen zum Reinschmecken in dem frühestens in fünf Jahren als Sanierungsausweichquartier dienenden ehemaligen Paketpostamt Bartóks „Blaubarts Brug“ ohne Ergänzung als Solitär mit Claudia Mahnke und Falk Struckmann heraus. Der hochbegabte Dirigent Alejo Perez und der schräge Filmemacher Axel Ranisch kümmern sich um Prokofiews „Die Liebe zu den drei Orangen“. Cornelius Meister und Stephan Kimming stellen Henzes „Der Prinz von Homburg“ neuerlich zur Diskussion. André de Ridder und Marco Storman haben sich John Adams’ endlich einmal auf eine große deutsche Bühne kommenden, durchaus aktuellen „Nixon in China“ vorgenommen.
Aus Paris kommt Krzysztof Warlikowskis Gluck-Version der „Iphigénie en Tauride“, die Stefano Montanari dirigiert. Aus Lyon kommt, aktuell koproduziert, Arigo Boitos „Mefistofele“ (Daniele Callegari/Àlex Ollé von La Fura dels Baus). Cornelius Meister dirigiert vier der sieben ambitioniert programmierten Sinfoniekonzerte und auch einige Wiederaufnahmen von Repertoireproduktionen, die für die Kontinuität vor Ort stehen. Der eben in Berlin als „Salome“-Retter gefeierte Dirigent Thomas Guggeis, der Kapellmeister wird, bekommt dreimal Repertoire und den Henze zum Nachschlagen. Möglichkeiten ausloten, das scheint in Stuttgart die sympathische, noch ein wenig diffuse Devise.
Sehr viel fader geht es an der Deutschen Oper Berlin zu, wo das Team Donald Runnicles/Dietmar Schwarz ins 7. Jahr geht und alles sehr vorhersehbar, im Spiel der drei Berliner Opernhäuser wenig ambitioniert wirkt. Man setzt lieber auf sein großes Repertoire der Spätromantikknaller und verlässt sich auf Christoph Seuferle ssouveräne Besetzungspolitik der Alltagsvorstellungen. Immerhin wurde auch hier – dank ausgeliehener Produktionen – die Premierenanzahl gesteigert. Kein Unbekannte in der Hauptstadt ist „Wozzeck“, den neuerlich der müde Norweger Ole Anders Tandberg in die Finger bekommt. Runnicles steht am Pult. Man will weiter (gleich dreimal!) seine Kompetenz im französischen Fach beweisen – und spielt, statt sich endlich einmal um die „Rheinnixen“ zu kümmern, kurz nach der komischen Oper schon wieder „Hoffmanns Erzählungen“ in einer düster-grauen, bereits 15 Jahre alten Laurent-Pelly-Fassung aus Lausanne. Enrique Mazzola, der Erster Kapellmeister wird, steht am Pult. Ambition sieht anders aus. Als nächste Leihgabe kommt aus Stuttgart Jossi Wielers Bellini-Inszenierung „La Sonnambula“ (Diego Fasolis als Dirigent klingt freilich spannend); mit dem nach seinem Stuttgarter Intendanzende wieder freien, in Berlin wohnenden Wieler will man verstärkt zusammenarbeiten – auch wenn dessen Ästhetik langsam Staub ansetzt…
Der an der Komischen Oper nicht so gut angekommene Tobias Kratzer kapriziert sich nun an der Deutschen Oper einzig auf den Zemlinsky-Einakter „Der Zwerg“, ergänzt um Schönbergs „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“, bei der wiederum Runnicles den Taktstock hebt. Robert Carsen, ebenfalls nächste Saison an der Komischen Oper mit „Die tote Stadt“ präsent, inszeniert die Detlev-Glanert-Uraufführung „Ocenae“, ein „Sommerstück“ nach einer Fontane-Vorlage, ebenfalls ein GMD-Stück. Ein wertvolle Repertoire-Ergänzung dürfte Massenets „Don Quichotte“ werden, den dirigentisch Emmanuel Vuillaume und szenisch Jakop Ahlbom ( der in der Werkstatt mit ebenfalls „Hoffmanns Erzählungen“ enttäuschte) betreuen, und in dem mit Alex Esposito und Clémentine Margaine zwei Klassesänger aufgeboten sind. Und zum Ende der Spielzeit kehrt, wie diese Saison, Diana Damrau, die hier nicht szenisch auftritt, wenigstens mit einem konzertanten Starvehikel zurück: Ambroise Thomas’ „Hamlet“, natürlich mit ihrem Mann und Florian Sempey in der Titelrolle.
Zur Komischen Oper: Auch dort bietet Barrie Kosky eigentlich seine bewährten Linien, etwas überraschungslos. Den Korngold dirigiert der neue GMD Ainārs Rubiķis, wie ebenfalls die vierte Berliner Opernuraufführung nach dem gerade neuverfilmten Fritz-Lang-Klassiker „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ von Moritz Eggert, um die sich Kosky szenisch bemüht. Nach der Kinderoper „Der Zauberer von Oz“ folgt als Bernstein-Hommage leider schon wieder die an der Staatsoper versemmelte „Candide“ (Kosky, de Souza) mit Anne-Sofie von Otter als Old Lady. Das gleiche Team frischt „La Bohème“ auf. Der Paul-Abraham-Operettenschwerpunkt wird mit „Viktoria und ihr Husar“ zu Weihnachten semikonzertant und „Roxy und ihr Wunderteam“, neuerlich mit den Geschwister Pfister/Stefan Huber fortgesetzt. Und Harry Kupfer hat sich für seine Regierückkehr Händels „Poro“ gewünscht.
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