Diese Wiener. Das Kaiserjubiläum-Stadttheater, vulgo die Volksoper wird 120 Jahre alt. Und diese seltsame Jubiläum begeht dort Direktor Robert Meyer. Immerhin zwei Bühnen kümmern sich um den für die Stadt, sprich die Philharmoniker einst wichtigen Leonard Bernstein. Die Volksoper holt von der Staatsoperette Dresden deren temporeiche „Wonderful Town“-Inszenierung von Matthias Davids und das Theater an der Wien bringt an der Kammeroper „Candide“ heraus. Zum 200. Geburtstag von Jacques Offenbach hingegen, für den die Donaumetropole der allerwichtigste deutschsprachige Abspielort war, mit zum Teil eigens orchestrierten, umgeschriebenen Fassungen hat als Novitäten in der ersten Hälfte 2019 (das Geburtsdatum ist der 20. Juni!) lediglich das TadW in der Kammeroper den Olympia-Akt aus „Les Contes’d Hoffmann“ im Angebot! Ob sich der Staatsopern-Franzose Dominique Meyer oder Roland Geyer wenigsten für 2019/20 zur den an der blauen Donau uraufgeführten „Rheinnixen“ durchringen können? Wohl ein frommer Wunsch…Dafür bringt es das Haus am Ring fertig, zum Jahrestag des 150. Eröffnungsjubiläums zwar für die neue „Frau ohne Schatten“ den darin vielfach bewährten Christian Thielemann am Premierenpult zu haben, aber die Rollendebüts von Nina Stemme als Färberin und Evelyn Herlitzius als Amme (der mal als Kaiser gerüchteweise genannte Jonas Kaufmann ist natürlich nicht dabei) inszeniert ein No-Name wie Vincent Huguet, ehemaliger Chereau-Assistent, der bisher nur mit Kleinkram in Frankreich und einem „Werther“ in Klagenfurt eher nicht von sich reden machte.
Und sonst so? Die Staatsoper ist nun endlich bei den von Meyer versprochenen, natürlich Vorläufe brauchenden Uraufführungen angekommen. Wobei eine, die von Krzysztof Penderecki, erst kürzlich von diesem selbst abgesagt wurde, stattdessen gibt es immerhin mit dem demselben Team (Boder/Marelli) die Erstaufführung von Manfred Trojans „Orest“ Und dem geht die Uraufführung von Johannes Maria Stauds und Durs Grünbeins „Die Weiden“ voraus, für welches Ingo Metzmacher und die vor Ort neue Andrea Moses verantwortlich zeichnen.
„Lucia di Lammermoor“, noch nicht ganz so alt wie die einstige Premierensängerin Edita Gruberova, wird durch eine Neuinszenierung des vor allem auf Komödien spezialisierten Laurent Pelly ersetzt, es singen der hier ein Heimspiel gebende, wegen seiner Kinder öfter an seinem Wohnort auftretende Juan Diego Flórez (mit dem unter Bogdan Roscic dem Vernehmen nach auch ein neuer „Idomeneo“ geplant ist) sowie Olga Peretyatko-Marotti, die für ihr Rollendebüt in New York gerade von der dortigen Kritik nicht eben auf Rosen gebettet wurde. Belcanto-Spezialist Evelino Pidò kehrt einmal mehr ans Staatsopernpult zurück. Flórez gibt ebenfalls sein szenische Des-Grieux-Debüt in „Manon“. Ein Stimmenfest wird sicher Berlioz’ „Les Troyens“ in der von Alain Altinoglu dirigierten, aus London weitergereichten David-McVicar-Anrichtung mit Anna Caterina Antonacci und Joyce DiDonato. Ebenfalls entsorgt wird der Christine-Mielitz-„Otello“, Myung-Whun Chung steht am Pult für den faden Regisseur Adrian Noble, als Besetzung hat es lediglich für Aleksandrs Antonenko und Olga Bezsmertna gereicht.
Am Theater an der Wien dreht sich der Kreislauf der ewig gleichen Künstlernamen munter weiter, immerhin hat man das Angebot von Haupthaus und Kammeroper mit jungen Ensemble geschickt verzwirnt. So gibt es thematisch drei „Kreise“, gewidmet Schiller-Opern, Händel-Zauberstücken und Weber, in szenischen oder nur konzertanten Produktionen. Absurderweise gibt es im Schiller-Unterfangen auch den fünfaktig französischen „Don Carlos“ mit Nachwuchssängern in der Kammeroper! Dazu kommen Rossinis „Guillaume Tell“ (Torsten Fischer, Diego Matheuz) und Tschaikowskis „Die Jungfrau von Orleans“ (Lotte de Beer/erstmals Oksana Lyniv). Das Weber-Quartett umfasst „Euryanthe“ (Christof Loy, Constantin Trinks). Thomas Guggeis dirigiert den aus München übernommenen Nikolaus-Habjan-„Oberon“ und konzertant gibt es „Peter Schmoll“ sowie den „Freischütz“ (Laurence Equilbey).
Der „Zauberkreis“ stellt vier magische Opern Georg Friedrich Händels in seinen Mittelpunkt: „Alcina“ (Tatjana Gürbaca/Stefan Gottfried, Marlis Petersen singt die Titelpartie), „Teseo“ (René Jacobs, Leiser und Caurier), „Orlando“ (Claus Guth/ erstmals Giovanni Antonini) sowie konzertant der von Jean-Christophe Spinosi dirigierten „Rinaldo“. Dazu gibt es Purcell, Ravel und konzertant Vivaldis „Orlando Furioso“ mit Max Emanuel Cencic (der auch in Vincis „Gismondo“ singt).
Ein vierter Kreis bringt die Reste. Darunter sind immerhin ein von Christian Gerhaher und Maria Bengtsson vokal geschmückter szenischer „Elias“ mit Jukka-Pekka Saraste am Pult und dem erstmals in Wien arbeitenden, allen Ernstes noch als „Skandalregisseur“ ausgepreisten Calixto Bieito (den eigentlich erstmals Roscic mit seiner Uralt-„Carmen“, die die Zeffirelli-Antiquität an der Staatsoper ersetzen soll, präsentieren wollte). Ob man sich zudem in Händels „Messiah“ den verurteilten und seine Strafe abgesessenen habenden Kinderschänder Robert King am Pult antun möchte, kann im Zuge der #MeToo-Debatte ja jeder für sich selbst entscheiden…
Das Spannendste an der Volksoper: einer der leider selten gewordenen Revitalisierungen von Lortzings „Zar und Zimmermann“ mit Hinrich Horstkotte und Christoph Prick artgerecht szenisch und musikalisch präsentiert, sehr schön mit Daniel Schmutzhard (Zar) und Lars Woldt (van Beet) besetzt. Für Raritätensammler gibt es Benatzkys „Meine Schwester und ich“ sowie „Powder her Face“ von Thomas Adès, für Doublettenliebhaber den „Fliegenden Holländer“ (Aron Stiehl, Marc Piollet). Die Operette wird mit der „Casardasfürstin“ routiniert bedient, Peter Lund inszeniert.
Weiterhin schnarcht das Ballett auf Französisch vor sich hin, künstlerisch passiert da einfach überhaupt nix. Ballettdirektor Manuel Legris präsentiert an der Staatsoper Leo Delibes’ „Sylvia“ in eigener Choreografie sowie einen vierteiligen Abend mit Altlasten von Forsythe, van Manen und Kylián. An der Volksoper gibt es als kleinen Delibes-Schwerpunkt Pierre Lacottes uralte „Coppélia“, und Ballettmeisterin Ballettmeisterin Vesna Orlic bastelt einen „Peter Pan“.
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