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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Weiblich, mitfühlend, ohne Primadonnen-Allüre: Anna Netrebko gibt ihr „Tosca“-Rollendebüt an der Metropolitan Opera

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Sie ist vom ersten „Mario“-Schrei an die Puccini-Königin dieses Metropolitan Opera-Abends: Anna Netrebko hat ihre erste Tosca gesungen. In der absagenreichen Silvester-Produktion, die erst den Cavaradossi (Jonas Kaufmann), dann die Tosca (Kristine Opolais), sowie zwei Dirigenten (Andris Nelsons, James Levine) und schließlich auch noch den Scarpia (Bryn Terfel) verloren hat. Die Netrebko war aber immer schon erst als superluxuriöse Zweitbesetzung für das traditionsgemäß noch einmal stargespickte Saisonfinale gebucht – weniger Stress, weniger Proben. Und natürlich kam sie höchstens dreiviertelstudiert an. Doch die Frau ist pure Intuition! Trotz der wenig glamourösen, zwischen kackbraun und schlammfarben changierenden Kostüme war sie sofort der vokal wie darstellerisch strahlende Mittelpunkt. Nichts leichter als das: In seinem dritten Operndirigat in 28 Stunden (!!) schwächelte Bertrand de Billy dann doch etwas und fuhr schön langsam auf Autopilot. Das Orchester hat 959 „Tosca“-Vorstellungen hinter sich, die können das. Statt die ungeliebte, weil karge Luc-Bondy-Inszenierung durch deren gewohnt hyperrealistischen Zeffirelli-Vorgänger zu ersetzen, musste jetzt mal wieder David McVicar als der Schenk-mit-Sex unserer Operntage ran. Und der quälte sich. In John McFarlanes expressiv-realer Ausstattung mit verzerrten Perspektiven auf einer Schräge stimmt dann doch wenig, es sieht aber dramatisch aus. Immerhin funktioniert als Zentrum der Kolportagehandlung das Verführungs- und Abstoßungsspiel des zweiten Aktes, obwohl Michael Volles Scarpia mit inzwischen besserem Italienisch zwar keinerlei faunischen Sex hat, aber als ältlich voluminöse deutsche Bulldogge sehr gut bellt.

Fotos: Ken Howard

Dafür verströmt Anna Netrebko triefende Sinnlichkeit. Und bringt das Primadonnen-Kunststück fertig, im ersten Akt auch komisch, kindlich und warmherzig zu sein, im zweiten Akt aber an natürlich tragischer Größe zu gewinnen, die sie das „Vissi d’arte“ in einer fast kunstlosen, und deshalb umso raffiniert ehrlicheren, samtigdunklen Natürlichkeit singen lässt. Da ist nichts gemacht, das strömt als Affekt des Augenblicks. Einfach genial!! Wo man wieder einmal unmittelbar erlebt, was man eben nicht lernen kann. Das Publikum, darunter die Ex-Tosca Carol Vaness, der Ex-Cavaradossi Plácido Domingo (der mittags in der Matinee noch in seiner 149. Rolle als Vater in „Luisa Miller“ berührt hatte) und seeehr viele Russen, war begeistert. Im dritten Akt wächst sie dann noch einmal zur schicksalsergebenen, unglaublich schön, weiblich warm Gefühle verströmenden Partnerin und Cavaradossi-Komplizin. Das ist keine egozentrische Diva à la Scotto, Kabaivansaka oder (eben 70 Jahre alt geworden) Catherine Malfitano. Sie hat mehr Stimme, wärmere Töne. Sie behält sich eine anrührende Naivität, die erst spät merkt, worin sie da hineingeschlittert ist. Und die – das hat McVicar klug inszeniert – das Obstmesser erst wieder zurücklegt, bevor sie dann doch zusticht, sogar zweimal, um dann umso schuldbewusster die üblichen Kerzenleuchter und das Kruzifix librettogerecht um den Toten zu arrangieren.

Ach ja, neben den gewohnt Met-guten Comprimarii gab es ja auch noch einen Tenor. Marcelo Álvarez hatte wundersamerweise die ganze Serie abgesagt, Netrebko-Gatte Yusif Eyvazov, vermutlich sowie Cover, da mit Frau in town, durfte einspringen. Und wieder hört man ungeschminkt und ziemlich grausam den Niveauunterschied. Er war zwar nicht schlechter als etwa der monochrome, plumpe Aleksandr Antonenko eben bei den Osterfestspielen Salzburg, aber eben auch nicht wirklich gut, oder gar auf Netrebko-Niveau. Da müht sich jemand mit zweitklassigen Timbre ab, hat zwar an darstellerischer Statur gewonnen, traut sich inzwischen ein Piano, weißt Spuren von Interpretation auf, aber ist eben doch nur Lückenbüßer, Ehemann, Mitläufer. Irgendwie tragisch, aber nicht unser Problem. Dafür freuen wir uns auf Netrebkos „Forza del Destino“-Leonora in London (ab 21. März, endlich neben Jonas Kaufmann) und auf ihre unterschriebene Elsa im Bayreuther „Lohengrin“ 2019 sowie auf eine am Moskauer Bolschoi Theater wie an der Met geplante Salome…“Tosca“ á la Netrebko gibt es übrigens so schnell nicht wieder. Zwei nach dem Met-Run angesetzte Vorstellungen bei den Münchner Opernfestspielen fielen leider bereits Putins Fussballweltmeisterschaft zum Opfer!

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