Astrid Varnay war meine erste Klytämnestra und meine erste Herodias … und bis heute die beste. Abgewrackt, aber stolz, willenskräftig, dekadent und verzweifelt. Als Statist in „Elektra“ musste man aufpassen, dass man von ihrem Stock nicht getroffen wurde, wenn sie in Rage war. Nur zum Todesschrei am Schluss hat sie sich (wie alle anderen red hot Atridenmamas auch) doubeln lassen („die Damen für den Schrei bitte auf die Bühne“). Sie war aber auf den Fluren und bei den Proben die Bescheidenheit selbst, immer freundlich zum kleinsten Schräubchen im Getriebe. Ein Legende in der Kittelschürze, eine Oma, die auf der Bühne zum Monster, zur Mama Lucia, zu alten Gräfin, zu allem wurde. Ein Theatertier, ein Sängerinnenereignis. Eine sehr gute Lehrerin für szenischen Darstellung im damaligen Opernstudio, eine unglaubliche Konstante in einem längst abgegangenen Sängerensemble an der Bayerischen Staatsoper. Eine, die zwar leider das Geld brauchte, aber die trotzdem Spaß hatte, immer noch Bühnenluft zu schnuppern, selbst als Garderobiere in „Die Sache Makropoulos“ (ihre Küsterin ist unvergessen) oder als stumme (!) Amme im „Boris Godunow“. Und dabei hat Ibolyka Astrid Maria Varnay von Stockholm bis München eine weiten Lebensweg zurückgelegt. „Ihre Stimme ist von metallischer Härte, intellektueller Strahlkraft und voll dämonischer Tiefen“, so charakterisierte sie Wieland Wagner. An der Met und in Bayreuth (von 1951-68) neben Martha und Birgit gefeiert, in München geliebt. 2006 ist sie gestorben. Heute wäre sie 100 Jahre alt geworden. Was brauchten wir in München einen Baum auf der Bühne, wenn wir Astrid Varnay hatten?
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