Sind es die vielen Quinten? Oder die verschwimmenden Harmonielinien über dem Dirigentenpulthorizont? Jedenfalls hat sich kein klassischer Musiker gegenwärtig so sehr an Claude Debussy besoffen wie Daniel Barenboim. Man könnte fast schon meinen, hier dirigiere mit einigen Promille zu viel, aber mit feinster Präzision Claude Barenboim Daniel Debussy. Es begann mit einer neuen Klavierplatte zum 100. Todestag, es folgte ein tout-Debussy-Doppel in Konzertprogrammen mit der Staatskapelle in Berlin. Im ersten in der Philharmonie gab es die komplette, in „Parsifal“-geschwängerten Klangschwaden schwelgende wie in altertümlichen Kirchentonarten sich wiegende Bühnenmusik zum einstigen Ida-Rubinstein-Spektakel „Le Martyre de Saint Sébastien“. Als schwarzgewandet androgyne Amazone sprach Maria Furtwängler (ihre bunte Hauszeitschrift war auch anwesend) mit kristallin-klirrender Diktion die Reste des schwülstigen Gabriele-d’Annunizo-Textes. Anna Prohaska und Marianne Crebassa sangen sich herrlich im Timbre ergänzend als sterbende Zwillinge. Und vorneweg hatte Barenboim sogar seine alte Freundin Martha Argerich (wieder in ihrem gegenwärtig bunt gefiederten Lieblingsrock) dazu überredet, sich erstmals der undankbaren, weil oft genug klanglich im Orchester verschwindenden, aber von ihr selbstredend veredelte Klavierfantasie anzunehmen.
Danach gab er bei einem Klavierabend mit der Argerich zusätzlich im Duo Six Épigraphes antiques, die Suite En blanc et noir, das Prélude à lAprès-Midi d’un Faune, Lindarja sowie La Mer klang-, aber nicht qualitätsreduziert zum Besten. Am zweiten Orchesterabend in der Staatsoper waren jetzt neben den feinsinnig klangverzwirbelten, höchste Dynamikamplituden erklimmende Klassikern wie La Mer und die Trois Nocturnes (bei Sirènes saß die Damenchormitglieder sich noch besser tonmischend zwischen den Musikern) Rarissimia wie Debussys Rom-Kantate „La Damoiselle Élue“ und seine letzte Vokalkomposition, die ebenfalls mittelalterlich anmutenden Trois Ballades de François Villon zu hören. Und wieder waren, weiß und apricotgewandet im griechischen Stil, die Prohaska und die Crebassa als köstliche Vokalkirschen auf dem Kuchen mit dabei. Der Debussy-Tross zieht nun weiter nach Wien, wo ergänzt um Wagners „Parsifal“-Vorspiel und Karfreitagszauber sowie die Images, gar drei Debussy-Abende im Musikverein daraus werden. Das kauft man wirklich nur Daniel Barenboim ab.
Aber damit nicht genug. Nachdem er sich seine Regie-Buhs als eher flügellahmer „Fledermaus“-Arrangeur an der Deutschen Oper abgeholt hat, durfte sich Rolando Villazón nunmehr wieder in die Staatsopern-Obhut begeben, um am 27. April als Pelléas an der Seite der Crebassa in der Wiederaufnahme der vielgeliebten Ruth-Berghaus-Inszenierung sich seine höheren, hoffentlich baritonal bequem gelagerten Debussy-Weihen anzuholen. Wozu ein Barenboim doch alles gut ist!
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