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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Intelligent mit heißem Herz: Die Bamberger Symphoniker entwickeln sich prächtig mit ihrem neuen Chef Jakub Hrůša

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Die Bamberger Symphoniker sind gleich in vierfacher Hinsicht zu beglückwünschen. Erstens ist es ihnen gelungen, mit dem immer noch erst 36-jährigen Tschechen Jakub Hrůša einen der vielgefragten Dirigenten der jüngeren Generation nach Oberfranken zu locken, so gerade noch, bevor seine Karriere so richtig abging. Zweitens funktioniert diese Beziehung sehr gut:  Orchester und Chef sind wirklich so etwas wie Herz und Seele, das lässt sich kurz vor Ende seiner zweiten Saison schon sehr befriedigend feststellen. Da ist eitel Harmonie, bei höchster Professionalität und unaufgeregter Exzellenz. Hrůša muss nicht jedes Werk unbedingt egozentrisch „neuentdeckten“, es sehr gut wiederzugeben, mit einem eigenen Twist, das langt ihm durchaus. Drittens gibt die Herkunft des gebürtigen Brünners dem Orchester einen kleinen Teil seiner DNA wieder, schließlich wurde dieser sehr besondere Klangkörper 1946 von nach Bayern versprengten Mitgliedern des ehemals Deutschen Philharmonischen Orchesters Prag gegründet. Und deren sprichwörtlich böhmische Musizierfreunde glänzt nun einige Generationen später unter einem in Prag naturalisierten Mähren noch einmal so schön. Was sich wunderbar als „Branding“, wie man heute so sagt, vermarkten lässt. Ja, und viertens wird diese Combo, Hrůša und Bamberger, sehr genau beobachtet und vielfach eingeladen. Auch das Niveau der Gastkünstler, die mit diesem Dirigenten unbedingt arbeiten wollen, steigt beständig.

So wie unlängst in einem Konzert mit dem „Portraitkünstler“ der Saison, dem in vielerlei Formaten hier, in der vor einiger Zeit im Foyerbereich von dem auch für den visuellen Orchesterauftritt verantwortlichen Peter Schmidt umgestalteten Bamberger Konzerthalle an der Regnitz wie auf Tournee präsenten Christian Gerhaher. Der war mit Hrůša schon als Don Giovanni unterwegs, jetzt schrieb ihm der (etwas zu) viel gefragte Jörg Widmann einen dezidiert romantischen Lied-Zyklus in die baritonlyrische Kehle. Oder besser gesagt: Er orchestrierte die acht schon vorhandene Lieder nach Texten von Klabund, Heine, Härtling und den immer wieder gern ausgeschlachteten „Des Knaben Wunderhorn“-Vorlagen.

Der so schräg wie originell instrumentierte Zyklus wird mit Scherz, Satire und tieferer Bedeutung, aber auch echtem Gefühl dem Pathos gerecht, den er bereits im Titel führt: „Das heiße Herz“. Das ist ironisch aber zugleich echt gemeint, und der längst auch im zeitgenössischen Idiom versierte Gerhahrer unterläuft und erfüllt das im selben Moment souverän als Eroto- wie Egomane. Der schneidet sich mit einem glühend Messer in Post-Mahlerschem Weltschmerz die Emotion aus der Brust und stellt sie kühl aus. Der gewieft ehrliche Eklektiker Widmann lässt ebenfalls offen, wie sehr alles hier Parodie oder Wahrheit ist. Aber gerade dieses in der Schwebelassen entspricht durchaus dem Gemütszustand des sich nicht entscheiden können und wollenden modernen Weltenwanderers. Ganz nah dran, und doch mit eleganter Distanz begleitet das Jakub Hrůša. Die Bamberger entfesseln Bombast und nehmen sich fluoriszierend schnell in diesem raffinierten Arrangement zurück.

Gerhaher mimt mal mit Klavierbegleitung pur den Lied-Professor, dann entäußert er sich flüsternd, stockend, parlierend, schönste Legato-Bögen spannend in einem vielgestaltigen Typenkabinett von Verliebten und Verrückten zu voluminösen gezackten Orchester-Tutti. Der letzte Monolog, Clemens Brentano lässt einen amourös Enttäuschten greinen, ist ein fahles Verlöschen, enttäuscht sich Aufbäumen. Kein Zweifel, Widmann kann Dramatik, Hrůša gestaltet die variabel, und Gerhaher gibt ihr Schattierung wie Nuance. So wuppt das.

Und weil es so schön ist, schießt Widmann als Rausschmeißer für die beliebte encore!-Reihe als Kommission bei Zeitgenossen noch einen marschverliebten Rülpser hinterher, zwischen Krawall und Defiliermarsch als bayerisch-krachiger Jodelwahnsinn. Dieser „Bamberger Marsch“, eine gustiöse Resteverwertung aus seiner Anfang nächsten Jahres an der Berliner Staatsoper in einer Zweitfassung neuaufgelegten „Babylon“-Oper wird sicher als Stimmungshit gern auf Tournee mitgenommen werden. Allein schon wegen der, freilich schwierig übersetzbaren anweisung für die letzten Takte: „Die Sau raus, dem Affen Zucker!“. Was hier gern befolgt wurde.

So klug wie sinnhaft ohrenöffend ist das eingerahmt von Leos Janáceks quickem, knalligem, insgesamt ganz unjanácekhafen Orchesterstück „Zarlivost“ (Eifersucht) , das dieser gut beraten als mögliches Vorspiel zu seiner Oper „Jenufa“ zugunsten des charaktervoll klappernden Xylophon-Mühlrads verwarf; und abschließend von Johannes Brahms’ jetzt nur noch gekonnt ausbalancierter, im zweiten Satz ebenfalls die gedeckten Farben leuchten lassender 3. Sinfonie. Somit gab es zu Beginn des ersten Konzerts zu Recht für die Bamberger vom Deutschen Musikverleger-Verband den Programmdramaturgie-Preis für die eben ihrem Ende zueilende Saison.

Und so kann sich Orchesterintendant Marcus Rudolf Axt mit seiner netten Minimannschaft entspannt zurücklehnen. Tut er aber nicht. Denn natürlich ist  die nächste Spielzeit ebenfalls clever gebaut, auch wenn sie nach dem diesjährigen Motto „Leidenschaft!“ nun als „Symphonische Erzählungen“ eher behäbig daherzukommen scheint. Witz und Finesse dieser Klanggeschichtereihe liegt im verbindenden Detail, und sie ist natürlich eine wunderbare Gelegenheit, Hrůša und den Bambergern für ihre gegenwärtige Calling Card ein Tournee-Podium zu bereiten: Smetanas auch schon für die CD eingespielter Sechser-Zyklus „Mein Vaterland“. Hervorragende Tonerzähler am Pult und Podium sind zudem die Ehrendirigenten Herbert Blomstedt und Christoph Eschenbach, aber auch Marek Janowski, Rafael Payare oder Manfred Honeck sowie als Solisten Frank Peter Zimmermann, Vilde Frang, Mischa Maisky oder Barbara Hannigan.

„Unser Orchester ist vielsprachig, mehrstimmig und redegewandt“, so formuliert es Axt. Und man kann das auch für hier wichtige Musikvermittlung bestens passende Thema gut mischen, es passt für Programm- und Bekenntnismusik, Monologe und Stimmungsklänge von Abrahamsen über Bach und Chopin bis Weber, vom Barock bis ins 21. Jahrhundert, von Armenien bis Amerika. Ein gar nicht geheimes Komponistenzentrum markiert der so romantisch wie phantastisch mitteilsame Robert Schumann. Portraitkünstler ist der bannende Klarinettenrezitator Martin Fröst, der ja in seinen thematischen Mixen weit über die übliche Programmfolge hinausweist. Die Bamberger tragen Ruf und Tonfall zudem bereits zum 15. Mal nach Japan, zum Edinburgh International Festival sowie erstmals zum Grafenegg Festival. Es geht, neben den üblichen deutschen, österreichischen und schweizer Abstechern als Bayerische Staatsphilharmonie, nach Skandinavien, in die neue Pariser Philharmonie und nach Tschechien – zur Eröffnung des Prager Frühling.

Weitere CDs mit Hrůša sind schon eingespielt oder geplant. Eben ist er manierlich bei Pentatone am Pult des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin mit einem ungarisch gemischten Concerto-Doppel (Kodály/Bartók) fremdgegangen. Und natürlich sind die Bamberger Symphoniker auf ihrem eigenen BR-Klassik-Sendeplatz mehrmals mittwochs im Monat zu hören.

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