Im Februar widmet man sich mit einem ganzen Festival Jacques Offenbach, dessen Partitur-Abenteuerspielplatz „Hoffmanns Erzählungen“ dem Intendant erst kürzlich Gelegenheit bot, ziemlich wüsten Bearbeitungshackepeter aus dem Interpretationsfleischwolf quellen zu lassen. Hoffen wir also, dass die konzertante Aufführung der melancholischen München-opéra-comique „Fantasio“ diese etwas unbeschadeter leben lässt ohne ihr Aktualisierungsgewalt anzutun. Zumal man dafür extra die originale Tenorfassung erstmals rekonstruiert hat.
Für vor Weihnachten und Silvester hat die Kosky-Agenda seit nunmehr vier Jahren eine klassische k.u.k-Operette vorgesehen, ungarisch-wienerisch, wieder nur konzertant und im Kostüm, aber mit prominentem Fürsprecher als Moderator(in) für meist nur pausenlose 90 Minuten. Und immer mit Musik von Emmerich Kálmán – samt dessen Tochter Yvonne als so treuem wie authentischem Sidekick in der Mittelloge. Bevor diese Serie nun 2016 mit der europäischen Erstaufführung der nostalgischen Broadway-Fantasie „Marinka“ von 1945 über den Selbstmord des Habsburger-Thronfolger Rudolph einigermaßen exotisch zu Ende geht, wurde dieses Jahr leider mit der „Zirkusprinzessin“ der Tiefpunkt erreicht.
Denn wieder störte, wie schon die letzten Jahre – Ausnahme: die hinreißende Western-Show 2014 mit Katharine Mehrling und Serkan Kaya in „Arizona Lady“ –, die rabiate Reduzierung. Höchsten die Hälfte der plüschig-besinnlichen Partitur blieb übrig, zweite Strophen, Zwischenspiele, Tanzüberleitungen, alles, was diesem Spätling von 1926 sein russisch opulentes Geigenglitzerflair gibt – Fehlanzeige. So rumpelte da eine kurzatmige Nummernrevue meist unmotiviert vor sich hin, deren Handlung um den adeligen Zirkusreiter Mr. X und seine ihn erst dünkelhaft verschmähende, dabei ihm längst verfallene Großfürstin Fedora Palinska alias die Zirkusprinzessin kaum klar wurde. Denn Berlins Bad Girl, die sich stets jenseits aller Geschmacksgrenzen tummelnde Desirée Nick, stellte vor allem sich selbst da – und nicht die Zirkusdirektorin Stanislawski. Nicht nur dialektmäßig glitt sie aus gefälschtem Russisch und nur dünn aufgeschminktem Weanerisch immer wieder in ihr prolliges Berliner Schnauze-Idiom zurück.
Die eigentlich talentlose, aber todesmutige Stacksblondine war aber immer noch das Beste, denn die wie üblich derben Nick-Zoten trafen wenigstens ihre Ziel, der Rest aber eierte wenig motiviert vor sich hin. Die faden Gastsänger Alexandra Reinprecht und Zoltán Nyári hätte man nicht gebraucht, die duckten sich unter ihren Schlagern quasi durch (auch das muss man erst mal zustande bringen), säuselten sie allzu dezent an und wackelten im Sitzen verlegen mit den Knien. Kein Wunder, dass die Nick für ihre mit falschen Spitzentönen um sich schießende Florence-Foster-Jenkins-Einlage aus der „Fledermaus“ am meisten Applaus absahnte. Auch das Buffopaar Julia Giebel (Mabel Gibson) und Peter Renz (Toni Schlummberger) blieb ein kaum vorhandenes, matt wohllautenden Duo, wo hier doch spätestens bei „Wenn Du mich sitzen lässt, fahr ich sofort nach Budapest“ die Löcher aus dem Operettenkäse hätten fliegen müssen. So wie bei der legendären Überschlags-Version der Budapester Komikstars Marika Oszwald und László Csere (im Video ab 0,24”).Aber wie soll das auch zünden, wenn man keine einzige Pointe versteht, weil jeder Wortwitz nur zahm gesäuselt wird! Warum bloß hat man die brachiale Nick mikrofoniert, aber die anderen nicht? Chor und Orchester hängten sich gönnerisch in die Operettenseile, aber auch Stefan Soltesz, obwohl eigentlich schon qua Geburt mit dem Paprika-Diplom versehen, hätte mehr Gulasch/Borschtsch/Tafelspitz-Temperament entfachen müssen. Ja, die Geigen sangen süß, aber sonst war diese „Zirkusprinzessin“ weitgehend eine vertane Kálmán-Kiste. Ohne Clowns und Glückshormone kamen uns da eher die Operetten-Tränen. Und nein, auch wenn von La Nick prophezeit, vor lauter Freude macht hier keiner im Dreivierteltakt in die Hose.
heute um 20.15 Uhr auf Deutschlandradio Kultur
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