Da ließ sich der Maestro natürlich nicht lange bitten: Nachdem die israelische Mezzosopranistin Rinat Shaham, ihm zunächst öffentlich gestanden hatte, dass er und nur er, Christian Thielemann, „The Gipsy in me“ herauslocke (haben Sie das gehört, Lutz Bachmann?) , ließ sie alle Hemmungen fahren und wurde ganz intim: „Don’t be a naughty baby, Come to mama, come to mama do“ – und Christian wurde wieder Kind, stiegt vom Podium herab, senkte gar sein schweißglänzendes Antlitz in die Haarfülle von Mutti.
Eine schöne Scharade war das, in der Semperoper aufgeführt zu George Gershwins „Embracable You“ aus dem Broadway-Musical „Girl Crazy“. Thielemann am Hals einer Frau, Thielemann mit Gershwin? Silvester und das ZDF machen es möglich. Es ist jedes Mal wieder eine Wonne, zu erleben, wie sehr man sich in der Klassik verbiegt für ein wenig TV-Öffentlichkeit.
Es war ein denkwürdiges Jahr für Christian Thielemann. Erst gingen ihm die Berliner Philharmoniker durch die Lappen, dann verlor er in Bayreuth zwei Isolden. Er wurde dort nach der „Tristan“-Premiere (zu Unrecht) sogar ausgebuht. Vorher hatte ihm schon ein sehr berühmter Tenor in Salzburg heftig widersprochen. Seine echte Mutter war acht Wochen krank, die Wäsche mussten andere besorgen. Auf seine unglücklichen Aussagen als Pegida-Versteher folgte eine späte Distanzierung; so wie die gesamte Semperoper lange gebraucht hat, um sich mit der unerträglichen, inzwischen längst geschäftsschädigenden Situation auf dem Theaterplatz auch öffentlich zu beschäftigen, wo die ausländischen Mitarbeiter jeden Montag mit Fremdenhass und körperlicher Gewalt konfrontiert sind. Die Staatskapelle, auf die Thielemann nun mehr denn je angewiesen ist, hat bei den anstehenden Vertragsverlängerungsverhandlungen die Daumenschrauben angelegt. Und nun musste er auch noch lauter Musical-Titel neu lernen.
Das hörte man deutlich im Dresdner Silvesterkonzert. Edward Griegs spät in Programm gerutschtes, dessen US-Ausrichtung torpedierendes Klavierkonzert mit Lang Lang gelang noch leidlich als gelacktes Konfekt, wo man elegant aneinander vorbeimusizierte. Aber schon die Ouvertüre zu „Oh, Kay!“ kam über gemütlichen Tanztee-Frohsinn nicht hinaus. Keiner der beiden ordentlichen Gesangssolisten, neben der vibratosatten Shaham noch der teddybärgemütliche US-Bariton Lucas Meachem, der bei Cole Porters „I love Paris“ effektsicher die französische Solidaritätsflagge als Einstecktuch an sein Herz drückte, brachten Saal oder Musiker zum Swingen. Bei der Rhapsody in Blue spielten Kapelle und Klaviersolist zur Sicherheit halbes Tempo, die Synkopen muteten an wie Stolperer, und „Times Square“ aus Bernsteins „On the Town“ klang eher wie „Mitternacht in Bad Schandau“.
Dort spielt übrigens zu Teilen das Gershwin-Musical „Pardon my English“, das man als flott lokalpatriotische Anspielung aus Sachsen in diesem sehr teutonischen Tonausflug über den großen Teich dann doch schmerzlich vermisste. Zum Finale machte Rinat Shaham aus Herman Hupfelds hier plüschig aufgepolstertem „Casablanca“-Klassiker eine unpassenden Opernarie, die freilich Christian Thielemann gleich zur nächsten Knutschattacke verleitete. Bei „Wunderbar“ aus „Kiss me, Kate“ wurde im Dreivierteltak-Duett falsche Operettenseligkeit als echte missverstanden. Aber zumindest die beherrschen sie an der Elbe inzwischen einigermaßen.
Bis 6. Januar in der ZDF-Mediathek abrufbar
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