Er wird bald 55, ist aber präsenter denn je. Heute singt der französische Startenor Roberto Alagna an der Seite von Elina Garanca erstmals an der Wiener Staatsoper eine der Titelrollen in Camille Saint-Saëns’ Bibelepos „Samson und Dalila“, im Juli ist er als Lohengrin in Bayreuth in seiner ersten deutschsprachigen Rolle zu erleben. Grund genug für ein Interview.
Ein lyrischer Tenor wurde Calaf, Otello, nun auch Samson und Lohengrin. War das der richtige Weg?
Für mich schon. Wobei ich bei jeder neuen Partie von mir selbst überrascht bin, was ich da in diesen Charakteren entdecke und was ich auch über mich selbst lerne.
Was haben Sie dabei über Ihre Stimme gelernt?
Meine Stimme war und ist lyrisch, sie war nie leicht. Ich singe heute andere Rollen, aber ich singe sie immer noch mit der gleichen Stimme wie früher, selbst den Otello, nur mit dem Körper eines älter gewordenen Mannes. Und mit jeweils anderen Farben, das ist wichtig. Auch wenn, ich Otello oder jetzt Samson singe, singe ich es mit meinen hellen, lyrischen Tönen. Das sind ja auch immer noch jüngere Männer, jünger als ich heute, also warum sollen die dunkel und väterlich klingen? Dann hätten Verdi und Saint –Saëns wohl einen Bariton genommen.
Was hat Ihnen der Weg zum schwereren Repertoire noch gebracht?
Ich profitiere als Schauspieler von dieser Varianz ungemein. Ich singe gegenwärtig als Tenor drammatico, spinto und lirico. Da ist Otello und anderseits habe ja immer noch den Nemorino im „Liebestrank“ in meinen Repertoire, den ich seit Anbeginn meiner Karriere singe, genauso wie den Rudolfo in „La Bohème“, dafür habe ich sogar schon einen Vertrag für 2020 an der New Yorker Metropolitan Opera. Und bald kommt, nach 25 Jahren, sogar noch einmal der Alfredo in „La Traviata“, an der Seite meiner Frau Aleksandra Kurzak. Natürlich singe ich manches mit mehr Dramatik, aber ich drücke und forciere nicht: Ich versuche nie mehr als 70 Prozent des Leistungsvermögens meiner Stimme zu geben.
Kein Probleme bei Auftritten mit Ihrer Frau wegen des Altersunterschieds?
Warum? Oper ist Theater, und im Theater, ist niemand so alt wie sein Charakter. So lange man stimmlich nicht den Unterschied merkt, ist doch alles gut. Wir treten gern miteinander auf, aber es ist niemals Bedingung. Es ist aber schön, wenn Aleksandra zumindest in derselben Periode auch im jeweiligen Haus gebucht ist. Sie hat vor einiger Zeit begonnen, ihr Repertoire zu erweitern, so haben wir auch mehr Möglichkeiten. Gerade haben wir gemeinsam eine Duett-CD aufgenommen, und ich war überrascht, wie groß die Stimme geworden ist..
Um Ihre Partie zu wählen, auf wen hören Sie, wem schenken Sie Vertrauen?
Vornehmlich auf die Partitur und auf mich selbst. Ich habe mir sehr oft sagen lassen müssen, also diese Rolle sei nun wirklich nichts für mich. Erstens aber bin ich neugierig und dann habe ich befriedigt festgestellt, dass es eben meistens doch sehr gut gepasst hat. Das hat mir dann Mut gemacht. Und es waren immer die Opernhäuser, die etwas von mir haben wollten, oder mich in einer Partie sahen. Nicht selten bin ich erst zurückgeschreckt und dann habe ich mir die Noten angeschaut, und meist habe ich gesagt: Warum nicht? Lasst es uns versuchen. Und so wurden es bisher über 60 Hauptrollen. Bei denen ich alles, was in mir ist, gegeben, bei denen ich die Oper, die Musik und die Partie geliebt habe. Aber jede Rolle, die ich gesungen habe, war „für Tenor“ komponiert. Und ich bin Tenor!
Kann es sein, dass Sie die schweren Rollen zunächst im französischen Fach probiert haben?
Ich habe keinen Karriereplan. Ich prüfe die Vorschläge der Theaterhäuser, nehme sie an oder eben nicht. Das war Zufall, etwa mit dem Berlioz-Aeneas, Lancelot im Chaussons „Le roi Arthus“, Massenets „Le Cid“ oder dem Eléazar in „Die Jüdin“ in relativ kurzer Abfolge. Aber ich habe zwischendurch ja auch schon den Radames oder den Manrico im „Troubadour“ gesungen, und schon 2014 erstmals Otello. Jetzt hat es mit Otello auch in Wien geklappt und es lief sehr gut, nächstes Jahr kommt dann Paris. Und das reicht auch, es ist nie gut, eine Rolle zu oft hintereinander zu singen, die Stimme braucht Abwechslung.
Also passt diese Spielzeit gerade sehr gut?
Es waren so viele frische Partien, nach 6 Jahren wieder mal „Adriana Lecouvreur“, meine dritte Calaf-Serie in Turandot, mein zweiter Otello, dazu Samson und Lohengrin neu. In der Reihenfolge, Calaf zwischen Otello und Samson, war es ein bisschen tricky, die Partien sind nicht in der gleichen Stimmlage. Das war aber so nie ein Karriereplan, das spiegelt nur die Wünsche der Opernhäuser wieder, dem ich mich gefügt habe. Gerade mit einem sehr langen Aufenthalt in Wien zum Beispiel. Ich habe nichts kalkuliert, wurde immer nur an eine Rolle geführt. Ich hätte mich nie getraut, etwas zu verlangen, dafür bin ich viel zu schüchtern.
So wie bald auch beim „Lohengrin“ in Bayreuth?
Ja, unbedingt. Ich habe zwar mal ein paar Wagner-Ausschnitte im Film eines Freundes gesungen, wo ich dessen großen Tenor Josef Tichatschek verkörpert habe, aber das war eine Spielerei für mich, und dann kam plötzlich ein Brief aus Bayreuth. Und ich habe abgelehnt! So wie ich schon viele Wagner-Offerten abgelehnt habe, Monte Carlo wollte schon vor 20 Jahren den Tannhäuser! Yannick Nézet-Séguin wollte Lohengrin, Daniele Gatti Parsifal. Ich habe immer nein gesagt.
Und dann?
…haben Katharina Wagner und Christian Thielemann persönlich nachgeharkt. Und ich habe wieder Nein gesagt. Es ist eben nicht mein Repertoire. Aber sie waren sehr hartnäckig. Ich habe mich gefragt, warum sie sich an mich wandten, der ich kein Wagnertenor bin. Ich glaube, dass sie sie wohl wirklich einen anderen Typ Lohengrin haben wollten. Und so habe ich die Noten angeschaut. Und sie haben zu mir gesprochen. Lohengrin ist sehr lyrisch, aber es ist nicht so stark und heftig wie es etwa der Canio im „Bajazzo“ sein kann. Also habe ich mich doch umstimmen lassen. Und ich werde mein Bestes geben.
Und wie geht es bisher mit dem Deutsch?
Das ist die wirklich große Herausforderung.. Mein Deutsch muss gut werden, deshalb memoriere ich dauernd den Text. Bei Wagner sind Worte und Töne sehr eng verbunden. Und ich muss etwas Besonderes kreieren, schließlich ist Lohengrin kein Mensch, sondern Parsifals Sohn „aus einem fernen Land“.
Wenn Sie eine neue Partie angehen, gerade Lohengrin, hören Sie da viele CDs?
Ich bin nicht nur Sänger, sondern ein großer Fan von Oper, Theater, Literatur usw. Meine erste Leidenschaft ist aber die Oper. Ich war auch ein großer Aufnahmensammler. Heute hat man mit YouTube eine riesige Sammlung von Audio- und Videoaufnahmen zur Verfügung. Das ist ein unentbehrlicher Fundus für mich, denn wenn ich eine Rolle studiere, bin ich laufend am Recherchieren. Ich lese und höre alles über die Rolle, die ich darstellen werde. Ich höre mir alle Interpreten der Vergangenheit dieser Rolle an. Das gilt auch für Lohengrin: Ich habe mir alles angehört. Wirklich. In Bayreuth stehe ich übrigens wieder mit Waltraud Meier auf der Bühne, die bisher meine Eboli, Santuzza und Carmen war und jetzt Ortrud singt. Ein denkenswertes Zusammentreffen, nun mit Wagner vereint! Obwohl meine Sommerfestivalerfahrungen ja meistens in Orange waren, da ist Franken schon sehr verschieden.
Wissen Sie noch, wann Sie erstmals für Samson angefragt wurden?
Das muss für den Sommer 2015 in Orange gewesen sein. Aber dann sind sie auf „Troubadour“ umgeschwenkt, weil man das besser verkaufen kann. So musste ich drei Jahre warten, bis Wien. Dabei war der nächste Versuch in Paris geplant gewesen, aber irgendwie wurde auch das wieder abgesagt. Stattdessen sangen wir in „Carmen“. Man muss flexibel sein in der Opernwelt! Und so kommt jetzt Wien in den Genuss eines doppelten Debüts, in einer Neuproduktion, und New York, wo wir beide schon länger für den Herbst 2018 eingeplant waren, muss sich hinten anstellen. Also Glück für Wien! Dann werde ich den Samson – nach einer Konzertaufführung noch diesen Juni – übernächstes Jahr doch auch szenisch in Paris singen, die haben ja ebenfalls eine frische Produktion. Und jetzt will auch Orange wieder, aber da muss ich darüber nachdenken, denn eigentlich wollte ich dort nicht mehr auftreten.
Denken Sie auch darüber nach, von Ihren Erfahrungen als Lehrer etwas weiterzugeben?
Nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Und es ist immer auch gefährlich, jungen Sängern Ratschläge zu geben. Wenn ich danach gefragt werde, sage ich immer: meditiert, hört in euch hinein, um herauszufinden, was die Natur euch mitgegeben hat.
Der Beitrag Roberto Alagna: „Ich bin schüchtern, habe nie nach einer Rolle gefragt“ erschien zuerst auf Brugs Klassiker.