Er hat die Haare schön. Die Echtfrisur Roberto Alagnas wurde manierlich onduliert, wellt sich gefällig. Und an Ende, wenn er geblendet, erniedrigt und eben von Elina Garanca um seine Macht und Bärenkräfte verleihende Kopfpracht gebracht sein sollte, dann trägt er eine im Nacken leicht ausgeschnittene Kurzhaarperücke. Hübsch. Und genauso verhält sich hier die Regie. Sie bleibt zurückhaltend bis zur Selbstaufgabe, mach sich klein, duckt sich durch, will sich nicht festlegen, weder zeitlich noch inhaltlich, mag nicht urteilen, nur irgendwie ästhetisch unauffällig arrangieren. Das funktioniert ganz leidlich, aber Freude, Spannung gar verbreitet dieses optisch wie sandgestrahlte Display einer Oper nicht wirklich. Gut, nun kommt es bei einem mit reichlich sämigem Zuckerwasser überträufelten biblischen Plüschschinken aus dem 19. Jahrhundert am allerwenigsten auf die Inszenierung. Camille Saint-Saëns’ dritte, in Weimar uraufgeführte und einzig erfolgreiche Oper „Samson et Dalila“ merkt man an nicht wenigen statischen Stellen immer noch ihrer Herkunft als Oratorium an. Und taucht sie, selten genug, auf einem Spielplan auf, dann muss sie einerseits als Vehikel für zwei Vokalsuperstars herhalten, denen hier wunderbare, aber auch nicht ganz einfache stimmliche Entfaltung sicher ist. Oder sie dient einem Regisseur als selten erfolgreich genutzter Abenteuerspielplatz, um dem in Gaza angesiedelten Histo-Epos krude Politaktualitäten aus dem Nahen Osten aufzupfropfen und unterzujubeln: als bombiges Juden- und Palästinenser-Rendezvous, getunkt in himbeersüße Grand-Opéra-Sauce.
Die Schöne und der Stier. Hier strotzt es nur so vor Klischees. Der glaubensgewiss testosteronspitzende Tenor mit Machoallüre gegen die mezzogurrende, hüftwackelnd gewissenslose Verführerin im Dienste der den Heidengott Dragon anbetenden Philisterhorde. Steht leider so im ziemlich schwarzweißzeichnenden Libretto. Eindimensional und politisch völlig unkorrekt. Geht also gar nicht. Und irgendwie halt auch nicht, wie früher, scheinheiliger Glaubensschmarrn zwischen Pappsäulen, Sandalenkerle, Gold-BH und Stöckelschuhe wie in Hollywood bei Hedy Lamarr – obwohl der Trashfaktor wohlmöglich nicht zu verachten wäre…
Trotzdem versucht die bisher an der großen Häusern unbeschriebene, vor Ort im Schauspiel bewährte Regisseurin Alexandra Liedtke an der Wiener Staatsoper durchaus Glaubensfanatismus und Kriegslüsternheit, erwählte Völker, absolute Weisheiten und dazwischen auch sinnliche Schwüle zu thematisieren. Aber sie findet keine wirklich stimmigen, interessanten Ergebnisse dafür. Nur Verlegenheitslösungen, die Raimund Orfeo Voigt sparsam bis zu Selbstaufgabe bebildert. Der erste und der dritte Akt, das sind eine Rampe im schwarzen Raum, zum Ende hin von einer Scheinwerfer-Grillbatterie und Stapelstühlen umgeben. Schön gelungen sind Dalilas reflektierende Soloszene „Amour! viens aider ma faiblesse!“ am Anfang des zweiten Aktes in einer wie im Raum weiß schwebenden Türöffnung (Mélisande lässt grüßen) und – in einer anderen Türöffnung, quasi auf Durchgangsstation, die (noch) alles in der Schwebe lässt, das Duett mit dem sie zum Liebesverrat drängenden, kettenrauchenden Oberpriester (ohne Brunnenvergiftertimbre, mit intelligenter Demagogie: Carlos Álvarez).
Eher fad bleibt zum Auftakt der Aufstand, den der seine Bekenntnisschriften als eine Art proletarischer Laienprediger in Lederhosen und Schmutzstiefeln verteilende Samson gegen die Unterdrücker anzettelt und bei dem hier konsequenzenlos Abimélech (leichtstimmig: Sorin Coliban) zu Tode kommt. Unangenehm ist Liedtke, die gerade noch den geschundenen Samson in schönster Pathosmanier seine den dritten Akt eröffnende Soloszene hat absolvieren lassen, zudem das fatale Festgelage samt Katastrophenfinale. Da steinigen Samson- und Dalila-Doubles ballettös-banal einen weiteren Samson-Wiedergänger mit Damenstiefeln und fackeln ihn ab, während vorne der Tenorprotagonist seine verlorenen Kräfte beschwört und über ein paar emporschießenden Feuergarben als Tempeleinsturzersatz der Vorhang fällt.
„Samson et Dalila“, eine Oper, die neben Geschmack immer mehr als nur einen Hauch Vulgarität braucht, erstarrt hier in minimalistisch abstruser Abstraktion, mit Vorhang-Leitsprüchen von Siegmund Freud und David Grossmann. Dafür gibt es neben der ernüchternden Bühne wenigstens instrumental ein wenig italianisierte Belle-Epoque-Eleganz, Delikatesse, atmende Feinheit! Ganz unteutonisch wird von Marco Armiliato und den meistenteils zwei Stunden vorher noch im Musikverein mit Beethovens 9. Sinfonie beschäftigten Philharmonikern diese durchaus feinfühlige Partitur ernstgenommen und zum Blühen gebracht. Da ballen sich düstere Farben, schwingen sich Liebesschwüre (und seien sie noch so falsch) zart bebend empor. Das ist französische Stilistik, von der sich hörbar auch der Chor inspirierend lässt.
Diese Wiener „Samson“-Premiere wir vor allem durch das jeweils in seinen Rollen debütierende Protagonistenduo zum Ereignis. Roberto Alagna ist zwar nicht seit biblischer, doch sehr langer Zeit der erste französische Tenor der sich an den Samson traut. Der geriert sich bei ihm nicht als ungefügter Kraftkerl, sondern als ein ehrlich zerrissener Typ, der vokal in sämiger, hell strömender Mittellage mit seinem Gott ringt. Der kann ein viriles Forte, hat auch die verlangten Stentortöne, doch offenbart er ebenso seine Verletzlichkeit und Schwäche. Ein innerlicher Mensch, fast unfreiwillig in eine Führerrolle gedrängt, leidenschaftlich, aber auch zurückhaltend. Ein ungewöhnlich vielschichtiges Rollenporträt.
Das liefert natürlich auch Elina Garanca, die ihre Partien immer sorgfältiger, skrupulöser auswählt. Neben der Carmen in München und der letztes Jahr neu hingekommenen Santuzza in London waren das diese Spielzeit nur das Pariser Debüt als französischsprachige Prinzessin Eboli und nun eben als Wiener Saint-Saëns-femme fatale. Die schauspielerisch subtile Lettin sucht natürlich nach emanzipatorischer Gerechtigkeit für Dalila, nach Beweggründen für deren doppeltes Spiel. Und wird dabei von der Regie wieder einmal auf die Eiskönigin reduziert und buchstäblich in der Regenwalddusche stehen gelassen, wenn es statt Bett- nur Badewannenwasserspiele gibt und es dann noch – wohl als Steigerung und Übersprunghandlung nicht vollzogener Leidenschaft – von der neonlichtgleißenden Milchglasdecke feucht strömt.
Im schiefen Klassizismus-Salon des zweiten Aktes schlängelt sich die Garanca im eisvogelblauen Kleid, sonst ist sie von Su Bühler uniformartig schwarzweiß gekleidet, mal mit ausladendem Rock, mal in enger Mantelrobe. Sie hantiert mit Waschschüssel und Tüchern, bekommt aber unschlüssig ihr Gewissen nicht rein. Und natürlich hat die schlanke, sehnige Stimme auch wenig rollenklischeetypischen Samt und weibliche Wärme zu bieten, dafür eine unbedingte, in tolle Spitzentöne mündende Fokussiertheit: Sie umgarnt ebenso mit Willen und Suggestion. Da hört man durchaus schon die manipulative Kundry, die ja kein Versprechen bleiben soll. Der gereifte Robert Alagna in Bestform, und die souveräne Elina Garanca, die sich mit eigenwillig-überzeugendem Zugang eine ambivalente Rolle erobert, zwei Weltstars bei bejubelter, bald auch zur Saisoneröffnung in New York wiederholter Klang- und Sangarbeit – allein dafür hat sich diese Wiener Premiere gelohnt.
Der Beitrag Wiens klangopulente „Samson und Dalila“-Premiere: biblische Bad- statt Bettspiele mit Alagna und Garanca erschien zuerst auf Brugs Klassiker.