Noch nicht einmal beim Titel hat man sich beim Berliner Staatsballett sonderlich Mühe gegeben: „Polina & Friends“ ist natürlich dazu angelegt, an die Erfolge der „Malakhov & Friends“-Galas des vorletzten Ballettdirektors anzuknüpfen. Und das hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. Vladimir Malakhov hatte das damals 17-Jährige Tanzküken Polina Semionova erstmals auf genau dieses Bühne geschickt, um sie flügge werden zu lassen und ihr den Weg zum Starruhm zu eben. Davon freilich erzählt die inzwischen 33-jähige, zum Schwan erblühte Ballerina im Glitzertütü mit Mikro vor dem Vorhang bei der Begrüßung ihrer Gäste nichts. Denn sie hatte sich später mit ihm verkracht, es ging um Geld und Abwesenheiten, auch im Kolleginnen, die sauer über die ihr bereits zugestandene Sonderbehandlung waren. Also hat sie Berlin den Rücken gekehrt, die internationale Karriere gewagt. Doch die stagniert gegenwärtig, die Geburt ihres Sohnes ist schuld, und ihr Mann tanzt ja nach wie vor in Berlin. Doch auch für sie tickt die Uhr, sie muss mitnehmen, was zu bekommen ist. Und so passte es natürlich, dass das Staatsballett gegenwärtig ohne viel Solistenglamour dahindümpelt. Deshalb gastiert Polina Semionova jetzt hier als Dauergast (sicher zu guter Gage), bekommt als Externe die Premieren und sogar den Titel „Berliner Kammertänzerin“, was ihre Popularität und die schwindende der Tanztruppe steigert. Und nun gab es auch noch diese, lediglich einmal gezeigte, aber als Premiere geführte „Gala“. Die dürftig geriet.
Da knallte oder rumpelte die Musik (zum Teil Liveaufnahmen) aus schlechten Lautsprechern, selbst Sennu Laine, Solocellistin der Staatskapelle, und Polinas Schwester Xenia am Klavier, groß für ein Schubertlied angekündigt, ließen sich nur muffig aus der Konserve vernehmen. Nach etwas über zwei Stunden war der müde Spaß schon wieder vorbei. Semionova knochiger geworden, der Jungmächencharme ist passé, aber immer noch schön, tanzte viermal, mit drei Partnern. Der hölzerne, in Amsterdam verpflichtete Brasilianer Daniel Camago peppte für das klatschfreudig auf Zirkus eingestimmte, erschrecktend alte Ballett-Hardcore-Publikum seine „Le Corsaire“-Maneges mit spektakulär gerissenen Double Revoltades auf. Semionova musste dafür höchstens in den gestochenen Fouettés ihre Komfortzone verlassen.
Etwas mehr Chemie war mit dem bewährten, aber auch nicht funkelnden Friedemann Vogel vorhanden, der im „Schlafzimmer“-Pas-de-Deux aus Kenneth MacMillans „Manon“ die Hauptragearbeit zu erledigen hatte, während Polina kokett schaute. Dafür durfte er seine wirbelnde Armarbeit samt seinen wie gemeißelten Torso in Marco Goeckes „Mopey“ gekonnt zur Schau stellen. Mit dem drögen Ivan Zaytsev vom St. Petersburger Mikhailovsky Theater durfte sie sich dann ohne jede Schwierigkeit in zwei fad zeitgenössischen Stücken produzieren: in Nacho Duatos (der den Abend über nicht gesehen ward) „Without Words“ und akkordeonumspült in dem Wackeltanz „Cantata“ von Mauro Bigonzetti.
Ins rechte Licht bei diesem Familiengeschäftsabend wurde auch gleich noch Bruder Dimitry Semiononv, der blondgefärbt, und kantig immer mehr wie ein James-Bond-Bösewicht aussieht. Mit der kleinen Berliner Solistin Ksenia Ovsyniack zeigte er Jiri Bubeniceks ödes Modern-Duo „Intimite Distance“ vor rotem Lichtschacht, mit der Dresdnerin Svetlana Gileva die verwässert klassische „Elegie“ aus Schwanensee. Was keinen besonders bleibenden Eindruck machte.
Galamäßig kühl und völlig unspektakulär heruntergespult wurde das „Dornröschen“-Pas-de-Deux von dem kleinen Paar Maria Kochetkova und Carlo Di Lanno (der mal kurz und wirkungslos in Berlin tanzte) vom San Francisco Ballet. Die Staatliche Ballettschule, die sich ebenfalls mit Polina Semionovas Namen als Gastprofessorin schmückt, durfte Marco Goecke erfolgsbewährte Nina-Simone-Gruppenchoreografie „All Long Dem Day“ zeigen. Vom Berliner Staatsballett exekutierten die Nachwuchssolisten Danielle Muir und Konstantin Lorenz wie gestanzt und gefühlsgefroren den „Giselle“-Pas-de-Deux . Ihre zweite Nummer war kommentarlos gestrichen.
Dafür hatte sich Polina Semionova noch eine clevere Schlussüberraschung aufgehoben. Vor einem Foto des leeren Lindenopernzuschauerraums tanzte sie die puristisch völlig banale Choreografie, die sie einst als No-Name im Herbert-Grönemeyer-Video „Demo (Letzter Tag)“ so rasant auf die Bretter geschleudert hatte. Und natürlich kam der Popstar höchstselbst zum Küsschengeben auf die Bühne. Dem Publikum reichte diese konsequent durchgezogene Selbstvermarktung. Es gab kein Beifallshalten mehr, auch wenn der Abend, der problemlos kommerziell in Eigenregie zu veranstalten wäre, künstlerisch auf sehr kleiner Flamme köchelte.
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