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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Silvesterkonzerte IV: Das DSO als bestes Zirkusorchester der Welt

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Leuchtende Kinderaugen, beschwingte Erwachsene, lächelnde Musiker, zufriedenen Artisten. Ein begeisterter Bariton, ein dauergrinsender Maestro, Pailletten, Samt, Glimmer, Konfetti und Luftschlangen. Auch dieses Jahr war das gemeinsame Silvesterkonzert des Deutschen Symphonie-Orchester Berlin und des Circus Roncalli an seinem Dezemberstandort Tempodrom wieder ein echter Knaller. Schönheit und Eleganz, Spannung und Staunen als perfekt entspannte Musikmischung zum Jahresausklang.

Seit 2003 durch eine Doppelbuchung beide Institutionen zunächst zwangsläufig zusammenfanden, sind sie nicht mehr zu trennen, zumindest nicht für erst eines, dann zwei, inzwischen schon drei gemeinsame Konzerte. Die Zirkusleute stellen ihre Nummern auf neue Musiken um, verändern sie bisweilen sogar substanziell, die Instrumentalisten links in der Manegenecke spielen an diesem Abend gönnerisch nicht nur die erste Geige. Clown Usov aber, ein trauriger Russe, schafft noch nicht mal seine einzige Triangelnote.

Das war aber der einzige (vorhersehbare) Patzer an einem dreistündigen Abend mit Schmiss und Schmackes, Poesie und Prallheit. Zudem sägespäne- und tierfrei – sieht man von zwei glubschäugigen Plastikhühnern ab, die das famose Pantomimenduo Vic & Fabrini traktierte. Der eine als selbstgebräunter Zauberer, der andere als niemals wimpernklimpernder Roboter-Replikant, der seinem Herren dauern in die Kunststückparade fährt; die Begleitung, ausgerechnet die knallige Ouvertüre zu Glinkas „Ruslan und Ludmila“, bliebt freilich störungsfrei.

R1R2Immer wieder überraschend, was sich im Verlauf des dreistündigen Abends so alles verbinden lässt. Kürstücke wie Otto Nicolais mal flirrende, mal stampfende Ouvertüre zu „die lustigen Weiber von Windsor“, Debussys „Fêtes“ oder Paul Ducas’ „Zauberlehrling“ dufte das Orchester unter der lässigen Leitung Alexander Shelleys natürlich solo spielen, der verkürzte Donauwalzer hingegen diente als Knackvorlage für eine Lachnummer mit Luftpolsterfolie, und zum gern in diesem Ambiente eingesetzten „Anitras Tanz“ aus Griegs „Peer Gynt“-Suite ließ Clown Usov gar zauberhaft Plastiktüten fliegen, die sich später in Schwäne verwandelten.

Sichtlich und hörbar animiert folgte Luxusbassbariton Luca Pisaroni seinem Vorbild Ezio Pinza und sang erst vollendet Mozarts Leporello sowie mit schönstem Rossini-Kanonen-Crescendo die „Calunnia“-Arie des Basilio aus dem „Barbier von Sevilla“, um dann mit „Some Enchanted Evening“ und „This Nearly Was Mine“, den beiden Herren-Hits aus „South Pacific“, dank Rodgers & Hammerstein wohlige Broadway-Stimmung nach Berlin zu bringen.

R4R5Da wandelten leuchtende Riesengliederpuppen zu Debussys Notenspuren gar leicht im Blaulicht einher, der Spanier Nicol Nicols sprangt zu Schostakowitsch-Filmmusik im zweiten Anlauf seinen schweren Salto vorwärts. Jacob Gades Tango „Jalousie“, Hellmesberger „Danse diabolique“ und Bernsteins Mambo waren die flotte Folie für rasante Ball-Jonglagen in Zylinder und Pyramide (Duo Zdenek & Nataly). Astor Piazzollas „Libertango“ fungierte als luxuriöse Umbaumusik, während das gemischte Quartett Lift seine beiden Damen als männliches Trapez durch die Luft wirbelte. Geflogen wurde auch bei den Kubanern „Sol de Cuba“ an der Russischen Schaukel, deren voodoopuppenartige Ausstaffierung den einzigen Kostümmissgriff offenbarte: mal zu armenischer Musik aus Chatschaturians „Gayane“-Ballett, mal brasilianisch zu de Abreus hüftwackelndem „Tico-Tico“.

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Natürlich durften auch hier diverse ungarische und slawische Tänze nicht fehlen, aber zum Brahms segelte immerhin ein Luftballon-Mädchen durchs Betonzelt, bei Dvorak drehte und schlängelte sich das weibliche Trio Anamirasia graziös in schwebenden Reifen. Selbst Beethovens Mondscheinsonate fand hier ihren richtigen Platz für den Clown als Wiederholungstäter. Elgars enigmatisch-pompöse „Nimrod“–Variation passte perfekt zum brillant gesetzten Schlusspunkt mit dem vertikal an einem Fahnenmast im Raum stehenden Duo Human Flag. Bevor dann der im Zirkus obligatorische Gladiatorenmarsch von Julius Fucik die alljährlich sinnstiftende Einheit von Manege und Musikern wieder aufhob. Schade, denn hier stimmte alles: der Ort, die Mixtur und die Stimmung.

R12So kann 2016 getrost kommen: Mögen auch die Politartisten unter der globalen Zirkuskuppel weiterhin ratlos sein, bei Roncalli und DSO hat man nach wie vor eine unwiderstehliche Jahresendspaßformel gefunden.

Der Beitrag Silvesterkonzerte IV: Das DSO als bestes Zirkusorchester der Welt erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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