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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Berliner Klassikalltag: Rote Kleider für Primadonnnen und Erste Geigen, Auberginefarbenes für Debussy

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Überraschende Einsichten im Berliner Klassikalltag: Da kann eine Opern-Wiederaufnahme zur besten Produktion der bisherigen Lindenopern-Saison werden, Belcanto funktioniert bisweilen ohne Regisseur am Besten, und auch ein teures Streichinstrument kann sich optisch aufhübschen. Natürlich wusste man, dass der 1991 an der Staatsoper als letzte Ruth-Berghaus-Novität herausgekommene „Pelléas“ eine zeitlose Kostbarkeit ist. Aber wer hätte gedacht, dass eine Wiederbegegnung nach zehn Jahren so begeistern könnte? Katharina Lang hat ganze Regieassistentinnenarbeit geleistet und im verdrehbaren Bauhaus-Ambiente von Hartmut Meyer mit seinen schiefen Wänden, steilen Treppen und schwangeren Hügeln die Inszenierung so streng und stilisiert, aber auch so fremd und komisch wie bei der Premiere hinbekommen. Was für ein gelungenes Wiedersehen mit den komischen Topfdeckelhüten, gelüfteten Perücken und dem Ninities-Farben Aubergine und Petrol! Als Finale seiner intensiven Debussy-Beschäftigung zum 100. Todestag dirigierte Daniel Barenboim am Pult der bestens aufgelegten und impressionistisch geölten Staatskapelle erstmals dessen einzig vollendete Oper. Und bliebt doch, ganz im Geiste Wagners, etwas auf der spätromantisch-ruhig fließenden Seite, goldig klingend und fein strahlend. Das gefiel auch Angela Merkel samt Gatten, die mal schnell mit zwei Leibwächtern über die Straße gehuscht kam.

Auf der Bühne nur Debütanten in den drei Hauptrollen: Marianne Crebassa ist eine direkte, moderne Mélisande, vokal zupackend, klar in der Diktion, herrlich in ihren Aufschwüngen. Rolando Villazón gibt was er noch kann, adäquates Französisch, beste Spielhaltung, plastisches Parlando, stumpfe Mittellage und oft gepresste Spitzentöne in der hohen Baritonpartie. Dagegen trumpft Michael Volle als herrischer Golaud auf, wird laut und dröhnend, füllt großmächtig die Bühne. Eine deutsche Eiche,  aber mit besserer Aussprache als noch vor einigen Jahren. Sehr solide der präsente Wolfgang Schöne als (damals schon!) übergriffiger Großvater Arkel und die etwas brüchig klingende Anna Larsson als Geneviève. Ein Sonderlob dem superb intonierenden Tölzer Knaben in der gern zur Schreckenspartie geratenden Rolle des Yniold. So macht Repertoire wirklich Spaß!

Jüngst im Theater an der Wien hatte sich noch Christof Loy mit einer dann doch banal-dekorativen Regietheater-Deutung von Gaetano Donizettis Belcanto-Kracher „Maria Stuarda“ abgequält und nur neckisch posierenden Dünnpfiff auf einer rumpelnden Holzdrehscheibe zu Stande gebracht. An der Deutschen Oper ging es jetzt konzertant ganz ohne Inszenator und trotzdem war es ein megaspannendes Vokalduell zwischen zwei herrlich mit ihren Waffen blitzenden, mit Tönen und Worten fechtenden Diven. Evivo il Besetzungschef! Da störte die mümmelige Orchesterleitung von Francesco Ivan Campa nicht weiter, dafür war der Chor bestens studiert. Vor vier Jahren keiften sich übrigens an gleicher Stelle schon im nur imaginären Wald von Fotheringhay Joyce DiDonato und Carmen Giannattasio wie Fischweiber de luxe an. Diesmal durfte Diana Damrau als Maria der Elisabetta von Jana Kuruková ihr „Bastarda“ verachtungsvoll entgegenschleudern.

Dafür hatten beide nicht nur ihr Belcanto-Besteck bestens präpariert und sich geläufig eingegurgelt. Man bot auch optisch was. Die Kuraková, wohl wissend, das ihr die erste Hälfte weitgehend gehört, kam im enganliegenden Blaugoldbrokatenem. Da tuffte sich die Stola, und im später semiprivat herabgelassenen Haar glänzte gar ein Diadem, das wohl die Requisite spendiert hatte. Königlich wurde auch intoniert und verziert, bisweilen wäre die Slowakin fast als Laune machende Kopie der großen Agnes Baltsa (griechische Fischweiber keifen am schönsten) durchgegangen.

Die Damrau, frisch von der Zürcher Opernbühne, wo sie ihr szenisches Rollendebüt gerade mit Grandezza absolviert hatte, stellte sich in Rosaglitzerndem aus, mit zweimal gewechselter Stola. Bei ihr wanderten die Haare nach der Pause büßerisch nach oben, zunächst kam sie schlich schwarzgewandet mit ebensolcher Glitzerpuffbluse darüber; zum Beicht-, verzeih- und Schafottfinale wirkungssicher in rotem Samt mit Funkelsteinkreuz. Da waren die vielen Primadonnen im Publikum ebenfalls im siebten Divenhimmel! Zumal La Diana gleisnerisch sang, mit durchaus scharfer Attacke, nur schwer ihre Erregung verbergend, wie ein Tacker in den Acuti, aber auch mit schwebefeinen Messa-di-voce-Momenten. Und eine tolle Schauspielerin ist sie auch im Abendkleid.

Der rollenmäßig blässlich zwischen beiden Frauen pendelnde Graf Lancaster war mit Javier Camarena ebenfalls äußerst generös besetzt. Seine formidable Höhe zu zeigen hatte er hier nur wenige Gelegenheit, aber auch sein noisettesüßes Timbre versprach kaloriensatten Donizetti-Genuss. Ebenfalls partiemäßig trocken der Talbot von Damrau-Gatte Nicolas Testé, der sich mit seinem schwarzen, offenen Hemd zum Frack den modischen Faux-Pas dieses hinreißenden Vokalabends leistete.

Mit einem sehr besonderen Kleid verziert wurde auch die Guadagnini-Geige von Pekka Kuusisto. Der spielt sie seit zehn Jahren sehr gern im RedDress, das viel mehr ist als einen Konzertkleidung. Schon weil es eine ganze Family samt Dress Manager erfordert, um das von Amu Song designte, 1,5 Tonnen schwere Wollding aufzubereiten. Welches jetzt für vier Abende, je zwei mit Folklore und zwei mit elektronischen Tönen, im dafür perfekt geeigneten Boulez-Saal-Oval in Berlin Station machte. Rote Stoffbahnen bedecken dort den freiräumten Boden, in deren Hüllen Teile des als Hörsatteliten fugierenden Publikums liegend in schlafsackartigen Taschen bequem dösen. Man meditiert, Paare kuscheln und streicheln sich, andere setzen sich wieder auf, Gelassenheit und Ruhe herrscht.

In der Mitte erhebt sich kegelartig über eine Krinoline aufgebaut das eigentliche rote Kleid, Kunstobjekt und Ritualgegenstand zugleich, in das nach einem Flüster-, Sing- und Schnalzvokalauftakt der mit einem kecken Knötchen auf dem Blondhaar versehene Kuuisito mit Assistenteninnenhilfe hineinsteigt und fixiert wird. Derwischartig kann er sich langsam und tranceartig in seinem gefältelten Überwurf drehen, dazu scheinen auch die sich überlagernden Geigentöne durch die Lautsprecher zu wandern. Das Kleid ist dabei Kostüm, Bühne und Zuschauerraum in einem. Mit Hall und Verzerrung entsteht so ein Dauerschwall, mal leise, mal kratzig, verstärkt durch dir magische Lichtregie.

Von oben sieht das wunderfein aus, es scheint wirklich eine Kommunikation der besonderen Art im Raum zu herrschen. Für 60 sprachlose, freilich auch klanglich ein wenig einheitlich lullende Minuten lang. Aber wenn Pekka Kuusisto so auch mit anderen Musikern (vor dem Kleid aufgestellt) antritt, wen er zum Mitmachen einlädt oder eine stärker distinguierte Repertoirewahl pflegt, dann ist das ein wirklich besonderer Konzerteindruck. Wobei man sich das RedDress durchaus im dieses Objekt einzigartig um- und empfangenden Boulez-Saal als regelmäßigen Gast vorstellen könnte.

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