Wir wollen jetzt mal ganz kurz politisch unkorrekt sein: Dass sich die Deutsche Grammophon nach ihrer Signet-Kartuschenfarbe gern Gelblabel tituliert, kommt ihr augenblicklich zupass. Feiert Sie doch ihr krummes Jubiläum von 120 Jahren vor allem in Asien. Denn vorwiegend da scheinen die Verantwortlichen noch Kunden auszumachen, bei denen wir uns jetzt sofort für diesen kleinen Glossen-Rassismus entschuldigen! Auf nach Asien: Das hätten sich die Deutsch-Amerikaner Emil und Josef Berliner sicher nicht ausmalen können, als sie die Firma in einem damaligen Zukunftsmarkt am 6. Dezember 1898 in ihrer Geburtsstadt Hannover gründeten. Heute herrscht freilich weltweit hinter den Kulissen Katzenjammern. Jeder erzählt einem, die CD-Verkäufe gingen wieder mal dramatisch zurück und ließen sich durch die steigenden Streaming-Zahlen nicht kompensieren, denn dort fließt viel zu wenig zurück. Also werden jetzt seltsamen Geburtstage begangen. 60 Jahre sind es bei der harmonia mundi, wo man neben ein wenig Party in bewährt solider Firmenpolitik zwei Boxen mit insgesamt 34 klug zusammengestellten, nicht allzu sehr verschnippselten CDs als Audio-Poesiealbum und tönende Chronik herausgebracht hat. Radio France sendete am 12. Juni nur hm-Aufnahmen und Firmenchef Christian Giradin las die Nachrichten.
Da lässt es die DG mit tatkräftiger Autokonzern- und Onlinesuchdiensthilfe schon kräftiger krachen. „Ein beispielloses, abwechslungsreiches und anspruchsvolles internationales Programm feiert die glanzvolle Vergangenheit, lebendige Gegenwart und blühende Zukunft des gelben Labels“, so die Eigenwerbung. „Es sind spannende Zeiten für die klassische Musik“, umschreibt deren Präsident Clemens Trautmann eher ambivalent die Lage: „Anlässlich dieses 120. Geburtstag geht es darum, die Kraft und Schönheit der Klassik möglichst vielen Menschen in der ganzen Welt nahezubringen.“
Unter dem Codenamen DG120 gibt es deshalb eine weltweite Reihe von DG120-Galakonzerten die – nicht in Hannover – im Kaiserlichen Ahnentempel nahe der Verbotenen Stadt von Peking beginnen. Weitere Konzern-Auftritte wird es in Peking, Berlin, Hamburg, Hannover, Hongkong, London, Seoul, Schanghai, Taipeh und Tokio geben. Also vor allem in Asien. Deshalb ist auch das frisch für diesen Markt unter Vertrag genommene Shanghai Symphony Orchestra unter Leitung von Long Yu am Ort. Aufgeführt wird seltsamerweise Orffs „Carmina Burana“ mit Aida Garifullina (bei der Decca), Toby Spence und Ludovic Tézier; außerdem spielt als einzige DG-Künstlerin von einem gewissen Restweltrang die Pianistin Hélène Grimaud Ravels Klavierkonzert G-Dur.
Neben Daniel Barenboim und Anne-Sophie Mutter hat man die Pianisten Lang Lang und Seong-Jin Cho im erweiterten Künstlergepäck, als einziger zeitgenössischer Komponist darf sich Max Richter vernehmen lassen. Für DG120 zieht natürlich auch die Yellow Lounge mit nach nach Asien. Und ansonsten macht man, was man immer macht. Man digitalisiert moch ein paar unveröffentlichte Schellack-Schätze und Galvano-Metallmatritzen, 400 Stück insgesamt auf denen sich unter anderem Leo Tolstoi, Louis Armstrong, Fjodor Schaljapin, Fritz Kreisler und Pietro Mascagni verewigt haben. Erste Appetithppchen sind zu finden auf https://artsandculture.google.com/partner/deutsche-grammophon. Der Stepptänzer Andrew Nemr und der Tilt-Brush-Künstler Atma schufen optische Umsetzungen.
Außerdem stellt die DG das eigene Erbe in zwölf Online-Ausstellungen auf der Plattform von Google Arts & Culture (https://artsandculture.google.com/partner/deutsche-grammophon) und deren Mobile App vor. Und es gibt Kisten: 120 Jahre sattsam bekannter Aufnahmegeschichte im Deluxe-Box-Set DG120: The Anniversary Edition und – mal wieder – eine Karajan-Beethoven-Kunstedition auf Vinyl mit dem 1963er-Zyklus.
Man kann davon halten, was man will. Sprechend ist aber mal wieder das Schweigen darüber in deutschen Medienwalde. Während jeder Pups aus den Buchverlagen sofort als literarische Meldung weitergeben wird, herrscht mal wieder: Ignoranz. Oder sind Plattenfirmen inzwischen wirklich so unwichtig geworden?
Der Beitrag 5 vor 12 ist 120? Die krummen Jubiläumsaktivitäten der Deutsche Grammphon erschien zuerst auf Brugs Klassiker.