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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Charles Gounod zum 200. Geburtstag: Opfer seines Erfolges

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Können wir uns Charles Gounod als jungen Mann vorstellen? Irgendwie nicht. Zu sehr eingeprägt hat sich das Bild als alter Rauschebart mit besticktem Hauskäppi. Und deshalb wird er auch so gern wie schnell in einer fertigen Klangschublade abgelegt und mit dem Etikett „Verfertiger schwülstiger, religiös triefender Süßigkeiten für das allzu üppige Second Empire“ abgestempelt. Dabei war auch der am 17. Juni 1818, also vor 200 Jahren in Paris geborene und am 18. Oktober 1893 im nahen Saint-Cloud gestorben Komponist mal ein feuriger Liebhaber und wilder Experimentator. Dem seine auf wenige Werke verengte Popularität zum Verhängnis wurde. Noch dazu für die Deutschen, hatte er es doch gewagt, sich an deren Nationalepos „Faust“ zu vergreifen. An diesem herrlich tönenden Leckerli hat man sich zwar stets gern delektiert, aber man schlich immer mit schlechtem Gewissen in „Margarethe“; erst in jüngerer Zeit kam die immerhin nach „Carmen“ am zweithäufigsten gespielte französische Oper wieder zu alten Namensehren – auch weil sie sich von Ken Russell über John Dew bis David Pountney, Philipp Stölzl und Frank Castorf als Regietheaterabenteuerspielplatz mit einer Fülle an gern aufgebrochenen Klischees erwies.

Der Malersohn Charles Gounod erhielt bereits früh Musikunterricht von seiner Mutter, einer Pianistin. Er studierte zunächst privat bei Anton Reicha und ab 1836 am Pariser Konservatorium bei Jacques Fromental Halévy und Ferdinando Paër. 1839 erhielt er im dritten Anlauf den Prix de Rome für seine Kantate „Fernand“ und reiste nach Italien, um die Musik der alten Meister, vor allem Palestrinas, kennenzulernen. 1842 verließ er Rom Richtung Wien und gelangte 1843 über Berlin und Leipzig wieder nach Paris. Eine konforme Karriere kündigte sich an.

Nach seiner Rückkehr wurde Gounod Kirchenkapellmeister und Organist in Paris. Er liebäugelte freilich stets auch mit einer kirchlichen Karriere. Schließlich kam er in der absoluten Gegenwelt zu Ruhm: als Opernkomponist. Mezzostar Pauline Viardot vermittelte ihm das „Sapho“-Libretto, doch das fertige Werk mit dem Schlager von der „Lyre immortelle“ wurde 1851 weder in Paris noch in London ein Erfolg. Dafür heiratete er 1852 Anna Zimmermann, die Tochter eines Klavierlehrers am Konservatorium. Bis 1860 war Gounod Direktor des Orphéon de la Ville de Paris, des größten Männerchores der Stadt. Erst seine vierte Oper „Faust“ brachte ihm 1859 den Durchbruch – paradoxerweise freilich in der stark überarbeiteten, zehn Jahre späteren Fassung für die Opéra. Gounod galt fortan als der typische Vertreter der Opéra lyrique, welche die zu pompös gewordene Grand Opéra ablöste. Dabei war der „Faust“ zunächst eine weit sarkastischere Opéra comique mit gesprochenen Dialogen.

Von Gounods zwölf Opern steht heute eigentlich nur noch die als Sängerfutter immer beliebtere Shakespeare-Adaption „Roméo et Juliette von 1867 auf den internationalen Spielplänen. Bisweilen begegnet man noch dem provençalischen Liebesdrama „Mireille“ (1864). Und auch in Frankreich kümmert man sich kaum um seinen wohlmöglich größten Melodiker, der mit dem reinen, fettfreien Gold seiner Tonlinien immer noch sofort einnimmt und begeistert. Man muss sie nur mit den richtigen, eher schlanken Stimmen hören, und geformt von Dirigenten, denen es um zartes Klangparfüm geht und nicht um bräsig-schwülstiges Gewölk.

Auf Grund des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 lebte der offen anglophile Charles Gounod von 1870 bis 1874 in London und gründete dort den Gounod’s Choir, aus dem später die Royal Choral Society hervorging. Er komponierte drei Sinfonien. Im Alter wieder tief religiös geworden, wandte er sich erneut der Kirchenmusik zu. Seine Oratorien machten ihn zu einem reichen Mann, doch ihr nazarehnerhaft fließender, pastellig lyrischer Stil ließ sie schnell in Vergessenheit geraten. Und dann ist da natürlich noch, was die ehrliche Gounod-Rezeption oft verdorben hat, die meist brutal missbrauchte Méditation sur le 1er prélude de Bach, eine Melodie, die er schon 1852 auf das Präludium C-Dur des 1. Teils des Wohltemperierten Klaviers von Johann Sebastian Bach für Violine und Klavier setzte und 1859 mit dem Text des Ave Maria unterlegte. Heute ist das es eines der populärsten wie mies verfälschten Klassikhits überhaupt.

Ähnlich wie Mozart starb auch Charles Gounod, der prototypisch „normale“ französische Komponist des 19. Jahrhunderts,  während er an einem Requiem arbeitete. Von seinem Kirchenkompositionen, darunter 13 Messen, wird heute nur noch die Messe solennelle de Ste-Cécile von 1855 aufgeführt. Immerhin wurde aus seinem für Papst Pius IX. im Jahr 1869 komponierten Marsch 1950 die offizielle Hymne des Vatikans.

Und wieder einmal fällt es der in Venedig ansässigen Stiftung Palazzetto Bru Zane zu, sich zum 200. Geburtstag auch um die unbekannteren Seiten von Charles Gounod zu kümmern. So wurde eben beim regelmäßig im Juni abgehaltenen Bru Zane Festival in Paris an der Opéra Comique seine zweite Oper „Die blutige Nonne“ von 1854 herausgebracht, die sich zunächst mit ihrer zeittypischen Gruselvorlage so gar nicht mit seinen religiösen Idealen vereinbaren mag. Des Weiteren gab es konzertant die seit Uraufführung nicht mehr gespielte Urfassung des „Faust“  zu hören, ein doch in vielen Aspekten anderes Werk, als das wir es heute kennen. Dazu fand im Haus des Radio France ein Galakonzert statt, das die vielen Facetten des Opern- wie Oratorienkomponisten Charles Gounod ins rechte Licht rückte. Auch Lieder, Streichquartette und eine Messe waren zu erleben.

Und schon vorher hatte man im intimeren Rahmen in Venedig Lieder, Kammermusik und geistliche Werke neu ausgeleuchtet. Die Gounod-Streichquartette sind auf CD herausgekommen, ebenso im Rahmen der Prix de Rome-Serie die dafür komponierten Kantaten und die dort entstandene Kirchenmusik. Im Herbst folgt – nach dem in Leipzig auch szenisch ausgegrabenen „Cinq Mars“ – auf CD die Erstveröffentlichung der in München mitgeschnittenen Oper „Le Tribut de Zamora“, auch der Ur-„Faust“ wurde jetzt aufgenommen. Und außerdem erschien das Buch mit Selbstzeugnissen „Memoires d’un artiste“. Mehr über das Paris Festival bald in Oper! Das Magazin.

 

 

 

Der Beitrag Charles Gounod zum 200. Geburtstag: Opfer seines Erfolges erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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