Andrea Palent leitete in Personalunion als Geschäftsführerin wie Programmverantwortliche den 2000 eröffneten dritten Nikolaisaal in Potsdam. Der Stilmix aus erhaltenen Originalbauteilen und das zurückhaltende aber sehr moderne Interieur wird als gelungene Synthese betrachtet – auch wegen ihrer klugen Veranstaltungsplanung. Und wenn dort Sendepause ist, dann feiern, immer drei Wochen im Juni, in den Schlössern und Gärten der Stadt die Musikfestspiele Potsdam den Genius loci mit längst aus überregional beobachteten Opern- und Konzertaufführungen. Auch dort ist Andrea Palents sinnliche wie sinnfällige, atmosphärische wie pädagogische Intendantin-Handschrift überall sichtbar. Man darf dieses Alte-Musik-Festival zu den schönsten, jede Saison wieder überraschenden und ertragreichen im europäischen Festspielkalender zählen. Potsdam wurde durch sie wieder eine erste Kulturadresse. Kein Wunder, dass jetzt, wo Andrea Palent als Musikmama und gar nicht mafiose Kulturpatin der Stadt abtritt, ihrer Aufgaben auf gleich drei Personen neu verteilt werden. So etwa auf die Flötistin Dorothee Oberlinger, die ab 2019, wenn hoffentlich das Schlosstheater wieder bespielt werden kann, ein schweres Erbe antritt. Bei Andrea Palents 28. und letzten Festspielen, die die Utopie Europa feiern und noch bis zum 24. Juni laufen, ist die Halbzeit schon vorüber. Grund genug, die Dame Intendantin in eigenen Worten erzählen zu lassen.
Ich bin in Delitzsch bei Leipzig geboren und in Halle sehr gut ausgebildet worden. Davon habe ich dann auch in meiner Westkarriere sehr profitiert. Die fachlichen Fundamente sind sehr solide, das habe ich immer wieder gemerkt. Bei meinen ganzen späteren Opernausgrabungen habe ich so vieles ja dann doch schon gekannt. 1983 bin ich von Halle nach Potsdam gekommen, habe meine Kinder bekommen und die Promotion durchgezogen. Über die dortigen Parkfestspiele hatte ich schon lange gemeckert und so habe ich dann nach der Wende ein Konzept geschrieben. Und 1991 habe ich sie übernommen. Seit 1954 gibt es diese Festspiele. Erst im Park, dann auch in der Ovid-Galerie und im Raphaelsaal sowie in der Bildgalerie – die wurde aus konservatorischen Gründen weggenommen.
Zwischendurch war ich fünf Jahre am Hans Otto Theater und da auch für das Schlosstheater zuständig. Damals habe ich die Barockschiene aufgebaut – und dann das Ensemble abgewickelt. Das habe ich also auch gelernt. Dann suchte man jemanden für den neuen Nikolaisaal, so ist meine Biografie gewachsen. Damals hat sich nie die Frage gestellt, ob man beides machen kann. Das stellte sich erst heute. Für mich war das zunächst ganz klar eine Einheit, ohne zu ahnen, wieviel Büroarbeit da natürlich dranhängt. Außer mir hat es kaum einer gemerkt, dass es zu viel wird.
Damit ich noch ein bisschen Luft im Leben habe, mache ich jetzt einen Schnitt. Ich gehe aber noch nicht in Rente! Ich mach danach noch freiberuflich was, etwa weiter die Fahrradkonzerte, aber ich will meine Zeit selbst gestalten können. Ich kann gut Programme konzipieren, habe eine ausgeprägte Stückkompetenz. Warum soll ich das jetzt, genauso wie meine Kontakte, verdorren lassen?
Als Geschäftsführerin und Programmleiterin in einem habe meist 12 Stunden am Schreibtisch verbracht und das mag ich einfach nicht mehr. Es ist jetzt Zeit für jemand anderen, das ist richtig so. Jetzt läuft das 28. von mir ausgedachte Festspiel-Programm, an dem natürlich immer auch meine tollen, von mir ins Herz geschlossenen Dramaturgen beteiligt waren, ohne die hätte ich das nicht gestemmt. Denn wenn man allein Programme macht, dann vergisst man schnell was. Mein Anspruch war immer, für Potsdam den Geist der jeweiligen Zeit oder des Themas atmen zu lassen, dabei aber auch das Morgen zu spüren.
Ich konnte nach der Wende so viele neue Räumlichkeiten entdecken, das war ein Schatz. Auch weil bei der Schlösserstiftung mit Hans-Joachim Giersberg und Hartmut Dorgerloh Leute gearbeitet haben, die ähnliche Visionen hatten, die dieses Erbe öffnen, ausmessen und ausstellen wollten. Das war ein so harmonisches wie vertrauensvolles Geben und Nehmen. Man muss sich aber eben auch gut kennen, vor Ort sein. Und wir hatten die Chance, das alles selbst in die Hand zu nehmen. Vor allem auch die kaufmännischen Dinge, in die ich mich einarbeiten musste. Und jetzt gehen gleichzeitig ich und Hartmut Dorgerloh! Ich hoffe nur, das meine Nachfolgerin auch erkennt, was diese Marke auch heute noch an ausbaufähigem Potenzial bietet.
Ich freue mich auch, wie viele Künstler ich entdecken, ihnen in Potsdam einen Platz geben konnte, und die mir auch treu geblieben sind; obwohl sie heute längst auch in größeren Sälen auftreten könnten. Christina Pluhar etwa oder Les Musiciens de Saint-Julien, auch Thomas Hengelbrock und Max Emanuel Cencic oder Sergio Azzolini. Christophe Rousset war hier erstmals mit seinem Orchester in Deutschland. Auch hat er damals ein Wandelkonzert veranstaltet. Dann gibt es die langjährigen Koproduktionspartner bei den Festivals in Brügge, in Innsbruck und Utrecht wie auch im Barockzentrum Versailles. In Deutschland habe ich in der Alten-Musikszene, die ich hier konsequent aufgebaut habe, wenige Partner gefunden, da ist vieles aber auch zu nah. Ich habe dieses Jahr deshalb alle meine Freunde und Partner noch einmal eingeladen, das ließ sich gut unter dem Europa-Gedanken vermitteln.
Und dann hat sich ja auch in Potsdam in meinen Jahren hier die Bevölkerung dramatisch verändert. Die neu Zugezogenen, mit ihrem zum Teil großen Interesse am historischen Erbe, die haben natürlich auch mich immer wieder neu auf die Verhältnisses blicken lassen. Denn jeder entdeckt das anders. So kamen viele Kindersachen hinzu, das Fahrradkonzert, die Hauskonzerte in renovierten Liegschaften.
Ich habe, das ist das Makabre daran, natürlich auch von der von mir selbst vollzogenen Schließung der Musiktheatersparte des Hans Otto Theaters profitiert. Denn ich wusste ja, was jetzt fehlt und wie wir es kompensieren können. Und wie ich den Nikolaisaal als Ersatz profilieren kann. Ich habe kräftig dran gearbeitet, die Chance genutzt, dass er mit seinem Aussehen und dem vielfach nutzbarem Foyer so gestaltet wurde. Für Potsdam ist das mit Saal, Kammerakademie, Festspielen und der Winteroper eine optimale Lösung geworden, weil man so mit dem vorhandenen Geld viel höher einsteigen kann, gerade im Windschatten von Berlin. Ulrich Eckhardt von den Berliner Festspielen hat mein Konzept damals für total irreal gehalten. Er hat sich getäuscht!
Die dortige Vielfalt, auch die Vermietungen sind dessen Stärke, weil er eben nicht nur der Hochkultur vorbehalten ist. Damit verdienen wir Geld, wir sind für alle offen und fast immer ausverkauft. Ich habe mich aber auch sehr für die Kammerakademie Potsdam als identitätsstiftendes Hausensemble eingesetzt. Die begannen dann ein Jahr nach Eröffnung des Saals. Doch auch die Konzerte des Brandenburgischen Staatsorchester unter Howard Griffiths laufen sehr gut.
Und sogar die Winterbespielung der Friedenskirche als Ersatz für das über Jahre sanierte Schlosstheater war ein Segen. Ich hoffe die Kammerakademie führt das auch weiter, wenn das Theater wieder offen ist, denn die Oratorien in diesem speziellen Raum hatten eine besondere Aura. Da könnte man dann auch für das Schlosstheater nur mal was einkaufen, um Geld zu sparen.
Das schönste Festspiele-Thema war 2013 mit „Skandinavien“, auch das Wetter war damals sehr gut. „Frankreich“, aber auch die „Gärten“ liefen sehr rund, „Friedrich Wilhelm II. und die schönen Künste“ im Jahr 1997, das war auch sehr gelungen
Wenn jetzt freilich auch die Berliner Staatsoper ihre Barockschiene wieder ausbaut, dann müssen die Potsdamer Musikfestspiele aufpassen, dass man sich nicht doppelt. Schließlich sind vom den etwa 15.000 Besuchern etwa je ein Drittel Potsdamer, Berliner und von weit her Anreisende. Absprache tut Not. Ich habe meine Nachfolgerin Dorothee Oberlinger gleich mal zur Kontaktaufnahme hingeschickt und die haben sie gleich auch selbst für ein Konzert organisiert.
Es hat sich gefügt. Ich hatte Glück. Ich hatte mir geschworen, du gehst, bevor alle die Augen rollen. Und das tue ich jetzt. Ich hab es schon vor zwei Jahren entschieden, wollte eigentlich schon letzten Sommer aufhören. Aber die Stadt wollte mehr Zeit, die Nachfolge zu regeln. Und da ist jetzt geschehen. Mit dem Europathema, das auch mein internationales Arbeitsleben widerspiegelt. Und dem Geist, der aus dieser Region in die Weite vordringt. Was nicht immer nur bequem sein muss, gerade Europa wird ja als Gedanke gerade heftig gebeutelt.
Ich bin ein leiser Mensch, agiere im Hintergrund, steuere unauffällig. So wie bei der Neugründung der Kammerakademie, die ebenfalls genau das richtige Konstrukt für die Stadt ist. Doch wenn ich beispielsweise von einem Sänger nicht überzeugt bin, dann kommt der auch nicht auf die Bühne. Alles schon vorgekommen.
Ein nicht verwirklichter Traum? Den hat Antonello Manacorda, der Chefdirigent der Kammerakademie: einmal den „Sommernachtstraum“ mit der kompletten Mendelssohn-Musik auf verschiedenen Bühnen im Park. Aber wohl eine Utopie…
Der Beitrag Mama Kulturpatin tritt ab: Andrea Palent hört in Potsdam auf erschien zuerst auf Brugs Klassiker.