Das Heilige und das Profane, sie liegen an diesem sehr besonderen Ort in Europa nahe beisammen. Und das Granada Festival umarmt sie beide, gehören gerade Glaubenskriege in dieser Stadt zur Geschichte, verkörpert durch die maurische Alhambra wie durch die Kathedrale Santa María de la Encarnación, die gleich nach dem Ende des Nasridenreiches 1492 an der Stelle der großen Moschee als Glaubenstrutzburg geplant worden war. Nichts mehr freilich zu sehen ist vom Stadtviertel der Juden, die ebenfalls 1492 vertrieben wurden, im gleichen Jahr, in dem Kolumbus im Auftrag der katholischen Könige Amerika entdecke, und neues Völkerunrecht auch im Namen des Glaubens seinen Anfang nahm. Das Heilige als Scheinheiliges. So präsentiert es sich durchaus auch in der goldstrotzenden Kirche des Hieronymusklosters von Granada. Auch die wurde natürlich – als erste Kirche weltweit – von den Katholischen Königen Marias unbefleckter Empfängnis gestiftet. Sie enthält vor der üppig glitzernden Altarwand in der Vierung das Grab von Gonzalo Fernández de Córdoba, dem Gran Capitán, der in den Glaubenskriegen gegen die Mohammedaner gekämpft hatte und vielen Conquistadores in Südamerika später als Vorbild diente. Hier hat schon der neue Festivalchef Pablo Heras-Casado mit seinem Chor gesungen und hier ist jetzt zur heißen Mittagszeit unter kühlen gotischen Spitzengewölben aus Stein das wunderbare französische Vokalensemble Aedes unter seinem die Zwischenbemerkungen höflicherweise auf Spanisch formulierenden Leiter Mathieu Romano zu hören.
Schwebend und zart singen die 20 vorzüglichen Choristen a-capella-Motetten von Francis Poulenc, Tomas Lúis de Victoria und Manuel de Falla, der in Granada von 1921 bis zur Emigration nach Argentinien 1936 gelebt hat und dessen Wohnhaus ebenfalls in der Nähe der Alhambra als Museum steht. Zum Teil wurden die gleichen lateinischen Texte vertont, mühelos überwindet die Musik mit ihrer kaum merklich gewandelten, bewusst neoklassischen Stilistik die Jahrhunderte. Und der gern so repressiv-menschenverachtende Katholizismus, dessen missionarischer Eifer selbst noch die Audioguides der Kathedrale und der Capilla Real prägen, wo die Katholischen Könige beigesetzt sind, wirkt durch dieses tröstlich perfekte Singen auf einmal etwas milder und erträglich.
Schwimmbad zwischendurch muss sein, doch da es abends auch angenehm abkühlt, geht es zwischen den Rosen, dem Oleander und den Wiesenstauden zum Froschkonzert in den Generalife-Gärten. Dort produziert sich im Freilichttheater mit seinen 1700 Plätzen eine alte Bekannte: Blanca Li, in Granada geboren, um die Jahrtausendwende für ein Jahr schnell gescheiterte Hoffnungsträgerin als Ballettdirektorin an der Komischen Oper Berlin. Doch dort, in der verfahrenen Tanzsituation, goutierte man ihren bunten, eklektizistischen Stil nicht. In Frankreich hingegen, wo sie lebt, und in Spanien ist sie nach wie vor ein Star. Tanz war immer gleichbedeutend wichtig beim Granada Festival. Nicht nur liegen hier die Ursprünge des Flamenco im Viertel Sacromonte, die Ende der Fünfzigerjahre von einem Amphitheater im griechischen Stiel zur heutigen modernen umgewandelte Freilichtspielfläche hat alle großen Tanzkompanien der Klassik und Moderne sowie die großen Solisten gesehen.
Auch da plätschert vor dem Orchestergraben ein Wasserbassin (nicht während der Vorstellung) und stehen Zypressen als Hintergrund und Gassenandeutungen auf der Bühne. Wunderfeine Blicke hat man bei einem frühen Aperitif im Sonnenuntergang auf die Alhambra und das gegenüberliegende Viertel Albaicín, wo früher die maurische Bevölkerung wohnte.
Der Abend ist dem Heidnischen und Profanen gewidmet. Für das mit 90 Minuten in seinen Repetitionen etwas zu lange Duo „Diosas y Demonias“ – „Göttinnen und Dämoninnen“ hat sich die inzwischen 54-jährige Blanca Li, die es aber immer noch körperlich drauf hat, mit dem Bolschoi-Ballettstar Maria Alexandrova zusammengetan, die inzwischen dort ausgeschieden ist, um mit ihren 39 Jahren nichtklassische Projekte zu verfolgen. Wie eben das hier. Zwei Tanzdiven wechseln sich in Schwarz und Weiß ab, vor Jalousien, die rosa oder gar nicht leuchten. Posenhaft ausdrucksstark ist das in raffinierten Kostümen von Azzedine Alaïa, Jean-Paul Gaultier und Stella McCartney. Die pumpend discohafte Mucke von Tao Gutierrez dreht auch die Danse macabre von Saint-Saëns, das Larghetto aus Chopins 1. Klavierkonzert und ein Stück von Albéniz durch den Wolf. Zwischendurch tragen beide Glitzermasken, tanzen mit ihren eigenen Videoprojektionen, die sie zu schlangenköpfigen Medusen dämonisieren. Da wird die Mythologie bemüht, aber auch der Videoclip oder „Flashdance“. Im griechischen Kleid, Rot und Blau vereinen sich schließlich die Göttinnen aus zwei so unterschiedlichen Welt im synchronen Duett. Terpsichore, die Muse des Tanzes, hat gesiegt. Und ist alles vorbei, schreit schon wieder ein Vogel und lugt der immer vollere Mond durch die Zypressen.
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