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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Solide letzte Zuckung: Toshio Hosokawas „Erdbeben. Träume“ beendet Jossi Wielers Stuttgarter Intendanz

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Alte Theaterregel: Man fange mit einem Erdbeben an, um sich dann weiter zu steigern. Jossi Wieler, der nach sieben Jahren als Intendant der Stuttgarter Oper aufhört, wo er schon in den Direktionen Zehelein und Puhlmann prägend war, macht es umgekehrt. Er setzt die Uraufführung „Erdbeben. Träume“ nach Kleists „Das Erdbeben in  Chili“ auf ein Libretto von dem Schriftsteller Marcel Beyer und mit Musik von Toshio Hosokawa an das Finale seiner dortigen Musiktheaterzeit. 1993 hatte er in Stuttgart mit seinem zum Co-Regisseur geadelten Dramaturgen Sergio Morabito und der Ausstatterin Anna Viebrock begonnen. Und in diesem Team endete es jetzt auch konsequent. Was dann doch nachdenklich stimmt: Man würde in der aktuellen Produktion kaum einen Unterschied zu vor 25 Jahren erkennen. Ihre Ästhetik und Aussage ist sich ziemlich gleich geblieben. Das dokumentiert übrigens auch ein sehr schön von Morabito konzipierte, in feines Rot eingebunde Buch-Chronik namens „Verwandlungen“. Ja, sie haben möglicherweise ihre Mitwirkenden und ihr Publikum „verwandelt“, sich  selbst sind sie aber gleich geblieben. Und deshalb ist es jetzt sicher gut so, dass ab Herbst an der Stuttgarter Oper ein anderer, in jedem Fall jüngerer künstlerischer Wind weht. Ob er besser, relevanter sein wird, das mag sich weisen.

Bei „Erdbeben. Träume“ stimmt eigentlich alles – in den hier zu erwartenden, stuttgartspezifischen Parametern.  Marcel Beyer hat die alte Kleist-Novelle mit ihrer himmelfliegenden Sprache nur als Vorlage verwendet, um deren Temperatur sachlich zu dimmen und für heute gesellschaftlich relevant zu machen. Während im Vordergrund höchst stilisiert die persönlichen Tragödien im Verlauf einer Naturkatastrophe aufscheinen, freilich nur als Erinnerungsfetzen eines Jugendlichen (stumm und ausdrucksvoll verkörpert von der Schauspielerin Sachiko Hara), geht es hinten voll zur Sache: ein aufgehetzter, verängstigter Mob denkt nur an sich selbst und geht buchstäblich über Leichen – eben auch über die Eltern des Säuglings Philipp.

Fotos: C. T. Schaefer

Doch der Priester, der noch 1806 bei Kleist die Menge aufstachelte, um in religiöser Hetze ein  nicht standesgemäßes Liebespaar samt unehelichem Säugling für das Erdbeben als Zorn Gottes verantwortlich zu machen, der funktioniert heute als Volksdemagoge nur bedingt. Natürlich lässt sich der durch sein Megafon plärrende Pedrillo (Torsten Hoffmann) auch als Pegida-Bachmann deuten (was Wieler nicht tut, aber natürlich impliziert). Doch mit den uns sehr ferngerückten, freilich fabelhaft gesungenen Familienproblemen von Josephe (Esther Dierckes) und Jeronimo (Dominic Große), Elvire (Sophie Marilley) und Fernando (André Morsch) sowie Constanze (Josefin Feiler) hat das nur wenig zu tun; weshalb Beyer diese  weitgehend neutralisiert. Warum aber dann ein Kleist-Abstrich? Und nicht gleich ein originärer Text?

Wir sind allerorten von Demagogen umgeben, doch die Oper Stuttgart reagiert künstlerisch wertvoll darauf und gehört so zu den Guten. Schön. Aber was tut’s? Denn leider ist der ganze Abend dann doch eine sehr vorhersehbare Pflichtübung geworden, bei dem der kaum von einem breiteren Publikum wahrgenommene Kanon gegenwärtig deutscher Opernästhetik einmal mehr durchdekliniert wurde. Und Altmeister Helmut Lachenmann (der mit seinem „Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ freilich wirklich herausragend Originäres geleistet hat) thronte wie ein schwäbischer König mitten im Parkett.

Der 62-jährige Toshio Hosokawa, in Freiburg ausgebildet, heute wieder in Japan lebend, man muss es leider nach seinem fünften Musiktheaterstück sagen, ist kein wirklich dramatischer Opernkomponist. Zu preziös, ikebanahaft, minimalistisch, in sich gekehrt kommen seine Bühnenwerke daher. Wunderfein instrumentiert, mit zarten Vokallasuren übermalt. Und trotzdem hat er jetzt, auch aus persönlicher Betroffenheit, das wohl Schwierigste gleich zweimal gewagt: einer Naturkatastrophe, dem schlimmen Erdbeben plus Tsunami plus Fukushima-Atomhorror von 2011 musikalisch Herr zu werden. 2015 kam an der Hamburgischen Staatsoper „Stilles Meer“ als (allzu) leise, hilflose Meditation über den Nuklearwahnsinn  heraus. Und jetzt also „Erdbeben. Träume“. Wobei als zweites Substantiv wohl „Utopien“ besser gewesen wäre, so wie sie jetzt brutal ausgelöscht und getötet werden.

Und wieder ereignet sich alles sehr statisch, oratorienhaft. Eindrücklich, wie das unter dem ebenfalls scheidenden Stuttgarter Musikchef Sylvain Cambreling überzeugend aufspielende Staatsorchester sich am Anfang in mehreren Schüben blockhaft perkussiv steigert, nach dem elektronisch von oben eingespielte Chor zunächst eine Flüster- und  Wispertonspur ausgelegt hat. Drei instrumentale Intermezzi folgen und teilen die 115 Minuten, die mal laut, mal nachdenklich, mal bruitistisch, mal sanft die Geschehene reflektierten und antizipieren. Ermüdend gleichfömig kommen freilich die Vokallinien, für das Schicksal dieses Quintetts mit seinen Babypuppen mag man sich nicht wirklich interessieren.

Beklemmender quillt da der Chor auf das trashige Einheitsbühnenbild Anna Viebrocks. Da wuseln erst Nonnen zwischen Betontrümmern  und Möbeln eines Hauses, Brettern, einer Brücke und einem grellen Scheinwerfer, die im nackten, kahlen Bühnenhaus, langsam auf- und abfahrend weitere Erdstöße simulieren. Doch wie schon in letzter Zeit bei Viebrock öfter zu konstatieren: So raffiniert wie früher in ihren mehrschichtigen Kaleidoskopräumen ist das nicht mehr. Als sadistische Kleinen mit gezücktem Messer präsentiert sich der Kinderchor mit seinem Countertenoranführer (Benjamin Williamson). Dann füllt sich die Szene schließlich mit der bunt uniformierten Masse (Christoph Heil hat trefflich einstudiert), man kann die aufschreienden Ausbrüche dieses vokal disziplinierten Mob natürlich auch als Hommage an diese famos tönenden wie spielende Klanggemeinschaft verstehen, die seit jeher eine der Stärken dieses Opernhaues war und ist. Und Hosokawa wird erstaunlich expressiv, kantig, scharf.

Doch wenn da am Ende vier Tote liegen, der seine Herkunft alpträumende Junge Philipp noch einmal untröstlich mit den Händen schlackert, während seine späteren Pflegeltern sich seines Säuglingsselbst annehmen, dann rührt das nur bedingt. Zu kunstfertig, zu distanziert und zu bekannt in seinen künstlerischen Mitteln war das dann doch. Großer Jubel des Publikums für das noch einmal Vertraute, für das Ende ohne echten Schrecken. Und sei es hier so etwas Monströses wie ein zum Pogrom stilisiertes, klanglich domestiziertes Erdbeben. Und wir warten nun auf den Stuttgarter Aufbruch. Mindestens mit einer Vulkanexplosion.

Sergio Morabito (Hrsg.): Verwandlungen. Sieben Spielzeiten unter Intendanz von Jossi Wieler. Avedition Stuttgart, 2018. 520 S., 49 Euro

Der Beitrag Solide letzte Zuckung: Toshio Hosokawas „Erdbeben. Träume“ beendet Jossi Wielers Stuttgarter Intendanz erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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