Ahlbeck oder Salzkammmergut? Die Frage stellt sich diesen Sommer nicht, weil pünktlich zum Zauber der Saison der Wolfgangsee, wo man so gut lustig sein kann, wo das „Weiße Rössl“ wiehert und die resche Wirtin Josepha Vogelhuber serviert, mal wieder in Berlin liegt. Nach der legendären Geschwister-Pfister-Produktion von 1994, wo mit einem All-Star-Ensemble auf der kleinen Bumsbühne der Bar jeder Vernunft die Lust an dem krachigen, aber eben immergrünen Singschwank von Erik Charell und diversen Komponisten um den Haupttonlieferanten Ralph Benatzky herum erst wieder so richtig angefacht wurde und einer überambitionierten wie überlangen Produktion an der Komischen Oper, hat das legendäre Operettenhotel nun seine Pforten im Renaissance Theater geöffnet. Dort versucht man den Mittelweg zwischen Publikumsbespaßung und Dekonstruktion. Will heißen: Es geht in diesem „Weißen Rössl“ melancholisch-grimmig los und endet in einem Final-Potpourri, in dem alle diesmal gestrichen Hits des melodienseligen Machwerks nur mal kurz angeträllert werden. Dazwischen hebt Regisseur Torsten Fischer den Zeigefinger, besser ist es aber dann doch, wenn er es einfach nur laufen lässt.
Minimalistisches Bauerntheater mit Verfremdungseffekt in Charlottenburg, das war wohl so irgendwie die Regielosung, wirklich konsequent und überzeugend geht es nicht auf, schon weil in der Chemie zwischen der verwitweten Prinzipalin und ihren renitenten, aber natürlich charmanten Zahlkellner Leopold ein Loch gähnt. Winnie Böwe spielt die Liebeszaudernde mit einem kleinen Geheimnis, das doch jede Frau haben sollte, der fesche Musicalroutinier Andreas Bieber stellt hingegen mit zu viel Überdruck seinen Bubi-Charme aus – von den er reichlich hat. So fehlt dem Abend das Zentrum.
Doch drumherum wurde in den die Intarsienarchitektur des Hauses rustikal fortsetzenden Holzwänden, wo hinten postkartenbunt die volldigitalisierte Bergseenwelt lockt, viel Hübsches dekoriert. Zwischen Brief-Kathi und Kuhstall-Zenzi und vielen andern, nicht vorhandenen Nebenrollen jodelt sich Angelika Milster immer wieder mit ihrem bebenden Holz vor der Dirndlhütten in den Mittelpunkt und darf auch heurigenselig sentimental werden: zu den vielen Einlagen kommen hier noch weitere stück- und stilfremde hinzu, vom Swing bis zum HipHop, die aber die Ohren aufmerksam lassen. Harry Ermer hat sie für fünf Musiker abwechslungsreich orchestriert und lässt auch nur mal eine einzige Geige zu „Es muss was Wunderbares sein“ spielen.
Oberpiefke und Trikotagenfabrikant Wilhelm Giesecke wird von Boris Aljinovic in der kurzen Krachledern auf die Bühne geknallt dass es eine Frachtkutscherwonne ist. Der dürre Tonio Arango als seine Unterhosen-Nemesis Dr. Siedler kann a gar nicht mithalten. Dafür bekommt dessen Tochter Ottilie (Annemarie Brüntjen) als Twenties-Luder. Der gänzlich untuntige Ralph Morgenstern (schöner Sigismund) lässt sich vom süß lispelnden Klärchen (Nadine Schori) die Glatze streicheln, und das Publikum singt schon vorher seinen Hitrefrain mit. Ruhig und licht alterssenil mimt Walter Kreye den Kaiser Franz Joseph, der alles sich fügen lässt. Wofür sich im Dullijöh-Jux und der Plattler-Dollerei immer auch wieder intensiv stille Momente finden, wenn die Seppllook-Figuren, die in der Regel noch ein paar Nebenfiguren spielen, fast aus dem Stück aussteigen.
Müggelsee ist uns lieber? Nee, das Original am Operetten-Wolfgangsee muss es sein. Das sich doch als meistgespieltes Musiktheaterstück aller Zeiten ganz ordentlich als aufgepeppter, nicht immer nur frohsinniger Clash of Cultures am Renaissance Theater eingerichtet hat.
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