Lübeck, Bonn, Nürnberg, Augsburg, das sind inzwischen die Stationen für den 73-jährigen Peter Konwitschny. In Göteborg wurde er kürzlich gar wegen ungebührlichen Brüllverhaltens nach der Generalprobe aus dem Theater entfernt. Diese Spielzeit kehrt er zu seinen Händel-Anfangen (auf Deutsch) nach Halle zurück. An der Pariser Oper hat er sich selbst sein Debüt verhagelt, weil er in den geplanten „Hugenotten“ zu viel streichen wollte. Immerhin bleibt der Kooperationspartner Semperoper Dresden bei der Stange. Irgendwie aber hat man das Gefühl, seine beste Zeit ist vorbei. Längt wird Konwitschny nicht mehr so intensiv rezipiert wie früher. Auch die Kritiker schauen kaum mehr regelmäßig bei ihm vorbei. Hans Neuenfels (77) will diesen Sommer nach der Salzburger „Pique Dame“ Schluss machen. Nur Harry Kupfer (83) inszeniert nach einer kurzen Sendepause unverdrossen weiter im Stil der Neunziger. Manchen erscheint das schon wieder als Nostalgie (besonders in Berlin, nachdem er dort von Andreas Homoki als Mini-Vatermord aus der Komischen Oper entfernt worden war). Doch Konwitschny denkt nicht ans Altenteil. Leider, wenn man jetzt seine jüngste Arbeit, „Der tapfere Soldat“ von Oscar Straus am Münchner Gärtnerplatztheater nachgesessen hat.
Das Stück wurde im Ausland bekannter als hier, wo es 1908 in Wien uraufgeführt worden war. Damals erlaubte der gestrenge George Bernard Shaw die Adaption seines pazifistischen Bühnenhits „Arms and the Man“, dt. „Helden“, aber nur unter streng inhaltlichen Auflagen, und (weil es ihm peinlich war) ohne monetäre Beteiligung. Das sollte er schnell bereuen. Hierzulande war dieses Wiener Offenbachiade um den Schweizer Geschäftsmann Bluntschli (in der Operette noch schöner: Bumerli), der sich durch Zufall erst in der serbischen Armee und dann in einem bulgarischen Damenbett wiederfindet, trotz der spritzig-sämigen Partitur aus Walzerliedern (vor allem: „Komm, komm, Held meiner Träume“ und Märschen (in denen sich etwa „Bulgaren“ auf „Barbaren“ und „Serben“ auf „Sterben“ reimen) nur ein moderater Erfolg. Im englischsprachigen Ausland aber wurde „The Chocolate Soldier“ oder „The Praliné Soldier“ viel gespielt, deshalb durfte die 1941er Hollywood-Verfilmung (Shaw war das immer noch peinlich) mit Nelson Eddy zwar die Musik, aber nicht die Handlung verwenden. In der deutschen Shaw-Stückverfilmung „Helden“ von 1958 mit Lilo Pulver mimt hingegen ziemlich zupackend die inzwischen stimmlose Ljuba Welitsch die ebenfalls von dem feschen Helvetier (O. W. Fischer) angezogene spätere Schwiegermama, und Udo Jürgens verfertige 1972 daraus wieder für Wien sein einziges Musical „Helden, Helden“ – mit Michael Heltau und Marika-Rökk-Tochter Gabriele Jakoby.
Immerhin ist es jetzt Peter Konwitschnys Verdienst, die im deutschsprachigen Raum weitgehend vergessene Operette wiederbelebt zu haben. Der Liebe- und Lebemann steht hier im Bett wie im Dasein weit besser seinen Kerl als der angeblich so siegreiche Offizier Alexius. Und Schlachten mit lauter Miltärtrotteln ist doof. Eine ziemlich eindeutige Botschaft konfektverpackt in einschmeichelnd-elegante, herrlich doppeldeutige Melodien, wenn etwa im ersten Finale gleich ein flotter Damendreier (Heldin Nadina, ihre Mama und die als Dienstmädchen gehaltene verarmte Verwandte Mascha) sich dem entschlafenen Helden in ziemlich eindeutiger Absicht nähern.
Fies blechern verstärkt (wohl nicht als V-Effekt) kommt das in Dottergelb und rosa Kunströschen-Ambiente (Johannes Leiacker) vor bekrakelter, wohl Schlachtgedöns simulierender Prospektgardine betont biedermeierlich daher, freilich mit schwankend doppeltem Boden. Alles Gute, ja natürlich der Bumerli und auch die Schoki, kommt per Fallschirm von oben, zunächst nur als bezaubernd schönes Jünglein-Bildnis, das Nadina (inbrünstig bis schnippisch: Sophie Mitterhuber) besingt, dann in kräftiger Toblerone-Tenorgestalt (mit allerliebstem Akzent: Daniel Prohaska). Das ist sehr professionell, aber irgendwie auch sehr brav arrangiert. Da robben die doofen Soldaten die Röschen nieder, das Bett kracht unter der Notgeilheit von Mama Aurelia und Kammerkätzchen Mascha (Ann-Katrin Naidu und Jasmina Sakr machen das Beste draus) und zum Tirala-Walzer schunkeln sie alle drei. Schneidig in Stimme, Scheitel und Stamina ist einzig Maximilian Mayer als Alexius, dem man den späteren Duell-Hasenfuß so gar nicht glauben will. Papa Kasimir (Hans Gröning) und Hauptmann Massakroff (Alexander Franzen) sind die üblichen Buffo-Volldeppen, die nichts schnallen.
Doch der Peter Konwitschny, dem mit seiner Schützengraben-„Csardasfürstin“ samt Prozess 1999 in Dresden noch einen echten, fetten Skandal zu Stande brachte, beim abgebrühten Berliner Publikum hingegen mit seinem die flüchtige Diva morden lassenden „Land des Lächelns“-China-Prinzen wenig Bambule machte, zeigt in seiner erst dritten Operetten-Exegese, dass seine Regietheater-Instrumente inzwischen reichlich stumpf geworden sind. Das ist alles präzise bewegt, kommt in tuffigen Kostümen auf fast leerer Bühne daher, mit schnodderig-abgebrühten Frauenpersonen und bis auf die kalorienhaltige Titelfigur dödeligen Kerlen. Das könnte in seiner handwerklich konservativen Haltung (so ähnlich überkorrekt dirigiert auch Anthony Bramall) freilich auch vom Hausherren Joseph Köpplinger sein.
Im kurzen dritten Akt kippt es dann unvermittelt. Waren die Kriegshandlungen bisher nur als nett funkensprühende Tischfeuerwerke manifest und trotzdem deutlich, stecken jetzt vor schwarzen Hintergrundstriemen, die das Harmonischgelb verdunkeln, fette Bomben im Boden, die freilich gleich wieder mit Kinderspielzeug behangen werden. Denn Mascha hat sich bereits Alexius geangelt und geworfen. Alle sind jetzt schrill traumatisiert und angekokelt, keiner darf mehr romantisch glotzen. Und weil sich Bumerli nicht nur als Geschäftsmann, sondern als ganz böser Waffenhändler entpuppt, ward die aufrechte Nadina nicht mehr gesehen. Die ist nun sicher die Gründerin der Grünen Bulgariens, und Konwitschny verweigert hämisch dekonstruktivistisch grinsend das Operetten-Happy End. Doch das das nur gelinde verunsicherte Publikum merkt das kaum und klatscht einfach heiter weiter.
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